Fake-News über russischen Corona-Impfstoff in Focus, BZ und Merkur
Von deutschen Zeitungen kritiklos übernommene britische Falschmeldungen über den russischen Impfstoff Sputnik V wurden im Urheberland bereits widerrufen
Russische Hacker und Spione sind ein beliebtes Thema in der westlichen Presse, nicht nur in Boulevardmedien. So fand auch ein Artikel des britischen Bild-Pendants The Sun vom Wochenende großen Widerhall: Der russische Anti-Covid-Impfstoff Sputnik V sei nur eine Kopie der britisch-schwedischen Entwicklung von AstraZeneca, hieß es. Hacker im Dienste Russland hätten die Forschungsergebnisse gestohlen, schwadronierte dort ein "Experte" in Gestalt eines konservativen britischen Parlamentsabgeordneten. Man müsse sich ernsthafter mit russischer und chinesischer Spionage beschäftigen. Als Beleg führte die Zeitung mutmaßlich gleichartige Grundlagen beider Impfstoffe an.
Die willkommene Geschichte wurde sogleich nicht nur von anderen britischen Medien, sondern auch von deutschen wie der BZ, dem Münchner Merkur und dem Nachrichtenmagazin Focus übernommen. Diese garnierten zum passenden Feindbildaufbau die Meldung mit weiteren Details.
So zitierte die BZ auch den britischen Abgeordneten Andrew Bridgen mit der Aussage, dass Großbritannien die besten Forscher, Russland jedoch die besten Spione habe. Der Merkur sprach von Informationen aus in diesem Zusammenhang gerne bemühten Geheimdienstkreisen, man sei sich "zu mehr als 95 Prozent" sicher, dass russische Hacker Impfstoff-Entwickler in Großbritannien, den USA und Kanada angegriffen hätten.
Von russischer Seite widerlegt, von britischer widerrufen
Der russische Protest gegen die Berichterstattung erfolgte umgehend, war doch Sputnik V als erste von mittlerweile mehreren Eigenentwicklungen frühzeitig auf dem internationalen Markt, worauf man bis heute stolz ist. Der staatliche Fonds RDIF, der die Entwicklung von Sputnik V maßgeblich gefördert hatte, gab schon am Tag nach der Veröffentlichung in The Sun eine offizielle Erklärung ab und bezeichnete den Bericht als Fake-News und "offene Lüge".
Es sei medizinisch schon falsch, dass Sputnik V und AstraZeneca auf denselben Grundlagen basierten. Vielmehr basiere Sputnik V auf einer menschlichen Vektorplattform, während AstraZenenca die von Schimpansen nutze. Sputnik verwende darüber hinaus zwei verschiedene Vektoren für die beiden nötigen Injektionen, AstraZeneca zweimal den gleichen.
Diese medizinisch begründete Stellungnahme veranlasste die britische Zeitung Daily Express dazu, die von der The Sun übernommene Story ausdrücklich zu widerrufen. Sie habe falsche Informationen enthalten. Zitiert wurde von der Zeitung auch die RDIF mit ihrer Gegendarstellung. Die Sun ging daraufhin nicht ganz so weit, widerrief ihren Bericht nicht, fügte aber am Ende die Gegendarstellung der russischen Seite hinzu.
Noch weniger Drang zur Korrektur ihrer medizinisch offensichtlich unkorrekten Darstellungen verspürten die Journalisten von Focus und BZ - hier blieben die widerlegten Anschuldigungen gegen Russland zunächst ohne Gegenstandpunkt online, der Merkur hingegen bezeichnet den Autor der russischen Stellungnahme, die immerhin am Ende des Artikels kurz erwähnt wird, als PR-Firma. Die Absicht, durch dieses Wording die Glaubwürdigkeit der russischen Seite in Zweifel zu ziehen, ist ebenso offensichtlich wie falsch.
Tatsächlich handelt es sich beim RDIF um einen staatlichen Investmentfonds, der vom Staat erwünschte Investitionsprojekte mit Kapital fördert - darunter auch den Impfstoff Sputnik V. Zu den Aufgaben gehört auch die Überwachung der Verwendung der staatlichen Mittel in den geförderten privatwirtschaftlichen Projekten.
Fakten, die die Fake-News entlarven, waren bereits online
An diesem Vorgang erschreckt, wie bereitwillig etwa ein angesehenes Magazin wie der Focus Meldungen westlicher Boulevardpresse ohne jede eigene Prüfung übernimmt. Andernfalls wäre den Focus-Reportern aufgefallen, dass etwa auch das deutsche Ärzteblatt schon im November 2020 schrieb, dass Sputnik V gegen einen harten Corona-Verlauf eine bessere Schutzwirkung habe als AstraZeneca. Als möglichen Grund nennt der online veröffentlichte Fachartikel interessanterweise den Umstand, dass die Russen im Gegensatz zu den Briten keine Schimpansenviren und zwei verschiedene Vektorviren auswählten.
So war zum Zeitpunkt der britischen Veröffentlichung die medizinische Widerlegung in deutscher Sprache bereits online und hätte bei einem gut recherchierenden News-Anbieter eine blinde Übernahme verhindern müssen.
Hier scheint bei Focus, Merkur und der BZ der Feindbildaufbau beim Thema Russland über die Gründlichkeit des eigenen Journalismus zu gehen. Zu willkommen war das Bild der russischen Spione, um hier Interesse an einer echten Nachrecherche zu haben. Durch solche Vereinfachungen darf sich professioneller Journalismus seinen Blick jedoch nicht trüben lassen. Sonst nimmt er sich selbst die Möglichkeit, Kleinigkeiten zu entdecken, die zeigen, dass das große Bild nicht stimmt - stellt die Moskauer Analystin Julia Dudnik in einem Fachvortrag zum Thema Feindbilder sehr treffend fest. Ein Text, den einige Redakteure von drei in diesem Artikel genannten Medien einmal lesen sollten.
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