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Freihandel und Wirtschaftswachstum statt Demokratie und Ökologie

Eine Analyse der EU-Verhandlungsposition zum TTIP-Abkommen

Seit 2013 verhandeln Spitzenpolitiker aus USA und EU miteinander um ein zwischenstaatliches Abkommen mit dem Namen Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP). Das Abkommen soll verschiedene Maßnahmen für den Freihandel, die Angleichung von Standards und Liberalisierung staatlicher Wirtschaftsbereiche beinhalten. Vorgebliches Ziel des Abkommens soll sein, mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen. Hierdurch sollen zudem Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Folgenden soll die verschriftlichte Verhandlungsposition der EU-Delegation [1] analysiert werden, die von den Grünen veröffentlicht [2] wurde. Dadurch soll klarer werden, weshalb dieses Abkommen vorangetrieben wird.

Das Titelblatt offenbart den Charakter der Verhandlungen zum TTIP-Abkommen. Die Geheimhaltungsvermerke zeigen, wie intransparent die Verhandlungsposition der EU ist, die offenbar nicht möchte, dass zivilgesellschaftliche Akteure oder die Bevölkerung (in deren Auftrag sie arbeitet) von den Details erfahren und damit Einfluss ausüben können.

Dies ist ein klar undemokratisches Vorgehen, denn in einer parlamentarischen Demokratie müssen alle Menschen über wesentliche Vorgänge informiert sein, damit Wahlentscheidungen in ihrem und im Interesse der gesamten Gesellschaft ausfallen können. In diesem Sinne widerspricht dieses Papier grundlegenden demokratischen Standards und weist auf die tatsächliche Motivation hin, die wohl eher in der Interessenvertretung ganz bestimmter Gruppen - etwa transnationaler Aktiengesellschaften - liegen dürfte. Dazu offenbart das Papier im Folgenden viele weitere Indizien.

Was will man mit TTIP bezwecken

Letztendlich versucht das TTIP-Abkommen, bereits bestehende, einschlägige WTO-Regeln für einen maximal liberalisierten Handel und eine Totalprivatisierung aller Teile gesellschaftlicher Organisation, durchzusetzen:

"Das Abkommen wird die beiderseitige Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen sowie Regeln zu handelsbezogenen Fragen vorsehen, wobei es ehrgeizige Ziele verfolgt, die über die bestehenden WTO-Verpflichtungen hinausgehen."

"Mit dem Abkommen wird das Ziel verfolgt, Handel und Investitionen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten auszuweiten, indem das bislang nicht ausgeschöpfte Potenzial eines echten transatlantischen Marktes genutzt wird, durch einen besseren Marktzugang und eine größere regulatorische Kompatibilität neue wirtschaftliche Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum eröffnet werden."

"Die sich aus dem Abkommen ergebenden Pflichten werden auf allen staatlichen Ebenen bindend sein."

Kein Wunder, dass das Dokument geheim gehalten werden sollte. Das bekannte WTO-Repertoire einer Verhinderung von "Diskriminierung, Inländerbehandlung, Meistbegünstigung" soll erweitert werden um den "Schutz vor direkter und indirekter Enteignung, einschließlich des Rechts auf unverzügliche, angemessene und effektive Entschädigung". Die genannten Worte "Schutz", die Verhinderung von "Diskriminierung" usw. wirken zunächst positiv konnotiert. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich nicht um den Schutz von Menschen handelt, sondern um den Schutz von wirtschaftlichen Akteuren und Aktivitäten.

Essentiell sei ein "voller Schutz und umfassende Sicherheit der Investoren und Investitionen". Außerdem wolle man durch "andere wirksame Schutzbestimmungen, zum Beispiel eine 'Schirmklausel ('umbrella clause')' garantieren, dass ein "ungehinderter Transfer von Kapital und Zahlungen durch die Investoren" stattfinden kann.

[...] "Das Abkommen wird Bestimmungen über die vollständige Liberalisierung der laufenden Zahlungen und des Kapitalverkehrs [...] enthalten." [...]

