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Flüchtlingshölle Hell-As

Wenn Mauern Probleme lösen könnten… Mediale Beachtung der Flüchtlings- und Asylkrise in Griechenland dank Mauerbau

Griechenlands Bauindustrie liegt brach, kaum jemand möchte im Pleiteland noch Wohneigentum erwerben. Nun soll es Dank der Regierung neue Arbeit für Mauerkonstrukteure geben. Ein 12,5 km langer "Schutzwall gegen Immigranten" soll nun die Grenze zur Türkei sichern (Griechenland will eine Mauer zur Türkei [1]).

Die Europäer zeigen sich erstaunt und teilweise erschreckt, dass mehr als einundzwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, des "Antifaschistischen Schutzwalls" [2] erneut ein Bauwerk zwei Staaten voneinander trennen soll. Diesmal schützt sich nicht der Osten vor dem Aderlass nach Westen. Das finanziell, gesellschaftlich und politisch instabile Griechenland als EU-Außenposten baut eine Barrikade gegen den Menschenstrom aus dem asiatischen und afrikanischen Raum. Erst durch den Mauerbau kommt das seit Jahren im Land schwelende Drama um Immigranten wieder auf die internationale Medienbühne und verdeckt die allseits üblichen Finanzmarktwasserstandsmeldungen. Allerdings beschränken sich die meisten Artikel auf eine Wiedergabe von Agenturmeldungen.

Ein Bankrottstaat als Asyldorado?

Es erscheint skurril, dass ein vom Bankrott bedrohter Staat wie Griechenland sich vor Wirtschaftsflüchtlingen schützen muss. Doch aufgrund des Dublin II-Abkommens [3] ist der griechische Staat für die auf seinem Gebiet ankommenden Asylbewerber verantwortlich. Die aus Afrika und Asien stammenden Immigranten hingegen wählen ihrerseits bevorzugt Griechenland als Eingangstor in die Europäische Union, da sowohl der Weg über Linienflüge nahezu unmöglich und die alternative Einreise in die hermetisch abgeriegelten Staaten Spanien, Italien oder gar Frankreich kaum realisierbar ist.

Je nach Statistik sollen aktuell etwa 90 Prozent der Flüchtlinge, die nach Europa gelangen, in Griechenland eintreffen. Leider gilt auch für diese Statistiken die Einschränkung, da es sich um "Greek Statistics" handelt. So beharren viele Linke darauf, dass die Zahl der im Land befindlichen Asiaten und Afrikaner ohne Aufenthaltsstatus kleiner als 800.000 ist, während rechtskonservative Kreise allein in Athen mehr als 1,5 Millionen "Illegale" vermuten.

Genau weiß es niemand, denn wirklich gezählt hat die im Land befindlichen Asylflüchtlinge keine Behörde. Die meisten Zahlen stammen von den Interessengruppen der Immigranten, Festnahmestatistiken und aus den allseits üblichen Schätzungen. Ministerpräsident Georgios Papandreou versprach deshalb zum wiederholten Mal, dass seine Regierung das "Problem der Einwanderung" endlich lösen würde.

Die seit dem vergangenen September für Asyl- und Immigrationsfragen zuständige Ministerin Anna Dalara, gleichzeitig Ehefrau und Vollzeitmanagerin des international bekannten Sängers Georgios Dalaras und Verwalterin von 35 eigenen Immobilienobjekten, hat deswegen bereits angekündigt [4], dass man 2011 die Asylbewerberzahl durch eine koordinierte Zählung ermitteln werde. Dafür müsse natürlich nur noch ein Gesetz verabschiedet, eine Kommission gegründet und diese mit "unabhängigen Experten" besetzt werden. Klar, dass für solch ein Unternehmen erst einmal Gelder gefunden werden müssen.

