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Feindbild: Russland macht Information zur Waffe

Bild vom Cover des Berichts "The Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture and Money"

Nicht erst seit der Wahl werden Gegenmaßnahmen zum angeblichen russischen hybriden oder Informationskrieg von interessierten transatlantischen Kreisen gefordert

Ein Artikel in der Washington Post über angebliche russische Propaganda als Informationskrieg gegen den Westen hat sich auf obskure Quellen berufen (Propagandakrieg in den USA gegen Russland [1]). Eine Website mit dem Namen PropOrNot [2] hat eine Liste mit englischsprachigen Websites erstellt, die als Quellen und Verbreiter russischer Propaganda oder als nützliche Idioten bezeichnet werden. Darunter sind auch einige linke Websites oder solche, die der amerikanischen Politik kritisch gegenüberstehen: "Russia is Manipulating US Public Opinion through Online Propaganda. We're trying to stop it."

Angeblich geht die CIA bzw. gehen die US-Geheimdienste davon aus, dass Russland die Wahl zugunsten von Trump beeinflussen wollte. Man habe Hinweise auf Personen, die dem Kreml nahestehen und die gehackten DNC-Emails an WikiLeaks weitergegeben hätten. Ein Beweis für eine Verbindung zur russischen Regierung scheint aber zu fehlen, das Trump-Lager macht sich über die Geheimdienste lustig, beharrt darauf, dass es keine Beweise gebe, und sieht hinter der Kampagne letztlich den Versuch der Demokraten, die Wahl nicht als gültig anzuerkennen (US-Geheimdienste: Russland wollte Trumps Wahlsieg bewirken [3]).

Der Artikel hatte gerade bei den alternativen Medien für Aufruhr gesorgt. Und so wurde untersucht, welche Spuren sich zu Hintermännern von PropOrNot finden lassen. Nach einem Tweet [4] vom 7. November wurde die Antipropaganda-Propagandagruppe, sollte es eine sein, von Peter Pomerantsev [5] inspiriert. Er ist Mitarbeiter beim Legatum Institute in London und hat mit dem Information Warfare Project des transatlantischen Center for European Policy Analysis (CEPA) in Washington für den Bericht "Information War. Techniques and Counter-strategies to Russian Propaganda in Central and Eastern Europe" zusammengearbeitet, der im August veröffentlicht wurde. Er kann als einer der Hauptstrategen gelten, der unermüdlich über die Gefahren schreibt und spricht, die vom russischen Informationskrieg ausgehen, auch hybrider oder nonlinearer Krieg genannt. Russland beute "die Idee der Informationsfreiheit" - ein amerikanisches Konzept aus dem Kalten Krieg - aus, "um in die Gesellschaft Desinformation zu injizieren".

Wenn hier im Hinblick auf Propaganda vom "Informationskrieg" gesprochen wird, so soll dies von vorneherein die Gefährlichkeit Russlands suggerieren. Pomerantsev hatte schon 2014 in einem anderen Bericht, den er mit dem Neocon Michael Weiss (Chef des Magazins The Interpreter, das russische Propaganda aufdecken soll) verfasste, davon gesprochen, dass Russland Information, Kultur und Geld zur Waffe mache. Herausgegeben wurde der Bericht The Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture and Money [6] vom Institute for Modern Russia (IMR), gegründet von Mikhail Khodorkovsky, und von The Interpreter. Hervorgetreten ist er etwa durch die Verbreitung der These, dass im Kern der russischen Informationsstrategie die Vorstellung ist, "dass es keine objektive Wahrheit gibt". Russland also früher Vertreter der Ideologie des postfaktischen Zeitalters.

Mitgewirkt haben an dem Bericht mit dem Schwerpunkt auf der Ukraine auch Mitarbeiter der Thinktanks bzw. Lobbyorganisationen Freedom House und National Endowment for Democracy [7], beide werden von der US-Regierung grundfinanziert. Es geht um ein verzweigtes Netzwerk zur Verfolgung von politischen Interessen. Weiss und Pomerantsev schreiben auch in vielen Medien seit Jahren über den Informationskrieg Russlands und kommen in dem Bericht zu dem Schluss, dass Putins Russland "gefährlicher als eine kommunistische Supermacht" ist.