"Das Abkommen wird sich aus drei Hauptkomponenten zusammensetzen: a) Marktzugang, b) Regulierungsfragen und nichttarifäre Hemmnisse sowie c) Regeln."

Vom Schutz für die Menschen vor schädlichen Produkten und politischer Entmündigung ist freilich nicht die Rede. Sehr wohl aber vom Schutz für Unternehmen vor indirekter Enteignung. Dies kann vieles heißen. In der Regel dient eine solche Formulierung Unternehmen als Grundlage, gegen staatliche Regulation zur Einschränkung eines umwelt- oder gesellschaftsschädigenden Verhaltens juristisch vorgehen zu können.

Es zeigt sich hier der Anspruch des Abkommens, die bisher geltenden wirtschaftspolitischen Bedingungen allumfassend und total zu verändern. Etwa durch den ungehinderten Transfer von Kapital. Diese Forderung widerspricht der Finanz-Transaktionssteuer (Tobin-Steuer), wie sie seit Beginn der Finanzkrise gefordert wird. Sie soll helfen, weitere einschneidende Finanzkrisen zu verhindern. Ausgerechnet diese gesellschaftlich und ökonomisch besonders wichtige politische Maßnahme soll durch das TTIP-Abkommen nun aber offenbar dauerhaft verhindert werden.

Beschwichtigungsrhetorik und Geopolitik

Der massiven Kritik, die den TTIP-Unterhändlern und Fürstreitern vom gesamten Spektrum der Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Oppositionspolitikern, zivilgesellschaftlichen Akteuren, Personen des öffentlichen Lebens und sogar den eigenen Reihen seit Beginn der Verhandlungen entgegentritt, wird mit Beschwichtigungsrhetorik vorgegriffen. Wie die folgenden Zitate zeigen, geht es aber mitnichten darum, das Abkommen tatsächlich abzuschwächen, sondern darum, es weniger eindeutig zu formulieren:

Das Papier beinhaltet etwa "[die] Zusage der Vertragsparteien, mit allen relevanten interessierten Akteuren einschließlich der Privatwirtschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen zu kommunizieren".

Zudem würden "in dem Abkommen [...] Fragen der Transparenz behandelt werden. Zu diesem Zweck wird es Bestimmungen enthalten über die Verpflichtung, vor der Einführung von Maßnahmen mit Auswirkungen auf Handel und Investitionen die Interessenträger zu konsultieren" […] "Die Kommission wird dem Ausschuss für Handelspolitik im Sinne der Transparenz regelmäßig über den Verlauf der Verhandlungen Bericht erstatten."

Diese Sätze über die angebliche Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen und die angeblich angestrebte "Verpflichtung, vor der Einführung von Maßnahmen […] die Interessenträger zu konsultieren", sind offensichtlich Makulatur, wie die Geheimverhandlungen und der Vertraulichkeitsstatus dieses Papiers belegen. Was nutzt es der Zivilgesellschaft, konsultiert zu werden, wenn das Abkommen bereits beschlossen und die grundlegenden Entscheidungen damit schon getroffen sind? Das Wort Transparenz mag zwar auf 18 Seiten 13 Mal genannt werden, durch die Wiederholung wird es aber nicht glaubwürdig.

Auch im Hinblick auf die Tragweite des Abkommens ist man nicht ehrlich, wenn es heißt: "Das Abkommen wird ausschließlich Bestimmungen über den Handel und handelsrelevante Bereiche enthalten." Umfassende Privatisierungsmaßnahmen oder regulatorische Angleichungen wie in TTIP gefordert, sind jedoch keine Handelspolitik im eigenen Sinne. Unter dem Deckmantel angeblich ausschließlicher handelsbezogener Regelungen versucht man also, eine große Palette neoliberaler politischer Maßnahmen durchzusetzen. Betroffen sind durch die Liberalisierung alle möglichen, bisher staatlich geregelten Gesellschaftsbereiche, etwa das Bildungssystem, die öffentliche Grundversorgung und sogar die demokratischen Strukturen selber, die durch Schiedsgerichte zum Teil ausgehebelt werden sollen.