Ungefähr vier- bis fünftausend Euro zahlen Pakistanis, Iraker oder Kurden nach eigenen Angaben an ihre Schlepper. Geld, das sie meist über Kredite ihrer Großfamilien, Verkäufe ihrer gesamten Habe und nur auf den ersten Blick zeitlich begrenzte Versklavungsverträge finanzieren. Zu den Schlepperbanden zählen - den konservativen Medien nach - vor allem die "lieben Feinde aus der Türkei, die den christlich orthodoxen Staat mit einem Heer Moslems unterwandern wollen". Gemäßigtere Kreise verweisen mit gewissem Recht darauf, dass es seit Ephialtes von Trachis [5] stets auch eines Griechen bedürfe, um ins Land zu gelangen. Sie vermuten eine Verwicklung inländischer, organisierter Kriminalität in das Schlepperwesen.

Ziel der Flüchtlinge ist nicht der hellenische Sonnenstaat, sie wollen viel lieber ins verregnete Deutschland, nach Großbritannien oder Frankreich gelangen. Aus diesem Grund versuchen viele, sich illegal in einem Fährschiff zu verstecken und so über Italien in den ersehnten Norden zu kommen. Dank Dublin II schicken die italienischen Behörden auf hellenische Kosten jeden aufgegriffenen illegalen Einwanderer zurück nach Griechenland. Sollte es jemandem gelingen, weiter in den Norden vorzustoßen, so droht auch dort trotz gegenteiliger Gerichtsurteile, wie zum Beispiel in Österreich, die Rückführung nach Hell-As [6]. Europäische Regierungen kennen die dramatische Lage von Immigranten in Griechenland. Wegschauen und Abschieben ist jedoch wirtschaftswirtschaftlich die preiswertere Lösung.

Ein typisches Fallbeispiel einer Asylantenkarriere in Hellas

Gelangt ein Flüchtling auf seiner Odyssee in den gelobten europäischen Westen nach Griechenland so meldet er sich meist bei der nächstgelegenen Polizeistation. Das wird den Meisten vor dem Grenzübertritt von ihren Schleppern geraten und soll glimpflicher ausgehen als ein polizeilicher Aufgriff weiter im Landesinneren.

Auf der Polizeistation erwartet der Asylbewerber die Möglichkeit, einen Antrag auf politisches Asyl zu stellen, wird aber von den Gesetzeshütern mit einer Verhaftung überrascht. "Illegaler Grenzübertritt" lautet der Vorwurf, der sowohl Wirtschaftsflüchtlinge als auch offensichtliche politische Flüchtlinge betrifft. Es erfolgt keine Aufklärung über Rechte. Die Stellung eines formgerechten Asylantrags ist praktisch unmöglich. Während der Dauer der Festnahme und vor einem Gerichtsentscheid müssen die Neuankömmlinge meist tagelang in überfüllten Arrestzellen einer Polizeistation vegetieren. Diese Zellen verfügen weder über eine Schlafmöglichkeit noch über sanitäre Anlagen und natürlich nicht über Klimaanlagen oder Heizungen.

Ohne Einzelfalluntersuchung wandern die aufgegriffenen Schutzsuchenden zunächst in eine Haftanstalt. Diese Abschiebehaftlager werden unabhängig von den normalen Zuchthäusern betrieben. Die Haft kann, je nach Herkunft des Flüchtlings oder Kapazität der Lager, mehrere Monate andauern. Dabei werden auch unbegleitete Minderjährige unabhängig vom Alter zusammen mit Erwachsenen in gemeinsame Lager gesteckt, so amnesty [7].

Asylantrag? Eine perfekte Falle - es geht weder vor noch zurück!

Teilweise fehlt es in diesen im Volksmund "Konzentrationslager" genannten Stätten auch an rudimentären Hygienemöglichkeiten, oft ist Nahrung knapp. Anfang November wurde bekannt, dass im Asylantenlager Lavrion auch für Säuglinge nur Zuckerwasser zur Verfügung stand. Eine medizinische Versorgung war überhaupt nicht möglich. Der Staat - so die meist lapidare Antwort von behördlicher Stelle - sei halt pleite.