The ultimate aim of the Kremlin’s international media is not to make anyone like Russia. It is not PR or necessarily engaged in fact-based journalism. Instead, information is used to sow divisions, demoralize and disorganize - to weaponize information. … Their aim appears to have been to trash the information space with so much misinformation that a conversation based on actual facts would become impossible. This is not merely an information war but a war on information

Peter Pomerantsev vor dem Geheimdienstausschuss

Pomerantsevs Lobby-Arbeit scheint erfolgreich zu sein. So wurde er vom Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses zu einer Anhörung über Russia's Weaponising Information [8], also wie Russland Information zur Waffe macht, geladen, womit der Titel des Berichts aufgenommen wurde. Der Ausschussvorsitzende Edward R. Royce, ein Republikaner, verwies [9] auf den Kalten Krieg und sprach mit der Erwähnung eines Besuchs in der Ukraine von der "russischen Propagandamaschine" und der "informationspsychologischen Strategie des Kreml". Gegen den russischen "Krieg mit Information" müsse "unser Informationsraum" verteidigt werden, wiederholte er Thesen von Pomerantsev, beispielsweise durch Unterstützung von "NGOs" wie Stop Fake in Ukraine, The Interpreter (!) in den USA oder Bellingcat in Großbritannien. Dazu müsse "Qualitätsjournalismus" und "unabhängige russische Medien" gefördert werden.

Der Publikation geht es darum, wie man den "Informationskrieg gewinnt" [10]. Die Zusammenarbeit zwischen der Washington Post und dem Information Warfare Project, das von Pomerantsev und Edward Lucas vom CEPA betrieben wird, dokumentiert ein Artikel [11] über die Gefährlichkeit der russischen Desinformation, den Lucas zusammen mit der WP-Kolumnistin Ann Applebaum, die auch Mitarbeiterin bei CEPA und beim Legatum Institute ist, bereits im Mai geschrieben hat.

Applebaum, Frau des ehemaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski, ist mit zahlreichen konservativen und transatlantischen Organisationen wie dem American Enterprise Institute, dem Council on Foreign relations oder Institute for War and Peace Reporting verbunden. In der Washington Post konnte sie mit Edward Lucas von CEPA einen Meinungsartikel über die "Gefahr der russischen Desinformation" [12] zum Start der Information Warfare Initiative veröffentlichen.

Reinigung des Informationsraums

Das von Neocons [13] geleitete Legatum Institute (Slogan: "Prosperity Through Revitalising Capitalism and Democracy") wird finanziert vom gleichnamigen, vom Milliardär Chris Chandler 2007 gegründeten Investmentunternehmen mit Sitz in Dubai. Chandler hat mit seinem Bruder nach dem Zerfall der Sowjetunion seinen Reichtum in Russland kräftig vermehrt [14]. Das Unternehmen tritt für freie Märkte und freies Unternehmertum ein, also für einen ungezügelten Kapitalismus. Das angeblich unabhängige Institut soll "globalen Wohlstand und die Erweiterung der menschlichen Freiheit" fördern. Nebenbei: Auffällig ist, dass Wikipedia-Einträge in der Regel offenbar nur das Selbstverständnis oder die Propaganda vieler Unternehmen und Institutionen wiedergeben, Kritisches findet man immer weniger.

CEPA ist eine 2005 gegründete transatlantische Lobbyorganisation, im Beirat sitzen u.a. Madeleine K. Albright, Jan Krzysztof Bielecki, Anne Applebaum, Carl Bildt oder Zbigniew Brzezinski. Ziel ist die Schaffung eines "economically vibrant, strategically secure and politically free Central and Eastern Europe with close and enduring ties to the United States". Man ist offensiv atlantisch, eurozentristisch und auf den freien Markt orientiert. Finanziert wird CEPA vom Pentagon und von US-Rüstungskonzernen wie Boeing, Lockheed Martin Corporation, Raytheon und anderen Konzernen wie Chevron oder Sikorsky Aircraft sowie einigen Stiftungen.

CEPA hatte sich zunächst als ein Partner des National Center for Policy Analysis [15] (NCPA) bezeichnet, wie sich in der Wayback Machine erkennen [16] lässt, das aber später lieber weggelassen [17]. NCPA vertritt eine libertäre Ideologie, tritt für die Abschaffung der Unternehmenssteuer ein, soll u.a. von den Koch-Brüdern (Walmart) und Exxon Gelder erhalten [18] haben, um gegen die Klimaerwärmung Lobby zu betreiben.

Angeregt wurde PropOrNot offensichtlich von Weiss und Pomerantsev sowie den transatlantischen Interessengruppen, die sie vertreten und für die sie Lobbyarbeit treiben. Sie schlugen in ihrem Bericht genau das vor, was die angeblich "besorgten amerikanischen Bürger" von PropOrNot begannen auszuführen. So solle eine NGO geschaffen werden, "um ein internationales anerkanntes Ratingsystem für Desinformation zu schaffen und Analysewerkzeuge zur Verfügung zu stellen, um Kommunikationsformen zu definieren". Das heißt im Umkehrschluss, die Freiheit der Information einzuschränken und nichtkonforme Medien zumindest zu brandmarken. Was man in Russland heftig kritisiert, soll auch in den westlichen Ländern eingeführt werden.

