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"Für Resignation haben wir keine Zeit"

Ein Kliff in der sibirischen Arktis mit Überresten von Moorgebieten. Bild: Alfred-Wegener-Institut / Lutz Schirrmeister

Der Klimawandel setzt dem Permafrost zu: Er taut und setzt zusätzlich Treibhausgase frei. Ein Teufelskreis.

Im Anthropozän verändert der Mensch die Erde nach seinen Vorstellungen und seinen Bedürfnissen. Eine Folge ist der Klimawandel, der es überall immer wärmer werden lässt. Das zeigt sich aktuell in den Hitzewellen mit großer Trockenheit und Waldbränden, wie sie seit vielen Wochen durch Europa rollen. Aber das ist nur "ein Vorgeschmack auf die Zukunft", wie Clare Nullis, Sprecherin der Weltwetterorganisation (WMO [1]) es formulierte (Heiß, heißer, am heißesten [2]).

Weltweit nehmen die extremen Wetterereignisse zu. Das gilt auch für die Polarregionen. Im vergangenen Jahr wurde ein neuer arktischer Temperaturrekord von 38 °C in der russischen Stadt Verkhoyansk offiziell bestätigt (Unglaublich: Rekordhoch brachte der Artkis Hitze bis 38°C! [3]).

Tauender Permafrost

Eine der potenziell besonders verhängnisvollen Konsequenzen ist das Auftauen des Permafrosts. Der dauerhaft tiefgefrorene Boden erwärmt sich nachweislich seit Jahrzehnten.

Im Fachjournal Frontiers in Environmental Science berichtete kürzlich ein internationales Team von mehr als dreißig Fachleuten um Benjamin Abbott von der amerikanischen Brigham Young University [4] und Jens Strauss vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam (AWI [5]) über die Veränderungen in den Permafrostregionen und forderte von der globalen Politik1 [6]:

Wir müssen die Emissionen fossiler Brennstoffe stoppen, um die Permafrost-Ökosysteme zu schützen.

Permafrost ist weiter verbreitet als man denkt. Zehn Prozent der Erdoberfläche wird von Dauerfrost beherrscht. Ungefähr ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel sind Permafrostböden [7]. Sie finden sich in allen kalten Regionen wie z.B. in den Alpen, am weitesten verbreitet sind sie aber im hohen Norden, rund um die Arktis, vor allem in Russland, Kanada und den USA.

Nur die obere, aktive Schicht taut im Jahreszeitwechsel von einigen Zentimetern bis zu einem Meter tief auf, die untere Schicht bleibt bis zu einer Tiefe von mehreren hundert Metern durchgehend gefroren. Die sich verändernde Auftautiefe zeigt die kurzfristigen Schwankungen des Wetters, die steigenden Temperaturen in der Tiefkühlschicht dagegen die längerfristigen Klimaveränderungen. Experten messen an vielen Orten kontinuierlich diese Daten und speisen sie in eine globale Datenbank ein, dem Global Terrestrial Network for Permafrost (GTM-P [8]).

Der größte, dickste und kälteste Permafrost befindet sich in Sibirien, dort beträgt die Jahresmitteltemperatur der unteren dauergefrorenen Schicht rund minus zehn Grad Celsius. Noch kälterer Boden mit minus 15 Grad Celsius bietet das nördlichste Kanada. Dort liegt die Jahresmitteltemperatur bei. Relativ warm mit einer Durchschnittstemperatur von minus zwei Grad Celsius ist dagegen die dauerhaft gefrorene Erdschicht auf Spitzbergen.

Batagai-Perrmafrost-Abbruch in Sibirien. Forschende haben den Permafrost in 50 Metern Tiefe jetzt auf ein Alter von 650.000 Jahre datiert - er ist damit der der älteste jemals in Eurasien nachgewiesene Permafrostboden. Bild: Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Flammender Appell

Durch den Klimawandel verändern sich die Permafrostregionen sowohl an Land wie auch im Meer besonders schnell. Die Temperaturen der Landoberfläche erhöhten sich in diesen Gebieten zwei- bis viermal schneller als im weltweiten Durchschnitt.

Eine riskante Entwicklung, denn in der Erde ruhen dort seit langer Zeit die eingefrorenen organischen Überreste von Tieren und Pflanzen, die sofort durch Mikroben zersetzen werden, sobald sie auftauen. Dabei entstehen Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4), die für eine weitere Erhitzung der Welt sorgen könnten.

Wie schnell das passieren wird, darüber wird in der Fachwelt noch heftig debattiert. Jens Strauss betont, dass weder Untergangsfantasien noch Verharmlosung wirklich Sinn machen:

Wir müssen zwar nicht damit rechnen, dass der Permafrost in ein paar Jahren riesige Mengen Treibhausgase auf einmal in die Atmosphäre spuckt und das Klima damit unweigerlich zum Kippen bringt. Aber immerhin setzen die Permafrost-Regionen heute schon Treibhausgase in einem Umfang frei, der nahezu den jährlichen Emissionen von Deutschland entspricht. Wir können durchaus noch etwas tun. Für Resignation haben wir keine Zeit.

Krater und einstürzende Gebäude

Wenn der Permafrost taut, wird der Boden instabil, der nicht mehr von Eis zusammen gehalten wird. Es entstehen Krater, Sümpfe und Schlamm-Seen. Durch die höheren Temperaturen gedeihen mehr Pflanzen.