Während der Haftdauer bemühen sich die Behörden meist darum, die Flüchtlinge im Rahmen eines Rücknahmeabkommens mit der Türkei los zu werden. Die Türkei allerdings nimmt nach ständiger Änderung des Vertrags nur begrenzte und auf Herkunftsnationen beschränkte Kontingente wieder auf. So kann es leicht passieren, dass seitens der Behörden Afghanen als leichter abzuschiebende Iraker klassifiziert werden. Umgekehrt versuchen viele Iraker als Palästinenser aufzutreten. Eine Behandlung des Asylbegehrens findet zu diesem Zeitpunkt und unter derart chaotischen Umständen noch nicht statt.

Im Anschluss an die Haft werden die Immigranten im wahrsten Sinn des Wortes auf die Straße gesetzt [8]. Abermals betrifft das Verfahren ohne besondere Differenzierung auch minderjährige Jungendliche und Kinder. Die Asylsuchenden erfahren, so sie die Sprachbarriere überwinden können oder einen Helfer gefunden haben, dass sie das Land innerhalb von dreißig Tagen verlassen müssen. Alternativ kann in Athen oder Thessaloniki ein Asylantrag gestellt werden. Allerdings müssen die Immigranten vorher noch ihre Reise nach Athen finanzieren. Bei den aktuellen Preisen im Land ist dies bereits ein teures Unterfangen, das sich selbst Einheimische kaum noch leisten können.

Dass Anträge in den hoffnungslos unterbesetzten Asylzentren erst nach der Überwindung sich täglich neu bildender langer Warteschlangen gestellt werden können und dass die Behandlung der Anträge meist mehr als ein Menschenalter in Anspruch nimmt, davon erfahren die Meisten schlicht nichts. Dies zumindest ergab eine zum Zweck der Erstellung dieses Artikels durchgeführte nichtrepräsentative Befragung von Flüchtlingen in Athen. Viele Antworten bestätigten die bereits von Amnesty International gemachte Feststellung, dass das "white paper" genannte Abschiebeurteil von den meisten als Aufenthaltserlaubnis angesehen wird.

Daher streben viele Immigranten zunächst nach Athen oder Thessaloniki. Dort müssen sie ihr Überleben ohne staatliche Hilfe, ohne Arbeitsrechte und zunächst auch ohne Unterkunft sichern. Allerdings können sie in Großstädten auf die Hilfe von Landsleuten und griechischen Flüchtlingsbetreuungsvereinen hoffen. Hartgesottene und entschlossene Einwanderer streben dagegen direkt in die westlichen Hafenstädte, die ein Weiterkommen nach Italien versprechen. Dort jedoch sehen sie sich mit mafiösen Strukturen konfrontiert.

Nach Italien können die Menschen ohne gültige Reisepapiere natürlich nicht auf dem offiziellen Weg gelangen. Es reicht also nicht, eine Fahrkarte für eine Fähre zu kaufen. Vielmehr kampieren die ausreisewilligen Zwangsgriechenlandbewohner um die Hafenanlagen herum in Slums. Ziel ist es, in den Laderaum eines Lastwagens oder in einen Urlauberwohnwagen zu gelangen. Da nach geltendem Recht bei Entdeckung des "Schwarzfahrers" auch dem Fahrer und dem Halter des jeweiligen Fahrzeugs eine empfindliche Haft- und Geldstrafe wegen Menschenschmuggel droht, ist die Reaktion der Fahrer oft brutal. Berufsfahrer übernehmen aus Angst vor Strafe auf diese Weise die Rolle der machtlosen Polizei. Denn bei Auffindung eines Flüchtlings im Fahrzeug hilft auch Unwissenheit nicht vor Strafe. Wird ein Fahrer mit "nicht legalisierter Menschenfracht" erwischt, so wird das Fahrzeug auch dann zunächst konfisziert, wenn der Fahrer den Eigentümer von jeglicher Mitwisserschaft frei spricht. Für ein Fuhrunternehmen kann so etwas den Ruin bedeuten.

