Flucht und Migration als Machtinstrument

Grenze zwischen Litauen und Belarus, 2008. Bild: jo.sau, CC BY 2.0

Migranten sind im Westen willkommen, wenn sie wirtschaftlichen Nutzen haben. Lukaschenko benutzt sie als Mittel zur Stabilisierung seines Staates und seiner Macht (Teil 2)

Alexander Lukaschenko missbraucht Flüchtlingsfamilien als Waffen gegen Europa.

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Ich habe deshalb auch mit dem russischen Präsidenten über diese Situation gesprochen und glaube, dass auch von dort klar gesagt werden muss, dass Menschen nicht sozusagen zu hybriden Zwecken missbraucht werden dürfen.

Angela Merkel, Pressekonferenz am 25.11.2021

Die Subsumtion der Weltbevölkerung, der Menschheit und des blauen Planeten unter den Zweck des marktwirtschaftlichen Gewinns sowie die dazu notwendige Subsumtion des Ganzen unter die okzidentale Weltaufsicht und Weltaufsichtskriege im Nahen und Mittleren Osten wie in Afrika, bildet die Urheberschaft des offensichtlich angebrochenen "Jahrhundert der Flüchtlinge".

Das ist die Ursache, der Ausgangspunkt und Anfang des Leidensweges der Schutzsuchenden und Flüchtlinge. Im Millionenheer der "Migrations- und Flüchtlingsströme" ist die okzidentale Weltherrschaft mit dem Ergebnis der politökonomischen Benutzung und Zerstörung der Heimatländer der Flüchtlinge, wie die Verwandlung ihrer Heimatländer in gescheiterte Staaten durch die Weltordnungs-, "Befreiungs-" und Stellvertreterkriege seitens der okzidentalen Weltherrschaft konfrontiert.

Aber auch daraus weiß die okzidentale Weltherrschaft noch eine produktiv-nutzbare Anwendung zu machen: die freiheitliche Begutachtung, Differenzierung und Selektion der Weltbevölkerung und Schutzsuchenden nach unerwünschten und erwünschten Nichtinländern.

In dem 1949 grundgesetzlich garantierten Asylrecht ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") wie im Gastarbeiter-Import der 1950-er- und 1960-er-Jahre findet die moderne (außen-) politische und ökonomische Instrumentalisierung der Menschheit ihren nachhaltigen Niederschlag nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Asylrecht ist ohnehin dem Begriff nach nichts anderes als die (außen-)politische Instrumentalisierung von Flüchtlingen gegenüber unliebsamen oder unliebsam gewordenen politischen Machthabern: gegenwärtig in Gestalt der außenpolitische Instrumentalisierung der belarussischen Oppositionellen gegenüber den am polnischen Grenzraum gestrandeten, zurückgestoßenen und misshandelten Flüchtlingen, auch sie, wie die Oppositionellen aus Belarus kommend.

Was den Gastarbeiter-Import und die aus ihm erwachsene zweite und dritte und folgende Generationen angeht: Ganz unbesehen ihrer italienischen, griechischen, (ex-)jugoslawischen, türkischen oder sonstigen geografischen, ethnischen oder religiösen Herkunft zählen sie gleich den je Einheimischen und hier Geborenen als in Ware Arbeitskraft verwandelte Eigentums- und Mittellose.

Als solche Existenzen konkurrieren sie auf dem entsprechenden Markt darum, um ihres (Über-)Lebens willen ein Leben lang vom Gewinninteresse benutzt, gebraucht und konsumiert zu werden.

Haben sie Glück und lohnen sich ihr Gebrauch und ihre ökonomische Instrumentalisierung für das betriebs- und marktwirtschaftliche Gewinninteresse, dann können sie (über-)leben; und zwar insofern ihre Bezahlung im Austausch reicht. Aber auch nur in diesem Maße.

Lohnt sich ihre produktive Konsumtion nicht für das betriebs- und marktwirtschaftliche Gewinninteresse, dann ist es über das Pech hinaus sprichwörtlich: ein großes Unglück. Gleich irgendwelchen nutzlosen Gegenständen schickt, entlässt sie das Gewinninteresse auf die Straße.

Von der Perspektive Staat, Standort und Nation aus betrachtet, zählen die mittellosen in- und ausländischen Eigentümer ihrer Arbeitskraft prinzipiell als sogenannte Kapital-, Human- oder Standort-Ressource.

Sind diese Eigentümer sogar staatsbürgerrechtlich anerkannte Mitglieder des eigenen, eben des Staats-Volkes, dann steht einer weiteren Benutzung, Instrumentalisierung und Konsumtion dieses ausgewiesenen Menschenschlages nichts im Wege: als Mitglied des Volkes, der lebendigen Säule des Staates, steht jeder Einzelne wie das gesamte Volk als außen- und innenpolitische Dispositionsmasse, als leibhaftiges Material der staatlichen Planung zur Verfügung, von der Wiege bis zur Bahre.

Am augenfälligsten beim "Staatsbürger in Uniform": Den setzen die politischen Machthaber hier wie andernorts in ganz anderer Weise als Lukaschenko ein. Nicht nur zu "sozusagen hybriden Zwecken" (Merkel). Sondern als staatlich beauftragte Gewalttäter, als lebendiges Tötungs- und Vernichtungsinstrument, ausgestattet mit modernsten technisch-gegenständlichen Tötungs- und Vernichtungsinstrumenten.

Gemäß der Losung: "Das Volk […] Es ist unabhängig von den gerade gegenwärtig Lebenden, denn es bleibt im Wechsel der Individuen bestehen." (Jellinek, 1929)1 So sind der Einzelne wie das Volk des Staates in jedem Fall Material, Instrument von Staat, Standort und Nation, wie es denn auch allerorten verkündet wird und heißt: "Die Kinder sind unsere Zukunft". Oder, mit anderen Worten:

Die Kinder der Armen sind im Frieden zukünftiges Material der Ausbeutung und im Krieg das Ziel der Sprengstoffe und Giftgase.

M.Horkheimer, 1932