"Fake News" und Definitionsmacht: Wer darf Wahrheitspolizei sein?

Enthüllungen über verstärkte Kooperation von US-Regierung und Konzernen wie Metaverse, Twitter und Microsoft. Bekämpfen wollen sie "Fake News". Da stellt sich die Frage von Definitionsmacht und Deutungshoheit im globalen Kapitalismus.

US-Behörden wollen laut Recherchen der journalistischen Plattform The Intercept noch enger mit Tech-Giganten kooperieren, um Desinformation zu bekämpfen.

Medienfreiheit, gerade im Internet, bleibt ein spannendes Thema. Soll wichtige Kommunikations-Infrastruktur (wie Twitter) einem mehr oder wenigen "gerechten" König gehören , oder von einem mehr oder weniger "guten" Staat kontrolliert werden? Oder wäre auch hier Vergesellschaftung die möglicherweise für alle Menschen beste Lösung?

Die Publizisten Ken Klippenstein und Lee Fang vom Portal The Intercept (interception: Abfangen/Abhören/Auffangen) haben dieser Tage einen ausführlichen investigativen Beitrag veröffentlicht, dessen Kernaussage auf Basis von geleakten Dokumenten lautet:

US-Regierungsbehörden wie das Heimatschutz-Ministerium (Department of Homeland Security) planen, noch mehr als bisher mit Tech- und Medienkonzernen wie Meta (Dachkonzern von Facebook, Instragram, Whatsapp etc.), Twitter und Microsoft zusammenarbeiten, um damit das zu zensieren, was ihnen als Fake News gilt.

The Intercept war 2014 gegründet worden, im Zuge der Affäre um den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Dessen Whistleblower-Tätigkeit hatte Einblicke in das weltweite Agieren vor allem des US-Militärgeheimdienstes NSA ermöglicht, was seitdem als einer der weltweit größten Spionage-Skandale gilt.

Die mit der Veröffentlichung befassten Publizisten Laura Poitras und Glenn Greenwald sowie Jeremy Scahill gründeten The Intercept. Das Projekt wurde zunächst von Ebay-Gründer Pierre Omydiar finanziert. Dessen Unterstützung für Fakten-Checker kann durchaus kritisch gesehen werden, sofern es im medial geprägten, globalisierten Kapitalismus nicht zuletzt um Deutungshoheit und Definitionsmacht geht.

Definitionsproblem: Wie und wann sind "böse" Absichten erkennbar?

Was als Desinformation gilt, ist daher heute, in Zeiten sich überlagernder und verstärkender Krisen, wahrscheinlich mehr denn je umstritten – politisch, ideologisch, wirtschaftlich. Eine in Deutschland wirksame (neo-)liberale Definition bestimmt "Fake News" als Desinformation wie folgt:

"Fake News" sind gezielt verbreitete falsche oder irreführende Informationen, die jemandem (Person, Gruppe oder Organisation) Schaden zufügen soll.

Es geht also Definitionen wie dieser zufolge nicht nur darum, dass ein solcher Beitrag

  1. falsch oder irreführend sei, sondern
  2. absichtlich genau so gestaltet sei und damit zudem
  3. bestimmter Schaden zugefügt werden solle.

Das sind drei Bedingungen, deren gemeinsames Erfülltsein alles andere als einfach festzustellen ist. Mag das erste Kriterium bei einer erkenntnistheoretischem Realismus verpflichteten Wahrheitsdefinition noch relativ überschaubar erscheinen – die Aspekte 2 und 3 weisen jedenfalls in hohem Maße auf die Instanz, die hier das Urteil vornehmen will:

Inwiefern kann diese "böse" Absicht objektivierend erkannt und als solche bewertet werden? Und ebenso die Intention, dass Schaden verursacht werden solle? Vor allem diese beiden letzten Kriterien dürften wesentlich im Auge der Betrachtenden liegen – also der Instanzen, die definieren (wollen/sollen), was "Fake News" im Sinne von Desinformation sei.

Interessanterweise stellen die beiden Autoren der aktuellen Enthüllungs-Recherche "Truth Cops" etablierte Definitionen dieser Art kaum infrage, sondern übernehmen sie weitgehend. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – ist ihr Beitrag bemerkenswert, was neue Erkenntnisse zu den Themen Deutungshoheit und Definitionsmacht angeht.

