Frankreich schaltet ältestes Atomkraftwerk am Oberrhein ab
Die Umweltbewegung feiert beidseits der deutsch-französischen Grenze, dass nun die zwei Pannenmeiler im elsässischen Fessenheim definitiv vom Netz gehen
Nach mehr als 42 Jahren im kommerziellen Betrieb ist in der Nacht vom Montag auf Dienstag der zweite Reaktor im elsässischen Fessenheim und damit das älteste französische Atomkraftwerk definitiv vom Netz gegangen. Reaktor 1 war schon im Februar abgeschaltet worden, wie Telepolis berichtet hat.
Die Menschen im Dreieckland am Oberrhein, von Freiburg im Breisgau über Straßburg bis in die Schweizer Stadt Base,l können nun begrenzt aufatmen. Sie werden das historische Ereignis wegen Covid-19 nur auf dezentralen Veranstaltungen begehen, wie auf einer Kundgebung um 18 Uhr heute auf dem Freiburger Platz der alten Synagoge oder gleichzeitig in Straßburg auf dem Place Kléber. Schon am Montagabend trafen sich Atomkraftgegner auf der Rheinbrücke in Breisach, um in der Nähe des Kraftwerks das Ende zu feiern.
Bereits 2012 war der spätere sozialdemokratische Präsident François Hollande mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, den Anteil des Atomstroms im Rahmen einer Energiewende von 75% auf 50% zu senken. Passiert ist nichts, weshalb das neue Versprechen von Emanuel Macron im vergangenen Jahr - Fessenheim werde 2020 abgeschaltet - mit großer Vorsicht aufgenommen wurde.
Klar war das lange auch unter Macron nicht, wie der Rücktritt des damaligen Umweltminister Nicolas Hulot, für den die "Atomkraft unnützer Irrsinn" ist, vor zwei Jahren dokumentierte. Der zeigte sich machtlos gegen die Atomlobby.
Die hoch verschuldete teilstaatliche Electricité de France (EdF), dem zusätzlich noch das Desaster des staatlichen Pleite-Kraftwerkbauers Areva aufgedrückt wurde und damit die Risiken und Kosten des Desasters beim Kraftwerksbau in Finnland, ließ sich die Abschaltung der altersschwachen Meiler schließlich mit 434 Millionen Euro versüßen.
Atomkraftgegner des Netzwerks "Sortir du nucléaire" (Aus Atomkraft aussteigen) gehen wegen offener Vollzugsklauseln sogar von vier Milliarden Euro aus. Dabei geht es um Steuergeld, das für die angeblich so billige Atomkraft von einem Staatstopf in den nächsten überwiesen wird.
"Endlich, endlich, endlich, aber viel zu spät"
Gegen 23 Uhr 30 war es am späten Montagabend dann soweit, als der Abschaltungsprozess eingeleitet wurde. Das hätte eigentlich schon am Freitag geschehen können, als sich der Reaktor erneut einmal mehr selbst abgeschaltet hat. Doch die EDF fuhr ihn erneut hoch, um ihn am geplanten Termin außer Betrieb nehmen zu können. "Die Reihe von Pleiten, Pech und Pannen zieht sich bis zum Ende durch", erklärt der Vizepräsident des Trinationalen Atomschutzverbands (TRAS), Axel Mayer, gegenüber Telepolis.
Für Mayer kommt das Aus "endlich, endlich, endlich, aber viel zu spät". Für die TRAS wurde aber ein "großes Teilziel erreicht", da nun die GAU-Gefahr im Reaktor beseitigt ist, die über Jahrzehnte eine Million Menschen bedroht hat.
"Endlich sind die beiden alten Kisten abgestellt", erklärt Mayer dessen Lebensweg eng mit dem Kampf gegen Atomkraftwerke verbunden ist. "Im großen, globalen Krieg des Menschen gegen die Natur und damit gegen uns selber haben wir in Fessenheim Zerstörungsprozesse entschleunigt und einen kleinen, wichtigen, regionalen Teilerfolg erzielt", erklärt er bescheiden.
Es sei nun vorbei mit der "ständigen Radioaktivitätsabgabe im sogenannten Normalbetrieb". Vorbei sei auch die skandalöse Rheinerwärmung für das kühlturmlose AKW. Und vorbei sei, dass dort weiter Atommüll produziert wird, der eine Million Jahre strahlten wird und 33.000 Generationen gefährdet.
Dabei war Mayer, der aus Endingen im Kaiserstuhl kommt, "als junger Schüler damals Atomkraftbefürworter". Doch dann begab er sich zu einer Bauplatzbesetzung gegen ein Bleichemiekraftwerk ins benachbarte Markolsheim auf der anderen Rheinseite.
Damals habe ich erstmals dort überhaupt von kritischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von den Gefahren der Atomkraft gehört.
Axel Mayer, TRAS
"Ich wurde dann Atomkraftgegner"
Damals war die Berichterstattung in den wenigen Medien sehr der Atomkraft zugetan. "Ich wurde dann Atomkraftgegner", erinnert er sich und erinnert an die Erfolge, die die Umweltbewegung schließlich hatte. Mit den Erfahrungen, dass man mit einer "illegalen Aktion" in Markolsheim eine gefährliche Dreckschleuder verhindern konnte, sei man dann nach Whyl gezogen.
Das ist ein beschauliches Dorf, die Nachbargemeinde von Endigen, wo ebenfalls ein Atomkraftwerk geplant war. Doch das wurde genauso mit einer Bauplatzbesetzung der Bevölkerung verhindert wie ein weiteres im Elsass in Gerstheim oder auch das in Kaiseraugst in der Schweiz.
