Frankreich: Großer Mobilisierungserfolg gegen "Sicherheitsgesetz"

Seite 2: Polizei erfüllt sich ihre Wünsche bereits weitgehend selbst

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Das Neue durch die Schaffung eines solchen eigenständigen Straftatbestands liegt darin, dass künftig Polizei- und Gendarmeriebeamte bereits das Anfertigen von Foto- oder Filmaufnahmen, zum Beispiel bei Demonstration, als solche zur Vorbereitungshandlung desselben erklären und dagegen einschreiten können.

Dies dürfte auch das wahre Ziel sein, den Forderungen der stärksten Polizeigewerkschaften wie Alliance entsprechend. Diese nehmen zumindest billigend in Kauf, dass dadurch auch polizeiliche Gewalttaten verschleiert werden, unter der Decke bleiben könnten.

Foto: Bernard Schmid

Als Kompromissangebot formulierte Innenminister Darmanin in der Nationalversammlung den Vorschlag, Medien könnten ihre Journalisten vor einem Einsatz ja bei den Sicherheitskräften akkreditieren; diese würden dann verschont. Eine solche Vision mit, unter Anlehnung an Reporter im US-Krieg 2003 im Irak ironisch als "embedded" bezeichneten Medienvertretern stößt jedoch auf eine breite Ablehnung.

Mehrere Dutzend Redaktionen, von AFP bis zur Satirezeitung Charlie Hebdo, von der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt France Télévisions bis zur Regenbogenzeitschrift Paris Match und zu zahlreichen Regionalzeitungen, publizierten am Samstag eine Reaktion unter dem Titel: "Nein, wir werden keine Akkreditierung für unsere Journalisten beantragen!".

Am Abend des Montag, den 23. November wurde ein Kollektiv von Anwältinnen und Journalisten beim Innenminister empfangen, entschied sich jedoch nach drei Viertelstunden für einen Abbruch der Gespräche, nachdem Darmanin sich zu keinerlei Änderung bereit zeigte, sondern sich damit begnügte, den bestehenden Text zu "erläutern".

Die Polizei erfüllt sich ihre Wünsche unterdessen bereits weitgehend selbst. Am Samstag, den 21. November, fand zum zweiten Mal ein Protesttag mit mehreren Tausend Teilnehmenden in Paris und weiteren französischen Städten statt, nach jenem vom Dienstag davor. Am Spätnachmittag wurden dabei rund 70 Journalisten und Photographen in der Pariser Innenstadt für längere Zeit eingekesselt.

Auch diese Gewalt gab es bei der Demonstration am Samstag. Foto: Bernard Schmid

Die Machtdemonstrationen sollte offenkundig unterstreichen, dass man zur Umsetzung dessen, was da komme, vorbereitet sei. In der Nacht vom darauffolgenden Montag zum Dienstag kam es auf der Pariser place de la République - wo Hunderte Migranten campierten, um eine Unterbringung in der Corona-Krise zu fordern, und durch einen harten Polizeieinsatz geräumt wurden - wiederum zu Übergriffen auf die Presse

Eine der Staatsgewalt gewidmete Phase

Der Artikel 24 darf dabei allerdings nicht den Baum darstellen, der den Rest des Waldes verdeckt. Der gesamte Gesetzentwurf ist Bestandteil einer repressiven Generaloffensive, die in diesem Herbst einen durch Emmanuel Macron als moment régalien (ungefähr: "der Staatsgewalt gewidmete Phase", also einen der Sicherheitspolitik gewidmeten Moment) in der Politik und Gesetzgebung einleiten soll. Schon seit mehreren Monaten war eine solche Phase aus Gründen innenpolitischer Taktik und im Vorgriff auf künftige Wahlkämpfe vorgesehen.

Foto: Bernard Schmid

Die Sache war seit spätestens Anfang September geplant, also noch vor den dschihadistischen Anschlägen in Nizza und im Raum Paris vom 25. September, 16. und 29. Oktober, und nicht in Reaktion auf diese. Das Ganze soll dazu dienen, Macron bei der Präsidentschaftswahl 2022 für Rechtswähler akzeptabel zu machen.

Demonstration am 17.November. Foto: Bernard Schmid

Die konservative Oppositionspartei Les Républicains - LR, aber auch der rechtsextreme Rassemblement National - RN stimmten dem Entwurf "für umfassende Sicherheit"zu, um jeweils hinzufügen, er gehe nur noch nicht weit genug. Wobei die Partei LR insofern eine gewisse taktische Intelligenz aufweist, als sie vorschlägt, die Bestimmungen des Artikel 24 nicht ins Pressegesetz - dessen Artikel 35 die Regierung in entsprechendem Sinne abändern will - aufzunehmen, sondern ins allgemeine Strafrecht, so dass sich die Medienschaffenden nicht so stark ins Visier genommen fühlen sollen.

Ein Teil der Regierungspartei LREM sowie deren Verbündete, die kleinere Zentrumspartei MoDem, stimmten hingegen gegen den Gesetzesvorschlag. Die LREM-Abgeordnete Nathalie Sarles etwa erklärte am Montag in einem Interview mit dem TV-Sender France bleu:

"Ich opponiere gegen einen Großteil dieses Textes. Wir gehen geradewegs auf einen autoritären Staat zu."

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon kündigte seinerseits für den Fall eines Wahlsieges 2022 eine "Abschaffung" des künftigen Gesetzes an; seine Wahl zum Staatspräsidenten erscheint jedenfalls im Augenblick allerdings nicht allzu wahrscheinlich.

Andere Artikel des Gesetzeswerks sehen etwa eine verallgemeinerte Drohnenüberwachung bei Demonstrationen, erweiterte Videoüberwachung oder die Ausstattung von Kommunalpolizeien mit scharfen Waffen - seit längerem ein Traum mancher Bürgermeister - vor.

Repressiv ist auch eine Maßnahme, die im Artikel 20 des soeben in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung, abgekürzt LRP, enthalten ist und dort in allerletzter Minute, nämlich im Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern nach der Debatte in Nationalversammlung und Senat, am 09. November eingefügt würde. Er sieht eine Möglichkeit der Kriminalisierung studentischer Besetzungen in Universitätsgebäuden vor.

So viel steht fest: Die Regierung wird den Protest zum Thema so schnell nicht los, und Emmanuel Macrons in Teilen linksliberal scheinendes Profil aus dem Wahlkampf 2016/17 ist gründlich dahin.