Zumindest aber stellen die zwei Journalisten klar, dass sie nicht naiv an diese Problematik herangehen: Wie Desinformation von der Regierung definiert wird, das sei nicht klar formuliert. Und die schon in sich subjektive Natur dessen, was Desinformation ausmachen solle, biete den DHS-Beamten offenbar breite Möglichkeiten, politisch motivierte Entscheidungen darüber zu treffen, was "gefährliche Rede" sei.

Dennoch: Klippenstein und Fang gehen also wie viele etablierte Faktenchecker ebenfalls davon aus, es lasse sich im Bereich umstrittener Beiträge klar trennen zwischen "Misinformation" (falsch, aber unabsichtlich als solches verbreitet), "Disinformation" (falsch und bewusst als solches verbreitet) sowie "Malinformation" (faktisch zutreffend, aber geteilt mit schädlicher Absicht und dabei typischerweise aus dem Zusammenhang gerissen). Sie akzeptieren hier also die herrschende Rahmensetzung (das "Framing") und erzielen doch selbst in diesem relativ unkritischen Rahmen beachtliche Ergebnisse.

Die beiden Autoren schreiben, obwohl das Heimatschutz-Ministerium (DHS) sein umstrittenes Aufsichtsgremium "Disinformation Governance Board" offiziell geschlossen habe, zeige die aktuelle Recherche auf Basis von verschiedenen investigativ untersuchten Quellen, dass die jenem Gremium zugrunde liegende Arbeit weitergehe, also durch Teile der Regierung ziemlich direkt kontrolliert und bestimmt werden solle, was jeweils als Wahrheit oder eben als Desinformation zu gelten habe.

Die Behörde habe ihre Anstrengungen deutlich erweitert, Medienkonzerne und Tech-Plattformen zu beeinflussen. Das DHS konzentriere sich auf eine Überwachung dieser Sozialen Medien (also einflussreicher Internet-Plattformen), nachdem sein ursprünglicher Auftrag – der vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Jahr 2001 erklärte "Krieg gegen den Terror" – weitgehend als beendet gelten darf. Hinter verschlossenen Türen und durch Druck auf privat-kapitalistische Plattformen nutze die US-Regierung zunehmend ihre Macht, um Online-Diskurse zu kontrollieren.

Kontroversen über Covid-19 und Ukraine-Krieg im Visier

Das DHS plane vor allem, laut seiner Sichtweise falsche Informationen zu aktuellen, gesellschaftlich relevanten und kontroversen Themen ins Visier zu nehmen: zum Beispiel die Ursprünge der Covid-19-Pandemie und die Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen, der Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan und die US-Regierungs-Unterstützung für die ukrainische Führung.

Ein besonders pikantes Detail: Die Plattform Facebook habe ein spezielles Portal für das DHS und Regierungspartner eingerichtet, wo diese ihre jeweiligen Verdachtsfälle zu Desinformationen direkt melden könnten. Für Facebook und auch für Instagram (beide Mark Zuckerberg gehörend, wie das gesamte Meta-Universum) gebe es einfache formale Prozesse, um aus Regierungssicht Verdächtiges anzuzeigen. Um diese Möglichkeit nutzen zu können, brauche es eine Mailadresse der US-Regierung oder aber die einer US-Strafbehörde.

Aber auch aus dem Hause Microsoft meldet The Intercept Klartext: "Die Plattformen müssen mit den Behörden vertrauensvoll zusammenarbeiten. Es ist wirklich interessant, wie zögernd sie dabei noch sind", habe Microsoft-Führungskraft Matthew Masterson, ein ehemaliger DHS-Beamter, im Februar 2022 an Jen Easterly geschrieben, eine Direktorin des DHS.

Diese leitende Sicherheitsbeamtin wiederum habe an Masterson geschrieben, dass sie versuche, "uns", also Behörden und Konzerne gemeinsam, in eine solche Position zu bringen, in der die US-Regierung mit Plattformen zusammenarbeiten könne, um Fake News besser zu verstehen, so dass die zuständigen Behörden in die Lage kämen, dies dann als für zum Vorteil der Regierung zu entlarven. Das sei im Februar dieses Jahres kommuniziert worden.

Bei einem Treffen im März wiederum habe Laura Dehmlow, eine leitende FBI-Beamtin, gewarnt, dass die Bedrohung durch "subversive Informationen in sozialen Medien die Unterstützung für die US-Regierung untergraben" könne. Dehmlow habe laut Aufzeichnungen des Gespräches, an dem auch leitende Angestellte von Twitter und JPMorgan Chase teilnahmen, betont, dass "wir eine Medieninfrastruktur brauchen, die als verantwortungsvoll betrachtet werden" könne.