Büsche rücken nach Norden vor, wo vorher nur Gräser wuchsen. Die Landschaft verändert sich, an den Küsten holt sich das Meer immer mehr Land, Waldbrände zerstören ganze Landstriche. Ein komplexer Vorgang, der eine völlig neue Umgebung schafft.

Als direkte Folge des nachgebenden Bodens bersten Pipelines, Straßen brechen weg und Gebäude geraten in Schieflage oder stürzen ein. Wissenschaftliche Berechnungen ergaben, dass 120.000 Gebäude [9], 40.000 Straßenkilometer und 9.500 Kilometer Pipelines in akuter Gefahr sind. Traditionelle Lebensweisen von indigenen Gemeinschaften, wie zum Beispiel die der Rentierzüchter, sind zudem bedroht.

Die Permafrostgebiete in Skandinavien und Finnland werden wohl auf jeden Fall bis 2040 verschwunden sein, selbst wenn die Erderwärmung rasch eingedämmt wird.2 [10]

Die Fachleute sind beunruhigt, entsprechend intensiv appelliert die Forschergruppe um Benjamin Abbott an die Politik weltweit:

Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für das riesige globale Permafrostgebiet. (...) Wenn es uns nicht gelingt, die Permafrost-Ökosysteme zu schützen, wird das schwerwiegende Folgen für die Menschenrechte, die Integrität der Biosphäre und das globale Klima haben.

Die politischen Implikationen sind klar: Je schneller wir die menschlichen Emissionen reduzieren und das atmosphärische CO2 abbauen, desto mehr der Permafrost-Gebiete können wir retten. Die Ziele für die Emissionsreduzierung müssen verschärft werden, und mit der Unterstützung der lokalen Bevölkerung einhergehen, um intakte ökologische Gemeinschaften und natürliche Kohlenstoffsenken innerhalb der Permafrost-Gebiete zu schützen. (...)

Wir rufen Staats- und Regierungschefs, Unternehmen, Forscher und Bürger auf der ganzen Welt auf, die globale Bedeutung des Permafrosts anzuerkennen, und sich für die Wiederherstellung des Klimas und die Stärkung der Rechte indigener und zugewanderter Gemeinschaften in diesen Regionen einzusetzen.

Die interaktive Karte des Alfred-Wegener-Instituts [11] zeigt, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben. Die Zukunft zeigt sich in drei verschiedenen Szenarien für das Schicksal des Permafrosts bei niedrigen, mittleren und hohen Treibhausgas-Emissionen. Karte: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)

Ergänzend zum Bericht über die Situation der Permafrost-Regionen veröffentlicht das Alfred-Wegener-Institut eine interaktive Karte der Nordhalbkugel [12], die das Team um Moritz Langer erstellt hat. "Auf dieser Karte kann man sich anzeigen lassen, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben", erklärt der Forscher.

Zusammen mit anderen wissenschaftlichen Experten hat er im Juni als Preprint auf EGUsphere (Plattform der europäischen Geowissenschaften) eine kurze Geschichte der arktischen Permafrostes der letzten Jahrhunderte veröffentlicht: "The evolution of Arctic permafrost over the last three centuries [13]". Daten wie die Temperatur der Erdoberfläche, Auftautiefe oder Kohlenstoffmengen in der obersten Bodenschicht flossen in die Studie ein.

Dabei zeigte sich, dass die Erwärmung des Permafrostes seit der Industrialisierung hauptsächlich in drei Hotspot-Regionen im Nordosten Kanadas, im Norden Alaskas und in geringerem Maße in Westsibirien stattfand.

In der Geschichte ging es zunächst vom geringen zum mäßigen Auftauen, erst im 20. Jahrhundert verdoppelte sich die Permafrost-Verlustrate, ganz besonders verstärkt in den letzten 50 Jahren.

Neben dem virtuellen Blick in die Vergangenheit bietet die Karte auch mögliche Zukunftsperspektiven für die Dauerfrostböden. Drei Szenarien mit niedrigen, mittleren und hohen Treibhausgas-Emissionen können durchgespielt werden.

Wenn rasch gehandelt wird und die globale Erwärmung weniger als zwei Grad Celsius beträgt, könnte ein großer Teil des Permafrosts erhalten bleiben. "Leider steuern wir im Moment aber auf eine viel stärkere Erwärmung zu", erklärt Moritz Langer, und bei einem Anstieg der Temperaturen um vier bis sechs Grad würde bis zum Jahr 2100 allüberall im hohen Norden das große Tauen herrschen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7203380

Links in diesem Artikel:
[1] https://public.wmo.int/en
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/wetter-hitze-frankreich-spanien-deutschland-klima-101.html
[3] https://www.daswetter.com/nachrichten/aktuelles/unglaublich-rekordkoch-brachte-der-artkis-38-grad-hitze-klimawandel.html
[4] https://www.byu.edu
[5] https://www.awi.de
[6] https://www.heise.de/tp/features/Fuer-Resignation-haben-wir-keine-Zeit-7203380.html?view=fussnoten#f_1
[7] https://www.awi.de/fileadmin/_processed_/4/1/csm_GTN-P_map_permafrostzones_Arctic_deutsch_web_a41d905172.jpg
[8] https://gtnp.arcticportal.org
[9] https://www.heise.de/hintergrund/120-000-Gebaeude-durch-tauenden-Permafrost-Boden-bedroht-6326157.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Fuer-Resignation-haben-wir-keine-Zeit-7203380.html?view=fussnoten#f_2
[11] https://permafrost.awi.eventfive.de/
[12] https://permafrost.awi.eventfive.de
[13] https://doi.org/10.5194/egusphere-2022-473