Darüber hinaus werden die Erfolg versprechenden Gebiete um die Fährhäfen herum von Banden kontrolliert. In Patras sind derzeit die Afghanen Herrscher des Slums, in anderen Häfen teilen sich verschiedene Gruppen die Schutzgeldforderungen an Ausreisewillige. Auch von offizieller Seite gezielt gesteuerten Gerüchten zu Folge sollen sich unter den Afghanen viele ehemalige Talibankämpfer befinden. Die Polizeibehörden geben sich machtlos.

Ein Polizeioffizier meinte gegenüber Telepolis:

Schauen Sie, wenn ich jemanden aus dieser Gruppe festnehme, dann ist er meist bis zum Prozessbeginn wieder auf freien Fuß. Die Gefängnisse sind übervoll. Vor einigen Monaten hat ein Afghane bei seiner Festnahme sogar auf mich geschossen. Nun darf ich gegen ihn bald vor Gericht aussagen. Dabei werde ich, natürlich ohne besonderen Schutz, in einen Gerichtsaal treten, in dem all seine Freunde im Zuschauerraum sind. Ich kann durchaus verstehen, dass viele Kollegen vor allem mit Hinblick auf unsere vom IWF noch gekürzte miserable Bezahlung deshalb lieber wegschauen. Schließlich verdient ein "Sonderwachtmeister" mit Zeitvertrag nur knapp 700 Euro im Monat. Sollte er dafür sein Leben riskieren?

Fazit: Die ineffektive Polizei erleichtert die Ausbeutung schutzloser Immigranten. Der fehlende politische Willen zur Schaffung eines wirksamen Asylsystems schafft zusammen mit dem Dublin II-Abkommen die Voraussetzung für humanitäre Dramen, die aktuelle Finanzkrise liefert den Rahmen für absolut menschenunwürdige Zustände und Europa schaut zu.

Im Urlaubsparadies herrschen menschenunwürdige Zustände für Flüchtlinge

Griechenland ist nicht erst seit dem Ausbruch der Finanzkrise ein gefährliches Pflaster für rechtlose Einwanderer. Bereits 2007 monierte [9], von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, dass Flüchtlinge in Griechenland schwere Menschenrechtsverletzungen erleiden müssten. Die damals regierende konservative Nea Dimokratia hatte keine Konzepte, Waldbrände im eigenen Land [10], Justizskandale (Von Richtern, die in Kirchen gehen [11]) oder ministerielle Fehltritte inklusive der Verschleppung von Asylanten zu (Griechische Regierung: Skandale und Bauernopfer [12]) zu bekämpfen. Für die Lösung von Asylproblemen blieb deshalb kaum Zeit. Hin und wieder gelangte eine Meldung [13] über misshandelte Immigranten ins Ausland, aber im Großen und Ganzen hatte sich ein Teil der Gesellschaft mit der Präsenz der Einwanderer arrangiert. Der ehemalige konservative Sozialminister Vasilis Manginas hatte gar einen Inder "eingeladen". Dieser sollte im Gegenzug Manginas fürstliches Anwesen in Schuss halten. Des Ministers Gastfreundlichkeit erschien vielen zu unglaubhaft. Manginas musste seinen Stuhl räumen [14], hatte allerdings trotz des Schwarzarbeiterförderungsverdachts keine besonderen juristischen Konsequenzen zu fürchten.

Doch auch die aktuelle PASOK-Regierung scheint vor solchen Phänomenen nicht geschützt zu sein. Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 2010, stürzte [15] ein ägyptischer Fensterputzer ungesichert von der Fassade des Ministeriums für Arbeit. Nicht nur der fehlende Arbeitsschutz ist pikant für das Ministerium, der Mann arbeitete buchstäblich vor den Augen des für Arbeitsrecht und Sozialversicherungspflicht zuständigen Ministers ohne Anmeldung und unversichert.

Willkommen waren die Flüchtlinge seitens der herrschenden oberen Zehntausend lange Zeit als Geldlieferanten. Das ging so lange gut, wie es Arbeit für billige Schwarzarbeiter für Olympiabauten, Straßen, mühsame Feldarbeit und in gesundheitsgefährdenden Industriejobs gab. Der konservative Innenminister Prokopis Pavlopoulos war vor Jahren sogar erfreut [16], dass Griechenland so attraktiv für Immigranten sei. Darüber hinaus verdienten einige Rechtsanwälte, Hausbesitzer und Steuerberater gut an den Immigranten.