Mayer widmete schließlich sein Leben dem Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt und leitete bis zum Jahresende für die Naturschutzorganisation BUND den Regionalverband Südlicher Oberrhein in Freiburg. Die Abschaltung nun ist wie ein Geschenk zu seiner Pensionierung.
"Seit dem Jahreswechsel befinde ich mich im Unruhestand und wieder dort, wo ich einst angefangen habe: im Ehrenamt."
Gelebtes Stück Europa
Wichtig ist für Mayer der trinationale Aspekt der Bewegung.
Der Protest hat 30 Jahre nach dem Ende des Kriegs als erstes grenzüberschreitendes Projekt begonnen, über den Rhein hinweg zusammen mit den Franzosen.
Axel, Mayer, TRAS
Das sei ungeheuer wichtig gewesen. Man habe relativ problemlos über die Grenze hinweg, und später auch über die mit der Schweiz, zusammenarbeiten können. "Das war ein gelebtes Stück Europa und dem Traum eines grenzenlosen Europas. "
Ansonsten gäbe es ja immer noch die kleinen Nationalismen, wie sich auch in der Abschaltdebatte gezeigt habe. "Kreativität, trinationale-proeuropäische Zusammenarbeit, Gewaltfreiheit und konstruktive Argumentation" sei das Erfolgsrezept der Bewegung, sagt Mayer. Wobei dazu sicher auch noch das jahrzehntelange Durchhaltevermögen gehört.
Vorbei ist der Kampf allerdings nicht. Es müsse der "Atom-PR" begegnet werden, die Atomkraft als Klimaschutz einbringt, wobei das "längst widerlegt ist. Es gehe weiter darum, "die massiv bekämpfte Energiewende" voranzutreiben und auch für den Ausstieg aus der Kohle zu sorgen.
"Wer morgen an der Gefahrzeitverlängerung von Kohle- und Atomkraftwerken verdienen will, der lässt heute die zukunftsfähigen Energien verhindern."
Zudem sei auch in Fessenheim drei Jahre lang ein schwerer Unfall möglich, bis sich die Brennelemente in den Zwischenlagerbecken abgekühlt haben. "Sie liegen im Freien und sind extrem schlecht gegen Erdbeben und terroristische Anschläge geschützt", erklärt Mayer.
Unsicher sei die Notstromversorgung zur Notkühlung, weshalb weiter eine Kernschmelze ähnlich wie in Fukushima möglich sei. Danach müsse man sich weiter um "kleinere" Gefahren beim Abriss kümmern. " Einen "Billigabriss" werde man nicht hinnehmen.
Frankreich hat die Energiewende verschlafen
Für die Umweltbewegung hat sich insgesamt das Engagement gelohnt, auch wenn Fessenheim 43 Jahre laufen konnte. Doch es hätte noch schlimmer kommen können, da die Laufzeit der Meiler von der französischen Atomaufsichtsbehörde (ASN) über die 40 Jahre hinaus verlängert worden war, für die sie ausgelegt waren. Sie sind weder gegen Flugzeugabstürze noch gegen Erdbeben wirklich geschützt, dabei liegt Fessenheim in einer Erdbebenzone im Rheingraben, wo es immer mal wieder einmal kräftig bebt. Darüber ist der Rheingraben entstanden oder wurde Basel im Mittelalter zerstört.
Die Reaktoren liegen zudem unterhalb der Wasserlinie des Rheinkanals in einem Überschwemmungsgebiet, wogegen sie nur unzureichend geschützt sind. Fukushima lässt also auch am Rhein grüßen. Ein Block geriet sogar schon kurzzeitig außer Kontrolle, da Wasser in nicht gesicherte Schaltschränke eingedrungen war.
Ein Meiler musste zwischenzeitlich sogar länger abgeschaltet werden, da ein Sicherheitszertifikat für einen Dampferzeuger gefälscht war. Obwohl der nachweislich am unteren Ende schadhaft ist, erteilte die ASN ihm nachträglich eine Genehmigung.
Es ist der Bewegung letztlich aber gelungen, massiven Druck auf Macron auszuüben, der der Abschaltung zugestimmt hat, ohne dass ein neues Atomkraftwerk in Flamanville ans Netz geht. Und wie der in Umweltfragen unter Druck ist, hat sich bei den Kommunalwahlen am Sonntag gezeigt, wo die Grünen ihm in vielen Städten schwere Schlappen erteilt haben. Sie werden nun sowohl in Bordeaux, in Lyon, Straßburg und Marseille regieren.
Frankreich hat bisher die Energiewende weitgehend verschlafen, weil man auf eine teure, dreckige und inflexible Atomstrategie gesetzt und immer wieder von der Renaissance der Atomenergie geträumt hatte. Nun steht das Land mit einem unsicheren, gefährlichen und überalterten Kraftwerkspark da und in jedem kalten Winter steht es vor dem Blackout und hängt am europäischen Tropf und den Notreserven, die andere Länder vorhalten und bezahlen.
Deshalb wurde bisher auch am gefährlichen Strom aus Fessenheim festgehalten. Inzwischen wurden und werden aber langsam auch erneuerbare Energien in Frankreich ausgebaut, und das Land hofft, den Ausfall von Fessenheim damit auffangen zu können. Denn die Inbetriebnahme des "Europäischen Druckwasserreaktors" (EPR) verzögert sich immer und immer weiter, wegen immer neuer Probleme. Nun bis mindestens bis 2024.
Eigentlich sollte er seit 2012 Strom liefern. Die Kosten haben sind von geplanten 3,3 Milliarden Euro derweil auf mehr als 12 Milliarden explodiert. Wann findet sich in Frankreich ein verantwortlicher Politiker, der einsieht, dass man dieses Geld abschreiben sollte, um nicht immer weiter gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen. Der EPR ist eine Totgeburt, längst ein Albtraum, der leicht durch eine Energiewende ersetzt werden kann.