Wenn es wirklich nur um Handel ginge, müsste auch nicht betont werden, es würden die "erforderlichen Maßnahmen auf dem ihnen zweckmäßig erscheinenden Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Arbeit, Verbraucher, Umwelt und Förderung der kulturellen Vielfalt, wie in dem Übereinkommen der UNESCO" ergriffen, um negative Auswirkungen des Abkommens abzufedern.

Neben dem Herunterspielen konkreter, negativer Auswirkungen für die Bevölkerung versucht man, die verringerte staatliche Souveränität durch die Aufgabe von Kompetenzen zugunsten der US-Regierung und Wirtschaftslobbys zu rechtfertigen: So sei das "Recht der EU und der Mitgliedstaaten unberührt zu [be]lassen, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Maßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen, die erforderlich sind, um legitime Gemeinwohlziele wie soziale, umwelt- und sicherheitspolitische Ziele, das Ziel der Stabilität des Finanzsystems sowie das Ziel der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit in nichtdiskriminierender Weise zu verfolgen. Das Abkommen sollte der Politik der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Förderung und zum Schutz der kulturellen Vielfalt Rechnung tragen".

Nach der Nennung von Investoreninteressen ist man vorgeblich auch zur Anerkennung "legitimer Gemeinwohlziele" bereit. Wie ein Abkommen zur Vereinheitlichung der "kulturellen Vielfalt" Rechnung tragen soll, bleibt schleierhaft. Das Gegenteil, nämlich die Vereinheitlichung und Standardisierung bestehender Vielfalt ist ja Ziel des Abkommens. Der Zusatz, die Gemeinwohlziele dürften von den Vertragspartnern trotz des TTIP-Abkommens verfolgt werden, wird durch den Zusatz "[in] nichtdiskriminierender Weise" ergänzt.

Diese Ergänzung lässt juristische Spielräume für Unternehmen, gegen staatliche Regulationsversuche vorzugehen. So könnte ein US-Fleischhersteller trotz in der EU abweichender "legitimer Gemeinwohlziele" vor dem Schiedsgericht auf eine "Diskriminierung" der EU klagen, wenn er sein mit Wachstumshormonen behandeltes Rindfleisch in den USA, nicht aber in der EU verkaufen darf. Ebenso ein Gentechnik-Saatguthersteller, dessen Produkte aus ökologischen Bedenken heraus in der EU nicht genehmigt werden. Insofern klingt der Absatz insgesamt wie ein großzügiges Entgegenkommen der EU-Bürokraten in Richtung der Kritiker, wenngleich das Entgegenkommen durch den genannten Zusatz entkräftet wird.

Es ginge darum, so wird behauptet, "die Förderung der europäischen Schutzstandards vorzusehen". Unschwer herauszuhören ist die Schwammigkeit auch dieser Formulierung, die durchaus die Aufgabe von Schutzstandards beinhalten könnte. Sonst würde man in etwa so formulieren: "Die EU-Schutzstandards müssen im Rahmen des TTIP-Abkommens vollständig Berücksichtigung finden." Um diese butterweichen Grundsätze zu übertünchen, verweist man auf den angeblich angestrebten Schutz der Natur und der Arbeitnehmerrechte:

[Arbeitnehmerrechte:]
"Das Abkommen wird auch Mechanismen zur Unterstützung der Förderung menschenwürdiger Arbeit durch wirksame interne Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) im Sinne der IAO-Erklärung von 1998 [enthalten]."

Das genannte IAO-Abkommen enthält absolute Mindeststandards, die in EU und den USA ohnehin bereits gelten. Damit ist dieser Absatz absolut inhaltslos, dient also nur der Beschwichtigung von Kritikern.

[Nachhaltigkeit und Ökologie:] "Nachhaltige Entwicklung"
"In dem Abkommen sollte anerkannt werden, dass die Vertragsparteien den Handel oder ausländische Direktinvestitionen nicht dadurch fördern werden, dass sie das Niveau der internen Rechtsvorschriften und Normen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitsrecht oder Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz senken."