Rechtlose Immigranten dienten in der Vergangenheit als Finanzquelle

Die Advokaten nahmen sich der Immigranten an, um deren Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Die überufernde griechische Bürokratie macht es einem Außenstehenden unmöglich, auf einfachem Weg an sein Recht zu gelangen. Was für einfache rechtliche Fällte bereits als nicht zu bewältigendes Lebenswerk erscheint, wird für einen sprachunkundigen Asylbewerber zur Sisyphusarbeit kombiniert mit Tantalusqualen. Nicht selten arbeiteten listige Anwälte zusammen mit bestechlichen Polizeibeamten, um entweder durch sanfte Erpressung [17] oder aber mittels "freundlicher Bereitstellung falscher Papiere" Geld vom Asylbewerber zu erhalten.

Da auch ein vorläufiger Aufenthaltsstatus nicht von der Pflicht befreit, einen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen zu müssen, wurden die meisten Immigranten Kunden von Steuerberatern. Die Angabe von Schwarzarbeit, nur solche gibt es für die meisten Immigranten, ist als offizielle Lebensfinanzierung gegenüber den griechischen Behörden nicht unbedingt sinnvoll.

Gewitzte Steuerberater lieferten deshalb, natürlich gegen einen Obolus, die notwendigen Lohnabrechnungen. Für den Steuerberater rechnen sich solche Geschäfte meist doppelt, kann er doch mit den Immigranten als Strohmännern gegen einen weiteren Obolus Schwarzgeld anderer Kunden "waschen".

Es ist wie so oft in Hellas. Alle wissen über einen Missstand bescheid, sogar medial wird mittlerweile offen über diese Geldwäschemethode diskutiert, aber Schuldige lassen sich natürlich nie finden. Es ist halt nur seltsam, dass es laut behördlichen Statistiken einige Steuerberater gibt, deren Kundschaft zum überwiegenden Teil aus Asylanten und Reichen besteht. Dass die meisten Asylanten mit Familie dabei genau 11.999 Euro, also genau den steuerfreien Familiensatz, verdienen, ist bei solchen Statistiken nur ein unwesentliches Detail. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Schließlich blieben in der Verwertungskette als weitere Nutznießer die Besitzer von verfallenden Wohnhäusern oder unvermietbaren Kellerwohnungen. Diese meist bestenfalls als Vegetationsstätten zu bezeichnenden Immobilien wurden vollkommen überteuert an obdachlose Asylsuchende vermietet. Als besonders günstig für den Häuslebesitzer erwies sich dabei die Rechtsunkenntnis der Ausländer. Ohne oder nur mit fälschlich niedrig taxiertem Mietvertrag konnten Steuern gespart werden.

Ghettos und medial geförderte soziale Konflikte

Es war den in "besseren" Vororten wohnenden Immobilienbesitzern schlicht egal, dass in der Folge der exzessiven Überbelegung solcher Wohnungen mit Asylanten meist ganze Viertel zu Ghettos wurden. Die sozialen Probleme, die sich im Umfeld der vor allen in Athen entstandenen Ghettos ergaben, blieben lange Zeit medial unbeachtet. Kaum eine Zeitung traute sich an das Thema heran. Zu verquickt sind in Griechenland Industrie, Politik, Großbürgertum und die Medien. In den ärmeren Wohnbezirken wuchs deshalb lange unbemerkt die Pflanze des Rassismus und der weltweiten Verschwörungstheorien. In Athen konnten vor allem aufgrund jüngst medial angeheizter Xenophobie selbsternannte Nazis ins Stadtparlament einziehen.

