"Fast Fashion" – globale Umweltverschmutzung durch Altkleiderberge
Die Überproduktion von Textilien verursacht gigantische Müllberge. Eine aktuelle Greenpeace-Studie deckt Missstände auf und zeigt Lösungsansätze
Weltweit werden jährlich 120 Milliarden Kleidungsstücke – insgesamt etwa 53 Millionen Tonnen Textilien – hergestellt. Etwa jedes zehnte Stück bleibt unverkauft. Auch die Lebensdauer der Textilien wird immer kürzer. Drei Viertel landen bereits nach kurzer Zeit im Müll. Unterdessen wächst das Produktionsvolumen von Kleidungsstücken weiter jährlich um 2,7 Prozent.
Allein in Deutschland fallen jährlich einige 100 Millionen überflüssige Kleidungsstücke an. Rund eine Million Tonnen Altkleider werden hierzulande jedes Jahr gesammelt. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Menge der gesammelten Altkleider um 20 Prozent gestiegen, meldet die aktulle Studie.
Der weltweite Handel mit Altkleidern verzehnfachte sich von 1990 bis 2004 auf rund eine Milliarde Dollar pro Jahr. 2021 lag der Marktwert bei 36 Milliarden Dollar. Für 2025 wird sogar ein Wachstum im Wert von 77 Milliarden Dollar erwartet. Die größten Exporteure von Altkleidern sind neben den USA mit 585 Millionen US-Dollar, China, Großbritannien, Deutschland und Südkorea (Stand 2020). Importeure sind vor allem Ghana, Nigeria, Kenia, Tansania, Chile und bis vor kurzem auch die Ukraine.
Wird ein Kleidungsstück aussortiert, findet es zunächst seinen Weg zu einer Wohltätigkeitsorganisation, einer Rücknahmebox oder Recycling-Station. Etwa zehn Prozent werden im Ursprungsland in Second-Hand-Läden beziehungsweise an gewerbliche Textilhändler weiterverkauft. Rund ein Drittel davon wird "downgecycelt", das heißt, zu Wischtüchern umgearbeitet, oder sie dienen als Rohstoffe für andere Industrien. Rund zehn Prozent gelangen in den Müll.
Vor dem Export werden die Altkleider an einen kommerziellen Kleidersortierer oder Recycler verkauft. Nur etwa die Hälfte dieser Kleidungsstücke wird als Kleidung wiederverwendet, der Rest wird zu Putztüchern oder Isoliermaterial "downgecycelt" oder als Stoff für andere Industrien verwendet. Nur 25 bis 50 Prozent werden weiterverarbeitet. Bis zu zehn Prozent landen im Müll.
Beispiel Großbritannien: Rund 11.000 Tonnen werden hier jedes Jahr an Oxfam gespendet. Etwa 3.000 Tonnen davon werden in den Oxfam-Läden verkauft. Von den verbleibenden 8.000 Tonnen werden 5.600 Tonnen als Secondhand-Kleidung nach Osteuropa sowie Ost- und Westafrika exportiert. Rund eintausend Tonnen werden im Müll entsorgt. Etwa die Hälfte der in Europa aussortierten Kleidung kommt in ostafrikanischen Häfen an. Von hier aus gelangen die Kleidertransporte auf Lastkraftwagen in die Binnenländer des Kontinents.
Importe führten zum Niedergang der afrikanischen Textilindustrie
Mitumba (Swahili für "Bündel") – so werden die in Kunststoff verpackten Ballen aus Second-Hand-Kleidung genannt, die zum Kilopreis auf afrikanischen Märkten gehandelt werden. Die Kleidermärkte entstanden in den späten 1980er-Jahren, zu einer Zeit, als hohe Zölle die Bekleidungsindustrie und andere Unternehmen schützten.
Obwohl die lokale Textilproduktion boomte, konnte sie schon damals kaum dem von IWF und Weltbank aufgezwungenen Strukturanpassungsprogrammen standhalten. Anfang der 1990er-Jahre, als die Zölle gesenkt und Märkte liberalisiert wurden, ruinierte die Kleiderschwemme aus Europa und den USA die einheimische Kleiderproduktion endgültig.