Da die Themen Nachhaltigkeit und Ökologie in Mode sind, werden sie - unabhängig von den tatsächlichen Zielen - auch im TTIP-Abkommen genannt. Schließlich ist das alles nur eine Frage der Perspektive. Die in den USA erlaubte und in der EU verbotene Behandlung von Hühnerfleisch mit gesundheitsschädlichem Chlor, könnte auch als Erhöhung der Hygienestandards gewertet und damit gegen den Willen der Verbraucher in der EU erzwungen werden (so fordert man in diesem Papier etwa auch importierte Güter müssten "krankheitsfrei und schadorganismenfrei" sein). Die Entscheidungshohheit entschwindet hier aus dem Machtbereich des eigentlichen Souveräns, also der Bürger. Wenn es wirklich um Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte ginge, bräuchte man kein Abkommen, denn es reichen nationale Gesetze vollkommen aus.

Ein weiterer Aspekt, der zu mehr Wirtschaftswachstum führen soll, ist die Angleichung von Standards. Nachvollziehbar scheint dies für rein technische Standards - etwa für den Transport. Wenn also die Palette überall dieselben Maße haben soll oder wenn die Breite von Verkehrswegen ebenso, wie die von Fahrzeugen genormt ist. Im Papier heißt es dazu:

Es gelte, "technische Vorschriften, Normen und Konformitätsbewertungsverfahren gestützt auf ihre Verpflichtungen im Rahmen des WTO-Übereinkommens über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen)" anzugleichen.

Die Standardisierung im Bereich von Wirtschaft und Handel ist ja schön und gut. Allerdings wird nicht erwähnt, dass eben jene Standardisierung bereits sehr ausgeprägt ist. Nur etwa in Bezug auf das metrische Maßsystem weigert man sich in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten (entgegen jeder Vernunft), sich am internationalen Standard zu orientieren. Und es ist keineswegs zu erwarten, dass sich hieran durch das TTIP-Abkommen etwas ändern wird. Was bringt aber ein solches Abkommen - auch aus Sicht der Wirtschaft -, wenn es in zentralen Punkten unwirksam bleibt?

Die Angleichung von Standards birgt für europäische Bürger aber auch eine ganz konkrete Gefahr: Werden beispielsweise die Standards der Risikobewertung in Bezug auf grüne Gentechnik angeglichen, ist davon auszugehen, dass mehr gentechnisch veränderte Pflanzen auf europäischen Äckern gepflanzt werden. Einhergehend mit den bekannten negativen Auswirkungen wie der Kontamination von Pflanzen der Öko-Landwirtschaft, einem höheren Pestizideinsatz und einem beschleunigtem Artensterben.

Um das Widerstandspotential, das durch eine solche Politik in der Bevölkerung geweckt werden kann, wissen auch die TTIP-Strategen und ringen daher um Glaubwürdigkeit, indem sie auf angebliche "gemeinsame Werte" verwiesen:

"In der Präambel wird daran erinnert werden, dass die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten auf gemeinsamen Grundsätzen und Werten beruht" […] "gemeinsame Werte in Bereichen wie Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit […] und der internationalen Sicherheit."

Die Betonung vorgeblich gemeinsamer Werte zwischen USA und EU klingt auf der einen Seite nachvollziehbar und auf der anderen Seite wieder nicht. "Gemeinsame Werte in Bereichen wie Menschenrechte[n]" und "Rechtsstaatlichkeit" sind zwar im weiteren Sinne zu erkennen, wenn man den Wertekanon etwa zwischen USA oder EU und Saudi-Arabien vergleicht. Dennoch gibt es zwischen Europa und den USA keinen grundlegenden Konsens über entscheidende moralische und ethische Grundsätze, wie etwa über die in vielen US-Staaten angewandte, barbarische Todesstrafe. Auch die in den USA durchgeführten Folterungen und die illegale Freiheitsberaubung angeblicher Terroristen in Guantanamo Bay sowie der illegale Drohnenkrieg in Pakistan lassen an den "gemeinsamen Werten zweifeln. Der angebliche Wertekonsens ist also deutlich fragiler und weniger eindeutig, als hier dargestellt.