Denn zwischenzeitlich haben die griechischen Medien das Thema Asyl als Aufmacher entdeckt. Es geht leider nicht oder nur selten darum, die menschenunwürdigen Lebensumstände aufzuzeigen und Fehler in der Regierungspolitik zu monieren. Stattdessen werden vor allem seitens der Privatsender täglich neue Zahlen über das Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens durch "Illegale" präsentiert.

Nach neuesten griechischen Reportagen soll allein der von den Immigranten betriebene Schwarzhandel 44 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr garantieren. Das alles natürlich steuerfrei und zu Lasten der klammen Staatskasse. Typisch ist das Bild jammernder Geschäftsleute, die angesichts existenzbedrohender Umsatzrückgänge beklagen, dass um ihr Ladengeschäft herum im wilden Straßenverkauf zahllose Asylanten Raubkopien der im Laden teuer verkauften Waren präsentieren würden.

Diese Feststellung ist in der Tat zutreffend, verrät jedoch lediglich die halbe Wahrheit. Fast auf jedem Bürgersteig Athens finden sich meist Afrikaner oder Pakistanis, die allerlei Raubkopien feilbieten. Diese oft qualitativ schlechte Ware beziehen die Immigranten zusammen mit aktuellen Kopien von kommerziell erfolgreichen DVDs und CDs aus Lagern. Hin und wieder wird solch ein Lager medienwirksam ausgehoben.

Über die Verhaftung etwaiger Hintermänner gibt es so gut wie nie Angaben. Es ist zu vermuten, dass an irgendeinem Punkt der Verwertungskette der Raubkopien inländische Kräfte am Werk sind. Denn wie sonst sollten Containerladungen voll mit Adidas-, Puma-, Lacoste- und Rolexkopien ins Land gelangen? Befragt man die Straßenverkäufer selbst, so geben sich diese sehr bedeckt.

Auffällig ist zumindest, dass für die Dauer der olympischen Spiele 2004 kein einziger Straßenverkäufer sichtbar war. Es gab und gibt auch immer noch keine Raubkopie der zu Gunsten Griechenlands lizenzierten Olympiamaskottchen zu kaufen. Besonders reich scheinen die Straßenverkäufer mit ihrer Ware nicht zu werden. Manchmal kommt es zu Festnahmen der Schwarzmarkhändler. Dabei treten die zugreifenden Polizeikräfte zur Freude der ansonsten krisengequälten Händler in skurril erscheinender Form betont martialisch auf. Anderntags sieht man Polizisten, die sich gerade preiswert ein Markengeschenk für die Lebenspartnerin kaufen.

Allerdings bleiben den Immigranten nicht viele Erwerbsmöglichkeiten offen. Sie können betteln, Autofensterscheiben an Ampeln waschen oder Waren verkaufen. Es verstärkt sich der Eindruck, dass die fliegenden Händler ihre Ware lediglich in Kommission verkaufen. Diese Option fehlt dagegen in den meisten griechischen Reportagen.

Gewitzte Asylanten werden selbst zu Profiteuren

Dafür wird umso mehr darüber berichtet, dass sich eine Oberschicht in der Immigrantenszene entwickelt hat. Diese meist erfahreneren Immigranten nutzen ihre Leidensgenossen aus. So mieten vor allem die gut untereinander vernetzten Afghanen Wohnraum an und gewähren obdachlosen Asylsuchenden für 30 Euro pro Nacht ein Bett in überfüllten Räumen.

Darüber hinaus gründen die wenigen Glücklichen, die es geschafft haben, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen, Einkaufsläden für Landsleute. Es gibt im sechsten und siebenten Bezirk Athens zahlreiche arabische, pakistanische, russische, georgische, nigerianische und sonstige auf bestimmte Länder bezogene Geschäfte. Selten kommt es vor, dass ein Angehöriger einer anderen Nation in einem "fremden" Laden einkauft. Vor allem Afrikaner haben sich auf den Betrieb von Western-Union-Geldtransferbüros konzentriert, während Pakistanis und Araber oft Telekommunikationsläden eröffnen.