Bis vor wenigen Jahrzehnten arbeiteten noch 500.000 Menschen in der kenianischen Bekleidungsindustrie, heute sind es noch maximal 20.000. In Ghana reduzierte sich die Zahl der Arbeitsplätze im Textilbereich zwischen 1975 und 2000 um 80 Prozent. Die Hälfte der verkauften Kleidung in Tunesien stammt aus "zweiter Hand", in Uganda sind es sogar über 80 Prozent.
Mit den billigen Klamotten aus den reichen Industrieländern konnte die afrikanische Textil- und Bekleidungsindustrie nicht konkurrieren. Unterdessen nehmen die Mengen an gebrauchten und überproduzierten Textilien, die nach Kenia, Ghana oder Tansania exportiert werden, stetig zu.
Auf dem Kamanto-Markt in Ghana etwa landen jede Woche rund 15 Millionen Kleidungsstücke. In Ostafrika ist Kenia mit rund 185.000 Tonnen der größte Importeur von Secondhand-Kleidung. 30 bis 40 Prozent der Textilien sind von so schlechter Qualität, dass sie nicht mehr verkauft werden können. Etwa 55.000 bis 74.000 Tonnen werden zu Textilabfällen – 150 bis 200 Tonnen pro Tag.
Auf der anderen Seite erschuf das Geschäft mit Altkleidern Hunderttausende neue Arbeitsplätze – von der Sortiererin bis zum Straßenverkäufer. In Kenia und Tansania zum Beispiel generieren tausende von Straßenverkäufern mit dem Verkauf von Secondhand-Kleidern ein Einkommen.
Doch der Textilsektor schafft nicht nur Arbeitsplätze, er beschert der Regierung auch Einnahmen aus Zöllen: Die Einfuhren von Gebrauchtkleidung im Land machen etwa ein Prozent des Geldwerts aller Importe aus. Nicht wenige Menschen verdienen in Afrika ihr Geld also mit Altkleidern.
Kein Wunder, dass ein komplettes Kleiderimportverbot auf entsprechenden Widerstand stößt. Auf der anderen Seite ist auch bei ärmeren Menschen ein zunehmendes Modebewusstsein zu beobachten: Wurde Secondhand-Kleidung in Kenia bislang bevorzugt, weil sie preiswert war, so stieg in letzter Zeit die Nachfrage nach modischen Styles bei Menschen aller sozioökonomischen Schichten.
Hälfte der importierten Kleidung landet im Müll
Um die Verantwortung und die Kosten für die Entsorgung des problematischen Mülls aus der Wegwerfkleidung zu umgehen, wird Textilmüll als gebrauchte Kleidung für den Export deklariert. So werden Altkleider, aber auch brandneue überproduzierte Kleidung, meist als "wiederverwendet" gelabelt. In Wirklichkeit jedoch landet fast die Hälfte davon auf Müllkippen, in Flüssen oder sie werden im Freien verbrannt.
Weil die offiziellen Deponien seit Jahren überfüllt sind, werden Textilabfälle überall abgeladen, an Rändern von Siedlungen und vor allem an Flussufern. Werden sie im Freien verbrannt, kann dies zu Gesundheitsproblemen der Anwohner führen. Weil Kleidermüll Flüsse und Abflüsse verstopft, kommt es häufig zu Überschwemmungen.
Das Plastik in der Kleidung wird nur über sehr lange Zeiträume zersetzt, so dass auch noch klimaschädliches Methan freigesetzt wird. Zudem enthalten viele Kleidungsstücke gefährliche Chemikalien, die während des Produktionsprozesses verwendet werden.
Nahezu 70 Prozent der in der Kleidung verwendeten Fasern sind synthetisch. Sie bestehen aus ölbasierten Kunststoffen, die biologisch nicht abbaubar sind. Nach der Entsorgung gelangen die Mikroplastikfasern weiter in die Umwelt und schließlich auch in die menschliche Nahrungskette. Bei der Verbrennung der Textilien werden Rückstände der Mikroplastikfasern zudem in der Luft freigesetzt.