Offensichtlich wird im Vergleich mit anderen Handelspartnern auch mit zweierlei Maß gemessen - etwa wenn die Bundeskanzlerin bei Chinabesuchen stets die fehlenden Menschenrechte anklagt, in den USA jedoch weder Todesstrafe, noch Foltergefängnisse kritisiert. Auch wird kein Wort verloren über exzessive Wirtschaftsspionage oder die Überwachung von europäischen Bürgern Politikern und digitaler Infrastruktur durch US-Geheimdienste. Dies sind alles keine besonders starken Indizien für gemeinsame Werte.

Nicht zuletzt ist auch die Konsensbasis in Bezug auf protektionistische Handelspolitiken auf beiden Seiten sehr dünn. Der Schutz von lokaler Produktion und Gütern wird von Freihandels-Dogmatikern stets als großes Problem dargestellt - auch wenn Protektionismus in manchen Fällen volkswirtschaftlich durchaus Sinn ergibt. An der Oberfläche lehnt man zwar jeglichen Protektionismus ab, formuliert im vorliegenden Papier aber so widersprüchlich, dass derartige Schutzpolitiken in keiner Weise ausgeschlossen werden. Es solle etwa gewährleistet sein, dass "durch das Abkommen für einen besseren Schutz und eine stärkere Anerkennung der geografischen Angaben der EU" gesorgt ist.

Die "geographischen Angaben der EU" sind etwa für alle, die keinen fade schmeckenden Parmesan aus Michigan/USA kaufen und essen wollen, durchaus sinnvoll. Aus Sicht von WTO und Freihandels-Vorkämpfern sind sie jedoch eigentlich prinzipiell abzulehnen. Ebenso wie die mehr nationalistisch, denn kulturell motivierte US-Kampagne "Buy American", die US-Amerikaner dazu anhält, beim Einkauf oder bei Investitionen stets in den USA produzierte Güter "ausländischen" vorzuziehen. Auf EU-Seite fordert man folglich "Auflagen hinsichtlich lokaler Inhalte und lokaler Erzeugung, insbesondere "Buy America(n)"-Vorschriften".

Interessanterweise baut man sich eine scheunengroße Hintertür in das Abkommen ein, indem man fordert: "Damit möglichst weitgehende Liberalisierungsverpflichtungen erzielt werden, sollte das Abkommen eine bilaterale Schutzklausel enthalten, nach der eine Vertragspartei Präferenzen ganz oder teilweise entziehen kann, wenn einem heimischen Wirtschaftszweig durch den Anstieg der Einfuhren einer Ware aus der anderen Vertragspartei ein erheblicher Schaden verursacht wird oder droht." Außerdem betont man: Wesentlich sei, dass das "Recht der Parteien anerkannt wird, Risiken gemäß dem Schutzniveau, das jede Seite für erforderlich hält, zu bewerten und zu bewältigen".

Mit einer solchen Schutzklausel kann die Liberalisierung von Märkten zu jedem Zeitpunkt und in Bezug auf jeden Wirtschaftszweig wieder rückgängig gemacht werden. Dieser Satz zeigt, wie wenig Sinn das Abkommen macht und wie viel Angst man zugleich offenbar vor eben diesem Abkommen hat! Wer sich eine Hintertür für einen derart zentralen Aspekt einbaut, braucht kein Abkommen abzuschließen.

Privatisierungen unter dem Deckmantel der Freihandelspolitik

Privatisierungen gehören zum Kernrepertoire neoliberaler Institutionen wie der Weltbank, der WTO, dem internationalen Währungsfonds und eben dem Europäischen Rat. Das TTIP-Abkommen soll offenbar garantieren, dass nun endlich auch die letzten Ausnahmen abgeschafft und Widerstände gegen Privatisierungen gebrochen werden.

