Frankreich: Atomaufsicht schweigt zu Konstruktionsfehlern
In China sind zwei Atomreaktoren der dritten AKW-Generation in Betrieb gegangen, doch nun wurde über Whistleblower eine Erklärung für den Gasaustritt in Taishan geliefert
"Eine neue Episode in der Saga der (verfluchten) dritten Generation von Druckwasserreaktoren EPR", schrieb die französische Tageszeitung Libération zu den Vorgängen im südchinesischen Taishan. Das dortige Atomkraftwerk wird vom staatlich dominierten französischen Energiekonzern Electricite de France (EDF) und der chinesischen Gruppe China General Nuclear Power Group (CGN) als Joint Venture betrieben.
Die Probleme in Taishan könnten den definitiven Todesstoß für den sogenannten "European Pressurized Reactor" (EPR) bedeuten, mit dem Frankreich die Renaissance der Atomkraft einläuten wollte. Das ist inzwischen fast 20 Jahre her und in Europa konnte kein einziger der angeblich sichereren Atommeiler ans Netz gebracht werden.
Von den "verfluchten" EPR-Baustellen im französischen Flamanville und in Olkiluoto vor der Westküste Finnlands hat Telepolis immer wieder berichtet. Seit 2005 werkelt man in Finnland und seit 2006 in Flamanville am EPR herum. Libération stellt dazu sogar fast verniedlichend fest, dass sich an beiden Projekten die "Verzögerungen häufen". Olkiluoto sollte schon 2009 ans Netz gehen, Flamanville 2012. Liberation stellt fest, dass es nun am "einzigen Standort der Welt", an dem die Inbetriebnahme gelungen ist, im chinesischen Taishan, die "neue Technologie" nur "mit Pannen funktioniert".
Dementi und Warnung
Tatsächlich kam es mindestens in einem der beiden Meiler schon im vergangenen Juni zu einem rätselhaften Gasaustritt, wobei natürlich in Peking ein Anstieg der Radioaktivität dementiert wurde. Die EDF-Tochter Framatome warnte allerdings vor einer "unmittelbaren radiologischen Bedrohung". Tatsächlich wurde Taishan I schließlich Ende Juli abgeschaltet, denn es war zu Beschädigungen an Brennelementen gekommen.
Mit dem Hinweis auf Whistleblower aus der Atomindustrie lieferte nun die "Kommission für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität" ( "Commission de recherche et d'information indépendantes sur la radioactivité", kurz Criirad) Erklärungen und führte die Probleme auf "Konstruktionsfehler am Reaktordruckbehälter" zurück, die zum frühzeitigen Verschleiß führen und die Sicherheit der Reaktoren in Frage stellen würden. Bruno Chareyron von Criirad erklärt, dass es zu "schweren Fehlfunktionen" und zu "abnormalen Vibrationen" kommt.
"Diese Vibrationen sind bereits bei der Inbetriebnahme von Taishan 1 im Jahr 2018 festgestellt worden." Die schlechte Verteilung des Primärkühlmittels im Tank führe zu den starken Vibrationen der Brennelemente. Die hätten die Hüllrohre der Brennstäbe beschädigt, was zum Austritt von radioaktiven Gasen geführt habe. Lecks hätten die Kraftwerksbetreiber schon Oktober 2020 festgestellt, die sich in den Monaten danach immer weiter verschlimmert hätten.
Modellversuche bei Framatome im französischen Le Creusot, woher auch der bekanntlich schadhafte Reaktorbehälter stammt, der in Flamanville verbaut wurde, seien bereits 2007 und 2008 durchgeführt worden. Dass es in der früheren Areva-Schmiede in "Forges Creusot" wahrlich nicht mit den besten Dingen zugegangen ist, ist längst bekannt. In der Schmiede waren Sicherheitszertifikate für Bauteile gefälscht worden.
Criirad stellt nun die Frage, inwieweit die großen Probleme in Taishan auch die Baustellen in Flamanville, Olkiluoto oder auch die beiden EPR-Neubauten im britischen Hinkley Point und hat von der Atomsicherheitsbehörde (ASN) Aufklärung gefordert, zumal der praktisch staatliche französische Energieriese EDF zu 30 Prozent am chinesischen Atomkraftwerk beteiligt ist. Gefragt wird auch, welche Veränderungen unternommen wurden, nachdem die Probleme am Hydrauliksystem schon vor 14 Jahren festgestellt wurden.
Da ohnehin auch Schmiedeprobleme am Deckel und am Boden des Reaktorbehälters in Flamanville bestehen, müssten die neuen Probleme eigentlich zur Aufgabe des Projekts führen, dessen Kosten der Rechnungshof nun mit mehr als 19 Milliarden Euro beziffert, statt der 3,3 Milliarden, die zunächst angegeben wurden. Bei der ASN herrscht aber wie bei der EDF bisher Schweigen.
Verdacht auf "generellen Fehler" im Reaktor verfestigt sich
Für den Atomexperten Yves Marignac gibt jeder Tag ohne Dementi von Seiten der ASN und der EDF der Hypothese mehr Gewicht, dass es sich um einen "generellen Fehler" im Reaktor handelt, stellt er eine Woche nach Bekanntgabe der gravierenden Probleme in Taishan fest. Aufklärung sei dringend notwendig, erklärt der Sprecher der Vereinigung "négaWatt".
Angesichts dieser Vorgänge erklärt sich auch, warum der französische Präsident Emmanuel Macron zwar gerade auf neue Atomkraftwerke gesetzt hat, aber statt dem EPR nun mit "Small Modular Reactors" (SMR) die "vierte Generation" ins Spiel gebracht hat, da die dritte offensichtlich gescheitert ist. Dahinter stehen, wie Macron selbst eingeräumt hat, aber auch starke militärische Interessen. Derweil nehmen die Warnungen vor einem winterlichen Blackout in Frankreich zu, da der altersschwache Atompark im Land bei einer Kältewelle nicht die geforderte Leistung erbringen kann. Zuletzt war es am 8. Januar dieses Jahres fast soweit.