So bilden sich eigenständige Wirtschaftskreise innerhalb der Einwanderer und parallel zu den darbenden hellenischen Einzelhandelsunternehmen. Da es außer privaten, meist seitens linker Gruppierungen unterstützten Initiativen kaum Integrationshilfen für die Immigranten gibt, wird die Ghettobildung so weiter gefördert. In den von Immigranten bevorzugten Wohngebieten gibt es Schulklassen, bei denen der Anteil ausländischer Schüler mehr als 80 Prozent beträgt.

Die dort ausgebildete junge Generation spricht Griechisch und versucht sich in die Gesellschaft zu integrieren, trifft aber oft auf Unverständnis und Hass. Dem gegenüber steht ein stetig wachsender Rassismus sowohl seitens der Griechen als auch von Seiten der Einwanderer. Zu sehr fühlen sich viele Einwanderer von der feindlich auftretenden griechischen Bürokratie gepiesackt. Die behördliche Arroganz wird auf alle Griechen projiziert und so entwickelt sich ein gefährlicher Teufelskreis. Je weiter die Finanzkrise fortschreitet, je schärfer die Sparpolitik der Regierung die arbeitende Bevölkerung trifft, umso mehr sinken die Überlebensmöglichkeiten für Immigranten. Die Kriminalitätsrate vor allem seitens der ausgehungerten Immigranten steigt rasant an. Dabei kommt es mittlerweile selbst bei Raubbeuten von zwanzig Euro vermehrt zur Gewaltanwendung.

Kinderprostitution als letzter Ausweg

Überschattet wird das Verhältnis von Griechen und Immigranten von einem weiteren heißen Thema, der Prostitution. Nachts sammeln sich in zentralen Straßen Athens an den Ampeln dutzende minderjährige Prostituierte. Die meisten der Mädchen stammen aus Afrika, Osteuropa, China oder Pakistan und wirken verstört, sprechen aber alle Passanten und vor allem Autofahrer an.

Einer seltsamen Regel gehorchend, stehen die Mädchen oft nach Herkunft getrennt. Einige mutige werfen sich geradezu provokativ auf die Motorhauben von Autos, die an Ampeln stoppen. Laut hörbar werden Verhandlungen geführt, "30 Euro", "20 Euro", "zehn …fünf…". In unmittelbarer Umgebung zu den für jeden offensichtlich minderjährigen Mädchen stehen in betont martialischer Pose Zuhälter. Zu den Kunden der Missbrauchsopfer zählen andere Immigranten, aber auch inländische und ausländische Päderasten. Der ausgedehnte Straßenstrich liegt mitten in dicht bewohnten Wohngebieten und Geschäftsstraßen. Es ist unmöglich, nach Mitternacht den zentralen Athener Omoniaplatz zu umfahren, ohne auf den Babystrich zu treffen.

Trifft man als Passant eine Polizeistreife und spricht diese auf die Misere an, so erhält man als Ergebnis meist eine intensive Kontrolle der eigenen Personalien und den undiplomatisch formulierten Rat: "Verpiss Dich! Wir haben unsere Befehle." Bei einer dieser Aktionen bemerkte ein Passant mir gegenüber, "Du kannst nichts machen, wir rufen täglich die Polizei an, zeigen an, aber keiner kümmert sich!" Oft landen solche Anwohner später bei einer rechtsradikalen Gruppierung. Sie fühlen sich von allen anderen missverstanden.

Entsprechend verärgert reagieren natürlich auch die inländischen Prostituierten. Sie sehen ihre Pfründe durch die Dumpingpreise der Konkurrenz gefährdet. Die illegale Prostitution der Asylanten beschränkt sich nicht nur auf minderjährige Mädchen, auch Jungs, Frauen und Männer sind beteiligt. Nicht selten kommt es dabei zu Gewaltverbrechen. Prominentestes Opfer solch einer Gewalttat wurde 2008 der beliebte Schauspieler Nikos Sergianopoulos [18].