"Das Abkommen sollte auf die Aufnahme von Bestimmungen zur Wettbewerbspolitik abzielen, einschließlich Bestimmungen über Kartelle, Zusammenschlüsse und staatliche Beihilfen. Des Weiteren sollte sich das Abkommen mit staatlichen Monopolen, staatlichen Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten befassen."

Diese erste Formulierung aus der TTIP-Verhandlungsgrundlage zeigt, wie schon durch die Wortwahl staatliche Lenkung und staatliche Betriebe abgelehnt werden. So ist von "Kartellen" und "staatlichen Monopolen" die Rede. Zu diesen Monopolen zählt man unter anderem staatliche Kernbereiche wie Bildungseinrichtungen, also Universitäten und Schulen, die letztlich auch privatisiert und so den Märkten zugänglich gemacht werden sollen. Eine im Lichte bereits heute fataler Ökonomisierungstendenzen im Bildungssystem alarmierende Perspektive und eine echte Gefahr für freie und kritische Bildung.

Für Freihandels-Dogmatiker sind staatliche Monopole aber immer als angeblich volkswirtschaftlich ineffizient abzulehnen. Die Tatsache, dass beispielsweise Schulen nicht effizient, sondern intellektuell wie didaktisch fähig sein sollen, oder staatliche Wasser- oder Klärwerke auch ohne Wettbewerb sehr effizient aufgebaut sein können, wird ignoriert. So wird nicht genau hingeschaut, ob Wettbewerb im Einzelfall überhaupt Sinn ergibt. Etwa eben bei der Wasserversorgung mit einer einheitlichen Infrastruktur ergibt es wenig Sinn, unterschiedliche Anbieter in einen Wettbewerb eintreten zu lassen. Das Produkt Wasser bleibt immer dasselbe und arme wie reiche Menschen sollen gleichermaßen die bestmögliche Wasserqualität bekommen.

Darüber herrscht immerhin auch bei den TTIP-Unterhändlern (hoffentlich) Konsens. Laut TTIP sollen letztlich dennoch alle Wasserwerke und alle anderen staatlichen Strukturen privatisiert werden. Gerne auch die Gefängnisse wie in vielen Ländern bereits geschehen. Sogar Behörden werden zum Teil privatisiert. Anbieter wie das Bertelsmann-Tochterunternehmen Arvato bieten in diesem Segment ihre Dienstleistungen an. Es wäre verwunderlich, wenn die zahlreichen Bertelsmann-Lobbyisten sich also nicht hinter den Kulissen für das TTIP und insbesondere den Teilaspekt der Totalprivatisierung einsetzen würden.

Dass es den TTIP-Unterhändlern ernst ist, zeigt abschließend dieser Satz:

"Dienstleistungshandel [auf dem] höchsten Liberalisierungsniveau [...] wobei im Wesentlichen alle Sektoren und Erbringungsarten erfasst werden, und dabei gleichzeitig neue Marktzugangsmöglichkeiten zu erzielen, indem noch vorhandene, seit langem bestehende Hemmnisse für den Marktzugang angegangen werden."

Fortschritt (= Gentechnik, Atomkraft, Fracking) und Schiedsgerichte (= Entdemokratisierung)

TTIP ist kein Abkommen, das primär der Völkerverständigung verpflichtet ist. Viel mehr haben die vehementen Versuche, dieses Abkommen gegen alle zivilgesellschaftlichen Widerstände durchzusetzen, eine klar ökonomische Motivation. Es geht um Wirtschafts- und Arbeitsplatzwachstum in den USA und in Europa. Alle anderen Aspekte haben entsprechend der Aussagen dieses Papiers nur wenig Relevanz für die aushandelnden Politiker. Dies zeigen auch die folgenden Aussagen:

"Handelsbezogene Aspekte von Energie und Rohstoffen

Das Abkommen wird Bestimmungen zu den handels- und investitionsbezogenen Aspekten von Energie und Rohstoffen enthalten. Die Verhandlungen sollten darauf abzielen, ein offenes, transparentes und berechenbares Geschäftsumfeld in Energieangelegenheiten und einen unbeschränkten und nachhaltigen Zugang zu Rohstoffen sicherzustellen."

