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Frankreich: Atomaufsicht schweigt zu Konstruktionsfehlern

Ralf Streck

Im AKW Taishan gab es Probleme, die in Frankreich grĂ¶ĂŸte Aufmerksamkeit verdient hĂ€tten. Foto: EDF Energy / CC0 1.0

In China sind zwei Atomreaktoren der dritten AKW-Generation in Betrieb gegangen, doch nun wurde ĂŒber Whistleblower eine ErklĂ€rung fĂŒr den Gasaustritt in Taishan geliefert

"Eine neue Episode in der Saga der (verfluchten) dritten Generation von Druckwasserreaktoren EPR", schrieb die französische Tageszeitung LibĂ©ration [1] zu den VorgĂ€ngen im sĂŒdchinesischen Taishan. Das dortige Atomkraftwerk wird vom staatlich dominierten französischen Energiekonzern Electricite de France (EDF) und der chinesischen Gruppe China General Nuclear Power Group (CGN) als Joint Venture betrieben [2].

Die Probleme in Taishan könnten den definitiven Todesstoß fĂŒr den sogenannten "European Pressurized Reactor" (EPR) bedeuten, mit dem Frankreich die Renaissance der Atomkraft [3] einlĂ€uten wollte. Das ist inzwischen fast 20 Jahre her und in Europa konnte kein einziger der angeblich sichereren Atommeiler ans Netz gebracht werden.

Von den "verfluchten" EPR-Baustellen im französischen Flamanville [4] und in Olkiluoto vor der WestkĂŒste Finnlands hat Telepolis immer wieder berichtet. Seit 2005 werkelt man in Finnland und seit 2006 in Flamanville am EPR herum. LibĂ©ration stellt dazu sogar fast verniedlichend fest, dass sich an beiden Projekten die "Verzögerungen hĂ€ufen". Olkiluoto sollte schon 2009 ans Netz gehen, Flamanville 2012. Liberation stellt fest, dass es nun am "einzigen Standort der Welt", an dem die Inbetriebnahme gelungen ist, im chinesischen Taishan, die "neue Technologie" nur "mit Pannen funktioniert".

Dementi und Warnung

TatsĂ€chlich kam es mindestens in einem der beiden Meiler schon im vergangenen Juni zu einem rĂ€tselhaften Gasaustritt, wobei natĂŒrlich in Peking ein Anstieg der RadioaktivitĂ€t dementiert wurde [5]. Die EDF-Tochter Framatome warnte allerdings vor einer "unmittelbaren radiologischen Bedrohung" [6]. TatsĂ€chlich wurde Taishan I schließlich Ende Juli abgeschaltet, denn es war zu BeschĂ€digungen an Brennelementen gekommen.

Mit dem Hinweis auf Whistleblower aus der Atomindustrie lieferte nun die "Kommission fĂŒr unabhĂ€ngige Forschung und Information ĂŒber RadioaktivitĂ€t" ( "Commission de recherche et d'information indĂ©pendantes sur la radioactivitĂ©", kurz Criirad) ErklĂ€rungen und fĂŒhrte die Probleme auf "Konstruktionsfehler am ReaktordruckbehĂ€lter" zurĂŒck, die zum frĂŒhzeitigen Verschleiß fĂŒhren und die Sicherheit der Reaktoren in Frage stellen wĂŒrden. Bruno Chareyron von Criirad erklĂ€rt, dass es zu "schweren Fehlfunktionen" und zu "abnormalen Vibrationen" kommt.

"Diese Vibrationen sind bereits bei der Inbetriebnahme von Taishan 1 im Jahr 2018 festgestellt worden." Die schlechte Verteilung des PrimĂ€rkĂŒhlmittels im Tank fĂŒhre zu den starken Vibrationen der Brennelemente. Die hĂ€tten die HĂŒllrohre der BrennstĂ€be beschĂ€digt, was zum Austritt von radioaktiven Gasen gefĂŒhrt habe. Lecks hĂ€tten die Kraftwerksbetreiber schon Oktober 2020 festgestellt, die sich in den Monaten danach immer weiter verschlimmert hĂ€tten.

Modellversuche bei Framatome im französischen Le Creusot, woher auch der bekanntlich schadhafte ReaktorbehĂ€lter stammt, der in Flamanville verbaut wurde [7], seien bereits 2007 und 2008 durchgefĂŒhrt worden. Dass es in der frĂŒheren Areva-Schmiede in "Forges Creusot" wahrlich nicht mit den besten Dingen zugegangen ist, ist lĂ€ngst bekannt. In der Schmiede waren Sicherheitszertifikate fĂŒr Bauteile gefĂ€lscht worden [8].