Verdächtige Intellektuelle, Thinktanks, Kommentatoren und politische Berater müssen ihre Verbindungen zu Russland offenlegen, was heißt, dass sie beobachtet werden sollen, um russische Netzwerke aufzudecken. Dazu gehören auch Medien und Websites, die Propaganda oder Fakenews verbreiten. In Medien sollten "Counter-Disinformation"-Redakteure installiert werden, die gleich an der Quelle Zensur ausüben. Bevölkerungen sollten auch direkt beeinflusst werden, um sie nicht der russischen Propaganda anheimfallen zu lassen. Natürlich sagen sie, man müsse Zensur vermeiden, aber gleichwohl sollten "Medien, die bewusste Täuschung praktizieren, von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden". Was das sein soll, sagen sie nicht.

Ein erster Schritt wurde mit PropOrNot gemacht. Wer tatsächlich dahintersteht, ist nicht bekannt, was natürlich auch der von von Weiss und Pomerantsev geforderten Transparenz widerspricht. Es ist die Welt, wie sie in der Ukraine, gefördert von zahlreichen US-Organisationen, als Anti-Propaganda-Informationskampagne auftritt und dort etwa dazu führte, dass ebenso massiv wie in den russischen Medien Propaganda und einseitige Informationen verbreitet werden, aber dass auch eine Liste von tausenden Journalisten [19] von Hackern, die mit dem ukrainischen Geheimdienst kooperieren, ins Netz gestellt wurde, die verdächtig werden, prorussisch zu sein, weil sie einmal aus dem Donbass berichtet hatten und sich dafür akkreditieren mussten. Und das in einem Klima, in dem auch Journalisten getötet wurden. In der Ukraine werden Bücher, Filme und Sender zensiert und Künstler oder andere Personen ausgesperrt, die nicht genügend pro-ukrainisch sind.

Hoffnung, doch noch die Wahl anfechten zu können?

The Interpreter übt sich derweilen auch im McCarthy-Stil. So schrieb in dem Magazin der Ex-NSA-Mitarbeiter John Schindler unter dem Titel "Is a Top American Diplomat a Russian Agent?" [20], dass der frühere US-Botschafter der Nato und spätere Botschafter in Russland Alexander Vershbow ein "Beeinflussungsagent des Kreml gewesen sei. Die Story basiert auf einem Interview mit dem russischen Geschäftsmann und Putin-Gegner Konstantin Borovoy in einem ukrainischen Medium. Schindler breitet lediglich Verdächtigungen aus, aber beklagt, dass sich die Medien nicht um solche Fälle kümmern. Nach einem Artikel [21] in The Nation gab es offenbar kaum Unterstützung für Vershbow gegen die Schmierenkampagne, man hat Sorge, als pro-russisch wahrgenommen zu werden.

Und dann gibt es noch Alexandra Chalupa, die im Democratic National Committee mitgearbeitet hat und als Ukraine-Amerikanerin Lobbyarbeit für die Ukraine macht. Sie hatte während des Wahlkampfs Proteste [22] organisiert, als Trump Paul Manafort zu seinem Berater machte, ein "Trojanisches Pferd des Kreml". Im April soll sie dann zum Ziel von Cyberangriffen [23] geworden sein.

Auch wenn sie den DNC wohl nicht mehr berät und Manafort kein Berater von Trump mehr ist, setzt sie ihren Ehrgeiz darin, den Verdacht, dass Russland in die Wahl zugunsten von Trump eingewirkt hat, zu stärken, um noch Trump als Präsidenten zu verhindern. Damit ist sie Teil von interessierten Medien und Politikern, die Trump als Putinfreund diskreditieren und letztlich die Wahl als ungültig erklären wollen.

So setzt [24] sie auf die Initiative der amerikanischen Grünen, die Stimmen nachzuzählen. Und sie hat gerade einen Tweet ihrer Schwester retweetet [25]: "If GOP doesn't stand up to Putin now and do everything in its power to avoid Trump taking office, Russia blackmail will keep GOP in-check." Sie vermutet [26], dass RNC, in dessen Computer auch eingedrungen worden sein soll, erpresst worden sein könnte. Und sie sagt [27]: "Russians rigged their own elections, & this is how they rigged Ukraine's elections. Did they tamper in U.S. elections?" Ein Eingreifen in die US-Wahl hatte sie als "Kriegshandlung" [28] bezeichnet.