Es ist ziemlich offensichtlich, dass dieser Absatz darauf abzielt, das in den USA bereits weit verbreitete und in Europa vielfach abgelehnte Fracking (unkonventionelle Öl- und Gasförderung, die umweltgefährdend ist) gegen alle Widerstände durchzusetzen. Außerdem ist aufgrund der sehr offenen Formulierung davon auszugehen, dass TTIP sehr wohlwollend im Hinblick auf die großen Energiekonzerne mit Schwerpunkt auf Atom- und Kohlekraft formuliert werden soll. Bereits heute werden Staaten vor WTO-Schiedsgerichten von Energiekonzernen verklagt und zu hohen Strafzahlungen verpflichtet - aufgrund angeblicher Diskriminierung oder der Verhinderung von Investitionen - meist aus ökologischen Gründen. Auch die Bundesrepublik Deutschland wurde von einem solchen, geheim tagenden Schiedsgericht bereits 2009 verurteilt und verpflichtet, eine hohe Millionenstrafe an den schwedischen Kohle- und Atomkonzern Vattenfall zu zahlen.

Die TTIP-Schiedsgerichte würden gegenüber dem WTO-Schiedsgericht wohl noch mehr Machtbefugnisse bekommen. Wäre das aktuelle Schiedsgericht bereits ausreichend, gäbe es schließlich keinen Grund für weitere, bilaterale Schiedsgerichte zwischen den USA und der Europäischen Union im Rahmen des TTIP-Abkommens.

Im hier analysierten EU-Papier hießt es zu den Schiedsgerichten: "Das Abkommen sollte einen wirksamen Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat vorsehen". Wichtig sei die "Transparenz" und "Unabhängigkeit" sowie die "Berechenbarkeit" der Schiedsrichter. Ziel sei "das höchstmögliche Maß an Rechtsschutz und -sicherheit für europäische Investoren in den USA" zu gewährleisten. Zu diesem Zweck müsse das Abkommen ein "flexibles Vermittlungsverfahren, enthalten. Im Rahmen dieses Verfahrens wird der Erleichterung der Streitbeilegung in Fragen der nichttarifären Hemmnisse besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden."

Nicht-tarifär bedeutet, dass Bereiche dazugehören, die über Zölle sowie Aus- und Einfuhrbeschränkungen weit hinausgehen. Wie die anderen Themen dieses Papiers zeigen, handelt es sich hierbei zu einem großen Teil um die in der Regel von der Bevölkerungsmehrheit abgelehnten umfassenden Privatisierungsbestrebungen - oder für Konzerne lästige Umweltauflagen.

Investitionsschutz und Schiedsgerichte - zwei Worte, die durchaus positiv klingen. Es soll aber die Wirtschaft geschützt werden. Und zwar vor den vermeintlichen Ungerechtigkeiten, die ihr von Seiten von Staaten und Gesellschaften "zugefügt" werden könnten. "Schiedsgericht" - klingt nach Mannschaftssport, bei dem die Regeln durch einen Schiedsrichter überwacht werden. Natürlich kann aber kein Schiedsgericht Gerechtigkeit walten lassen, wenn seine eigene Existenz nicht demokratisch legitimiert ist. Angeblich sollen die Schiedsgerichte sogar notwendig sein für den Umweltschutz:

Es gehe um die "Erhaltung und nachhaltige Bewirtschaftung rechtmäßig erworbener, nachhaltiger natürlicher Ressourcen, wie Holz, wildlebender Pflanzen und Tiere oder Fischbestände, sowie für den Handel mit diesen Ressourcen enthalten. Im Abkommen wird die Überwachung der Umsetzung dieser Bestimmungen mittels eines Mechanismus, in den auch die Zivilgesellschaft eingebunden ist, sowie mittels eines Streitbeilegungsmechanismus vorgesehen sein. Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Abkommens werden mittels einer unabhängigen Nachhaltigkeitsprüfung unter Einbindung der Zivilgesellschaft untersucht werden,"