Viele der ausländischen Prostituierten stehen unter Zwang. Sie müssen mit Sexarbeit überteuerte Schleppergebühren und ihren teuren Aufenthalt finanzieren. Immer wieder werden im Ursprungsland Familienangehörige als Geiseln gehalten. In den wenigen Reportagen, die zum Thema erschienen sind, wird betont, dass die Opfer sexueller Ausbeutung, wenn sie sich beim Staat melden, oft erneut ausgenutzt werden. Nicht selten landen die Prostituierten nach Aufnahme in "Schutzprogrammen" in Bars, in denen sie angeblich als Serviererinnen arbeiten sollen. Leider handelt es sich dabei vermehrt um verdeckte Zwangsprostitution. Aufgrund von Personalmangel können diese Fälle polizeilich nur selten erfasst werden.

Die Regierung reagierte auf diesen Missstand mit einer Gesetzesnovelle [19]. Seit dem 23. Dezember 2010 droht bei illegaler Prostitution nur noch eine Geldstrafe. Da laut Gesetz 3904/2010 auch Zuhältern nur Geldstrafen drohen, sind den polizeilichen Ermittlungsbehörden bei Verdacht des sexuellen Menschenhandels in Zukunft die Hände gebunden. Ein Rotlichtverstoß im Straßenverkehr gilt als schlimmeres Verbrechen. Zu diesem Schluss kam der Minister für Justiz, Transparenz und Menschenrechte, Haris Kastanidis, zusammen mit seinen Kollegen vom Finanzministerium, Georgios Papakonstantinou, dem Innenminister Jannis Ragousis, dem Außenminister Dimitris Droutsas, dem stellvertretenden Umweltminister Nikos Sifounakis und dem Bürgerschutzminister Christos Papoutsis. Sie alle unterschrieben die Novelle gemeinsam mit dem Staatspräsidenten Karolos Papoulias.

Wundert es in diesem Zusammenhang, dass der Bürgerschutzminister Christos Papoutsis im zu erbauenden europäischen Schutzwall die ultima ratio der Lösung des Asylproblems sieht? Er legte diesen Lösungsvorschlag anlässlich eines Neujahrsempfangs Staatspräsident Papoulias vor. Dieser betonte [20], dass die Problematik der Flüchtlinge nun doch endlich gelöst werden müsse, das Volk könne keine weiteren Belastungen ertragen.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Griechenland-will-eine-Mauer-zur-Tuerkei-3388159.html
[2] http://www.berliner-mauer.de/
[3] http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_persons_asylum_immigration/l33153_de.htm
[4] http://www.enet.gr/?i=news.el.oikonomia&id=237523
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Ephialtes_von_Trachis
[6] http://news.orf.at/stories/2026260/
[7] http://www.amnesty.org/en/library/asset/EUR25/002/2010/en/07291fb2-dcb8-4393-9f13-2d2487368310/eur250022010en.pdf
[8] http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/a_Startseite_und_Aktionsseiten/Startseite/2010__ab_April_/Evros_Reisebericht_2010.pdf
[9] http://www.proasyl.de/de/ueber-uns/stiftung/projekte/griechenland-projekt/dokumentation-griechenland/
[10] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2753370,00.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Von-Richtern-die-in-Kirchen-gehen-3438381.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Griechische-Regierung-Skandale-und-Bauernopfer-3420053.html
[13] http://www.hintergrund.de/20090713423/politik/politik-eu/griechenlands-immigranten-ein-humanitaeres-drama.html
[14] http://www.athensnews.gr/issue/13355/19968
[15] http://www.thedailynewsegypt.com/crime-a-accidents/greek-labor-ministry-covered-up-egyptian-worker-accident-reports-dp1.html
[16] http://www.youtube.com/watch?v=USfAbtOmKqc
[17] http://www.patris.gr/articles/146709?PHPSESSID=gfcn0o39jh3ilgsrfvo63ditk4
[18] http://en.wikipedia.org/wiki/Nikos_Sergianopoulos
[19] http://www.zougla.gr/page.ashx?pid=2&aid=230387&cid=4
[20] http://www.megatv.com/megagegonota/summary.asp?catid=17533&subid=2&pubid=21331756