Die Kampagne gegen den hybriden russischen Krieg begann bereits vor der Annexion der Krim durch Russland. Im Hintergrund geht es um die Erweiterung der Nato und der Reaktion der russischen Regierung. Und beim ausgerufenen Informationskrieg darum, dass Russland erst vor kurzem staatliche Auslandsmedien wie RT oder Sputnik geschaffen, die das Weltbild Moskaus darstellen, was der Westen schon seit Jahrzehnten unter der Ideologie des "free flow of information" macht. Nachdem Russland den freien Informationsfluss auch nutzt, um ebenso wie europäische und amerikanische Medien in Russland Informationen im Westen auf Englisch, Französisch oder Deutsch zu verbreiten, herrscht im Westen Panik und wird die Doktrin des freien Informationsflusses in Frage gestellt und so getan, als habe der Westen die Wahrheit gepachtet und als gebe es keine westliche Propaganda, keine Spin doctors der Politik, keine interessengeleitete Thinktanks und keine Versuche, die Öffentlichkeit in Russland und anderen Ländern zu beeinflussen.

Die jahrzehntelang selbst ausgeübte Propaganda nun als Krieg oder als Waffe zu bezeichnen, ist eine deutliche Konfliktverschärfung, eine hybride Kriegsführung, von der man glauben machen will, dass sie nur die anderen im neu-alten Reich des Bösen machen. Die russischen Medien machen das Spiel vermutlich offensiver und sind weniger geschult, das hinter vorgeblichen Werten zu verstecken. Im Wettrüsten des Informationskriegs wird es freilich um so wichtiger, dass es wirklich unabhängige Medien gibt, die in Distanz zu beiden Seiten bleiben, denn im Wettrüsten bleibt die Wahrheit wie im Krieg auf der Strecke.

Und was den Wahl Sieg von Trump betrifft, dürfte weder Microtargeting noch Moskau dafür verantwortlich sein, sondern der falsche Kandidat der Demokraten.


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[3] https://www.heise.de/tp/features/US-Geheimdienste-Russland-wollte-Trumps-Wahlsieg-bewirken-3567989.html
[4] https://twitter.com/propornot/status/795675442367827969
[5] https://twitter.com/peterpomeranzev
[6] http://www.interpretermag.com/wp-content/uploads/2015/07/PW-31.pdf
[7] http://www.ned.org/events/the-menace-of-unreality-how-the-kremlin-weaponizes-information-culture-and-the-menace-of-unreality-how-the-kremlin-weaponizes-information-culture-and/
[8] https://foreignaffairs.house.gov/hearing/hearing-confronting-russias-weaponization-of-information/
[9] http://docs.house.gov/meetings/FA/FA00/20150415/103320/HHRG-114-FA00-Wstate-PomerantsevP-20150415.pdf
[10] http://www.li.com/activities/publications/winning-the-information-war
[11] https://www.washingtonpost.com/opinions/the-danger-of-russian-disinformation/2016/05/06/b31d9718-12d5-11e6-8967-7ac733c56f12_story.html
[12] https://www.washingtonpost.com/opinions/the-danger-of-russian-disinformation/2016/05/06/b31d9718-12d5-11e6-8967-7ac733c56f12_story.html
[13] https://pando.com/2015/05/17/neocons-2-0-the-problem-with-peter-pomerantsev/
[14] http://www.chandlergroup.com/publications/S_Sov.pdf
[15] http://www.ncpa.org/
[16] https://web.archive.org/web/20070203001509/http:/cepa.ncpa.org/about/
[17] http://cepa.org/about-cepa
[18] http://www.guardian.co.uk/environment/2009/jul/01/exxon-mobil-climate-change-sceptics-funding
[19] https://heise.de/-3567921
[20] http://www.interpretermag.com/is-a-top-american-diplomat-a-russian-agent/
[21] https://www.thenation.com/article/neo-mccarthyism-and-us-media/
[22] https://www.yahoo.com/news/exclusive-hacked-emails-of-dnc-oppo-researcher-point-to-russians-and-wider-penetration-154121061.html
[23] https://www.yahoo.com/news/16-people-who-shaped-the-2016-election-alexandra-chalupa-171541199.html
[24] http://gothamist.com/2016/11/17/russia_hackers_election_trump.php
[25] https://twitter.com/AndreaChalupa/status/807611793266900992
[26] https://twitter.com/AlexandraChalup/status/807489995988668416
[27] https://twitter.com/AlexandraChalup
[28] http://gothamist.com/2016/11/17/russia_hackers_election_trump.php