Sowohl in der Europäischen Union als auch in den Vereinigten Staaten bestehen mehr oder weniger effektive Mittel und Regeln, die eine nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen garantieren sollen. Unklar ist, wozu an dieser Stelle das TTIP-Abkommen benötigt wird. Dieser Umstand gibt Anlass zum Misstrauen. Die Einbindung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen in das nicht-staatliche Rechtssystem der Schiedsgerichte bedeutet auch, dass Konflikte, die vor diesen Gremien ausgetragen werden, sich zu einem großen Teil dem zivilgesellschaftlichen Zugriff und den demokratischen Prozessen entziehen können. Die Politik verliert an Gestaltungsmacht, wenn sie durch Schiedsgerichte angreifbarer wird. Und die Bevölkerung verliert an demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten, wenn entscheidende Zukunftsfragen in Rahmen zwischenstaatlicher "Streitbeilegungsmechanismen" ausgehandelt werden.

Schlussfolgerungen

Es ist offensichtlich, dass diese Vorlage zur Verhandlungsposition der EU-Delegation in den TTIP-Verhandlungen nicht aus der Zivilgesellschaft heraus kommt, sondern dass dieses Papier die Handschrift von Wirtschaftslobbys trägt. Aus europäischer Perspektive ist das Dokument zudem ein Manifest der Schwäche - ja sogar der eigenen politischen Entmachtung.

Nach vielen gescheiterten und hochgradig umstrittenen Abkommensverhandlungen wie "ACTA" zwischen den USA und Europa (Urheberrechte), dem noch verhandelten CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU (Freihandel) sowie den ohnehin bereits geltenden WTO-Regeln ist TTIP ein weiterer Versuch der Durchsetzung der neoliberalen Agenda. Und das, obwohl im WTO-GATS-Abkommen Fragen zu Handel mit Dienstleistungen und im WTO-TRIPS-Abkommen Themen des Schutzes des geistigen Eigentums bereits seit 1995 festgeschrieben sind. Mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP nimmt man nun erneut Anlauf, Unternehmensinteressen, die dem Gemeinwohl entgegenstehen, durchzusetzen. Anscheinend haben die bisherigen Abkommen der sozialen Marktwirtschaft und den teilweise sozialistisch angehauchten Ideen in Europa nämlich noch nicht den endgültigen Todesstoß versetzen können.

Mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP wird die Zivilgesellschaft abermals in einen Abwehrkampf gezwungen, ohne dass progressive Gegenvorschläge für eine humanere Gesellschaft gemacht werden können. Eine Gesellschaft, in der das intellektuelle, gesundheitliche und partizipative Wohlergehen des Menschen mit seinem Wunsch nach einem lebenswerten Leben, einer funktionsfähigen Natur und individuellen und intellektuellen Entfaltungsmöglichkeiten im Mittelpunkt stehen. Stattdessen geht es um materialistische Werte, um etwas mehr Wirtschaftswachstum und möglicherweise ein Paar zusätzliche Arbeitsplätze als Totschlagargument gegen berechtigte inhaltliche Kritik.

Das Alphabet ist lang und lässt noch viele weitere Buchstabenkombinationen als Abkürzungen für Lobby-Abkommen gegen die Interessen der Bevölkerung zu. Da nicht zu erwarten ist, dass EU- und US-Bürokraten sowie Wirtschaftslobbyisten jemals menschliche Werte als Grundlage für ihr Handeln akzeptieren werden, müssen wir, muss die Zivilgesellschaft Widerstand leisten und zu parallelen Abstimmungs- und Entscheidungsformen kommen, in deren Rahmen positive Gesellschaftsziele und Umsetzungsmöglichkeiten erreicht werden.


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