Criirad stellt nun die Frage, inwieweit die großen Probleme in Taishan auch die Baustellen in Flamanville, Olkiluoto oder auch die beiden EPR-Neubauten im britischen Hinkley Point [9] und hat von der Atomsicherheitsbehörde (ASN) AufklĂ€rung gefordert, zumal der praktisch staatliche französische Energieriese EDF zu 30 Prozent am chinesischen Atomkraftwerk beteiligt ist [10]. Gefragt wird auch, welche VerĂ€nderungen unternommen wurden, nachdem die Probleme am Hydrauliksystem schon vor 14 Jahren festgestellt wurden.

Da ohnehin auch Schmiedeprobleme am Deckel und am Boden des ReaktorbehĂ€lters in Flamanville bestehen, mĂŒssten die neuen Probleme eigentlich zur Aufgabe des Projekts fĂŒhren, dessen Kosten der Rechnungshof nun mit mehr als 19 Milliarden Euro beziffert, statt der 3,3 Milliarden, die zunĂ€chst angegeben wurden. Bei der ASN herrscht aber wie bei der EDF bisher Schweigen.

Verdacht auf "generellen Fehler" im Reaktor verfestigt sich

FĂŒr den Atomexperten Yves Marignac [11] gibt jeder Tag ohne Dementi von Seiten der ASN und der EDF der Hypothese mehr Gewicht, dass es sich um einen "generellen Fehler" im Reaktor handelt, stellt er eine Woche nach Bekanntgabe der gravierenden Probleme in Taishan fest. AufklĂ€rung sei dringend notwendig, erklĂ€rt der Sprecher der Vereinigung "nĂ©gaWatt".

Angesichts dieser VorgÀnge erklÀrt sich auch, warum der französische PrÀsident Emmanuel Macron zwar gerade auf neue Atomkraftwerke gesetzt hat, aber statt dem EPR nun mit "Small Modular Reactors" (SMR) die "vierte Generation" ins Spiel gebracht hat, da die dritte offensichtlich gescheitert ist. Dahinter stehen, wie Macron selbst eingerÀumt hat, aber auch starke militÀrische Interessen [12]. Derweil nehmen die Warnungen vor einem winterlichen Blackout in Frankreich zu, da der altersschwache Atompark im Land bei einer KÀltewelle nicht die geforderte Leistung erbringen kann [13]. Zuletzt war es am 8. Januar dieses Jahres fast soweit [14].


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.liberation.fr/environnement/nucleaire/reacteurs-epr-alerte-sur-un-possible-defaut-de-conception-des-cuves-20211202_6ZIZ5FQCTZDRZD37PHYJ55IEWY/
[2] https://www.edf.fr/en/the-edf-group/dedicated-sections/journalists/all-press-releases/edf-s-communication-regarding-the-taishan-nuclear-power-plant-s-no-1-reactor
[3] https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-setzt-trotz-steigenden-Widerstands-auf-Atom-3415093.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Die-verfluchte-Atomkraftwerks-Baustelle-in-Flamanville-5992387.html
[5] https://orf.at/stories/3217417/
[6] https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/taishan-was-ist-los-in-dem-chinesischen-atomkraftwerk-a-2bba19ca-7f2d-429c-bd0d-809d9d32faa0
[7] https://www.heise.de/tp/features/AKW-Flamanville-Trotz-grosser-Sicherheitsprobleme-ans-Netz-3758632.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Areva-Riskante-Teile-fuer-AKWs-weltweit-verbaut-3603359.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Hinkley-Point-muss-gebaut-werden-aus-militaerischen-Gruenden-3351570.htm
[10] http://www.criirad.org/actualites/dossier2021/211125_Courrier_CRIIRAD_ASN_suret%C3%A9_EPR_VF.pdf
[11] https://twitter.com/YvesMarignac/status/1467086758064107525
[12] https://www.heise.de/tp/features/Atomkraft-Ausbau-in-Frankreich-Ohne-zivile-Kernenergie-keine-militaerische-Nuklearmacht-6219628.html
[13] https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/warnungen-vor-blackout-in-frankreich-wegen-akw/
[14] https://www.heise.de/tp/features/Europa-ist-am-Blackout-vorbeigeschrammt-5028090.html