Initiative von Großkonzernen und US-Regierung

Ab dem Zeitraum vor der US-Wahl von 2020 haben sich laut The Intercept Vertreter von Tech-Unternehmen wie Twitter, Facebook, Reddit, Discord, Wikipedia, Microsoft, LinkedIn und Verizon Media monatlich getroffen mit Mitarbeitenden des Inlandsgeheimdienstes FBI, der "Cibersecurity and Infrastructure Security Agency" (CISA – 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump geschaffene neue Behörde innerhalb des Heimatschutz-Ministeriums) und anderen Regierungsvertretern.

Diese Treffen seien Teil einer immer andauernden Initiative von Großkonzernen und der US-Regierung, um zu koordinieren, wie Unternehmen mit Fehlinformationen umgehen sollten.

Die relativ neue Behörde CISA folge seit ihrer Gründung einer "weiterentwickelten Mission" zur Überwachung von Diskussionen auf Social Media und zur möglichst direkten Weiterleitung von "Desinformationsbedenken" an die privat-kapitalistischen Plattformen. Das DHS, das FBI und mehrere Medienunternehmen treffen sich laut Artikel seit August 2022 alle 14 Tage.

Geoff Hale, der Direktor der "Election Security Initiative" bei der CISA, habe wiederum den Einsatz von als medienkompetent geltenden "Drittanbietern" aus dem Bereich gemeinnütziger Vereine oder auch NGOs empfohlen für den Informationsaustausch als eine Art Clearingstelle für Informationen, um "den Anschein von Regierungspropaganda zu vermeiden".

Last but not least gibt die Recherche auch neue Einblicke in die Affäre um Hunter Biden, den Sohn des aktuellen US-Präsidenten. Um die Inhalte, vor allem angebliche Mails, von dessen einst 2019 in Delaware zur Reparatur gebrachtem Notebook gab und gibt es beachtlichen politischen Streit.

Rückblickend biete der Umgang von Plattformen wie Facebook und Twitter mit der deutlich Biden-kritischen und Trump unterstützenden Berichterstattung der klar rechtsgerichteten New York Post (NYP – Eigentümer Rupert Murdoch) über den Inhalt von Hunter Bidens Laptop im Vorfeld der Wahlen 2020 eine aufschlussreiche Fallstudie darüber, wie dies in einem zunehmend macht- und parteipolitisch geprägten Umfeld funktioniere.

Ein Großteil der Öffentlichkeit habe 2020 diese NYP-Berichterstattung ignoriert oder sei davon ausgegangen, dass sie falsch war, da mehr als 50 ehemalige Geheimdienstmitarbeiter behauptet hatten, die Laptop-Geschichte sei das Ergebnis einer "russischen Desinformationskampagne".

Wichtige etablierte Medien seien von Vorwürfen der Wahlbeeinflussung im Jahr 2016 weiterhin angeheizt gewesen – und tatsächlich habe Trump ja versucht, die Laptop-Debatte zu benutzen, um dem Wahlkampf seines Konkurrenten Biden zu schaden.

Twitter habe schließlich in den entscheidenden Wochen vor der Wahl Links zu dem Beitrag der New York Post über den Inhalt des Laptops verboten. Auch Facebook habe die Möglichkeit der Nutzer deutlich reduziert, den NYP-Beitrag zu lesen.

Jüngst habe sich nun, so The Intercept, ein klareres Bild vom Einfluss von Behörden in dieser Sache ergeben. Bei einem Podcast-Auftritt im August habe Meta-Chef Mark Zuckerberg geäußert, dass Facebook nach einem Gespräch mit dem FBI damals die Verbreitung der Berichterstattung der New York Post einschränkte.

Der Hintergrund ist, dass das FBI zu uns kam – zu einigen Leute aus unserem Team – und sagte: "Hey, nur damit ihr es wisst, ihr solltet in höchster Alarmbereitschaft sein, dass es eine Menge russischer Propaganda bei der Wahl 2016 gab".

Mark Zuckerberg

Als die Geschichte der New York Post im Oktober 2020 erschien, sei man bei Facebook der Meinung gewesen, dass sie in das Muster gepasst habe, auf welches das FBI aufmerksam gemacht hatte.