Jüngeren Studien zufolge wurde Mikroplastik bereits in menschlichem Magen-Darm-Trakt, im Blut und in der Lunge nachgewiesen. Besonders besorgniserregend fanden Wissenschaftler den Fund ungewöhnlich großer Fasern in menschlichen Lungen. Abfälle aus Plastikkleidung sammeln sich zudem vor Ort in der Umwelt an und verschärfen das Problem mit dem Plastikmüll.
Chile gilt als eines der Hauptländer für importierte Kleidung. Die Verbrennung von Altkleidern belastet Böden, Flüsse, Ozeane und Wüsten besonders stark. Zum Beispiel in der Atacama-Wüste: Jedes Jahr landen in dem einzigartigen Naturparadies knapp 60.000 Tonnen Textilien auf gigantischen Kleiderbergen.
Viele der Textilien sind neu und sogar noch mit Etikett behaftet. In der Freihandelszone der Hafenstadt Iquique im Norden des Landes etwa kamen 2021 bis Oktober etwa 29.000 Tonnen gebrauchter Kleidung an. Die Importeure verkauften die besten Stücke daraus, die anderen – schätzungsweise 40 Prozent – sortierten sie aus, klagt der chilenische Umweltbeauftragte Edgar Ortega. Nun will die neu gewählte chilenische Regierung handeln und Schritte einleiten, um die Atacama-Wüste vom Textilmüll zu befreien.
Die Branche braucht einen tiefgreifenden ökologischen Wandel
Die Modeindustrie ist für bis zu zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie gilt als eine der Hauptursachen für die weltweite Wasserverschmutzung. Mehr als 80 Prozent der Fälle von Umweltverschmutzung passieren in den Ländern, in denen die meisten Kleidungsstücke hergestellt werden.
Doch in Afrika fehlt es an geeigneter Infrastruktur, um mit den Müllbergen umzugehen. Jede Sekunde wird eine LKW-Ladung an Kleidungsstücken verbrannt. Unterdessen treiben neue Akteure wie Shein die Produktion von immer mehr Billig-Kollektionen voran.
Die globalen Modemarken müssen ihr umweltschädliches lineares Geschäftsmodell ändern, den Materialfluss massiv verlangsamen und auf eine langsame, wirklich zirkuläre und faire Produktion umstellen, fordert die Umweltorganisation Greenpeace. Der Export von Textilabfällen aus der EU müsse verboten werden. Stattdessen solle die Produktion langlebiger hochwertiger Kleidung gefördert werden.
Auf den Druck diverser Umweltorganisationen hin verabschiedete die EU kürzlich eine Strategie für die Produktion nachhaltiger und kreislauffähiger Textilien. So soll es bis 2030 innerhalb der EU nur noch einen Markt für langlebige Textilien geben, die größtenteils aus Recyclingfasern bestehen. Derzeit werden weniger als ein Prozent der Kleidungsstücke zu neuer Kleidung recycelt.
Die Textilien sollen sozial- und umweltverträglich hergestellt werden und sich reparieren lassen. Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sollen die Hersteller Verantwortung für ihre Produkte übernehmen und ausreichende Kapazitäten für Recycling schaffen. Überschüssige Kleidung soll so selten wie möglich verbrannt oder weggeworfen werden.
Darüber hinaus braucht es eine klare Kennzeichnung von Textilien, zudem soll ein digitaler Produktpass eingeführt werden. Künftig soll es weder Überproduktion noch Überkonsumierung von Kleidung geben. Nicht verkaufte oder zurückgegebene Textilien dürfen nicht mehr vernichtet werden. Eine derart nachhaltige Kleidermode könnte auf afrikanischen Secondhand-Märkten Menschen ein Einkommen sichern, ohne Land und Flüsse zuzumüllen. Im günstigsten Fall hätte dann auch die einheimische Bekleidungsindustrie wieder eine Chance.
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