Zuckerberg habe nun geäußert, er bedauere die damaligen Entscheidungen, ebenso wie Jack Dorsey, der frühere CEO von Twitter. Trotz vieler Behauptungen, der Inhalt des Laptops sei generell gefälscht, hatte die Washington Post (Eigentümer: Amazon-Chef Jeff Bezos) später bestätigt, dass zumindest einige der E-Mails auf dem Laptop authentisch gewesen seien. Auch die New York Times (größter Anteilseigner: Familie Sulzberger) habe nach einiger Zeit die Echtheit von E-Mails auf dem Hunter-Biden-Laptop bestätigt – von denen viele in dem ursprünglichen Bericht der New York Post vom Oktober 2020 zitiert worden waren.

Inhaltlich ging es um Fragen, die staatsanwaltlich im Rahmen von Ermittlungen des Justizministeriums untersucht wurden, ob der Sohn von Joseph "Joe" Biden in einer Reihe von Punkten gegen das Gesetz verstoßen habe, darunter Vorwürfe von Geldwäsche, Steuervergehen und der Registrierung als ausländischer Lobbyist.

Neu bekannt gewordene Dokumente ergänzen laut den beiden Journalisten Zuckerbergs Darstellung und enthüllen, dass Regierungs-Beamte, welche die Vorstöße zur Ausweitung des Regierungseinflusses im Kampf gegen Desinformation anführen, auch eine gewisse Rolle bei den Entscheidungen von Facebook und Twitter gegen die Story der New York Post spielten.

Der FBI-Agent, der Plattformen wie Facebook und Twitter 2020 in der heißen Phase des Wahlkampfes dazu veranlasst habe, die Hunter-Biden-Laptop-Story herunterzuspielen, agiere weiterhin im Rahmen des DHS.

Laut Recherchen waren zwei bisher ungenannte FBI-Agenten – Elvis Chan, ein FBI-Spezialagent in der Außenstelle San Francisco, und Laura Dehmlow, Abteilungsleiterin der FBI-Taskforce für ausländischen Einfluss (s.o.) – an hochrangigen Gesprächen beteiligt, die offenbar zur Behinderung der Biden-kritischen Berichterstattung der New York Post durch verschiedene Plattform-Konzerne führten.

Die Hunter-Biden-Laptop-Geschichte sei nur das bekannteste Beispiel dafür, dass Strafverfolgungsbehörden Druck auf Tech- und Medienunternehmen ausübten. In vielen Fällen habe es sich bei den Facebook- und Twitter-Konten, die vom DHS oder seinen Partnern als gefährliche Formen von Desinformation oder potenzieller ausländischer, vor allem russischer Einflussnahme gekennzeichnet worden seien, eindeutig um satirische Konten oder Konten mit praktisch keinen Anhängern oder Einfluss gehandelt.

Der aktuelle Beitrag fasst abschließend einige kritische Experten-Urteile zusammen: "Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die Legislative und die Exekutive Social-Media-Unternehmen benutzen, um Zensur durch Stellvertreter auszuüben", wird Jonathan Turley zitiert, Rechtsprofessor an der George-Washington-Universität.

Es sei völlig klar, dass die Regierung nicht indirekt tun könne, was ihr direkt verboten sei. Wenn Regierungsbeamte eine solche Zensur anordneten oder erleichterten, werfe dies ernste Fragen zum Ersten Verfassungszusatz auf. Dieser soll in den USA u.a. die Freiheit der Rede, der Medien und des Sich-Versammelns garantieren.

Solche in der Recherche aufgedeckten Praktiken beunruhigen Befürworter:innen der Meinungsfreiheit, die darauf hinweisen, dass US-Behörden zunehmend versuchten, den ersten Verfassungszusatz zu umgehen, indem sie kontinuierlich Druck auf Medien- und Techkonzerne ausübten. Wenn die Regierung etwas vorschlage, sei es im nächsten Schritt nicht allzu schwer, den Samthandschuh auszuziehen, und man bekomme einen Faustschlag, äußert Adam Candeub, Rechtsprofessor an der Michigan State University:

Und ich würde solche Aktionen, vor allem, wenn sie bürokratisch durchgeführt werden, im Wesentlichen als staatliches Handeln und als geheime Absprachen der Regierung mit den Plattformen betrachten.

Nadine Strossen, die einstige Präsidentin der "Amerian Civil Liberties Union", wird am Ende des Textes zitiert:

Wenn eine ausländische autoritäre Regierung solche Nachrichten senden würde, würden wir das zweifellos als Zensur bezeichnen.

Oder wie es schon vor knapp 100 Jahren Bertolt Brecht in seinem Leben des Galilei schrieb:

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!

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