"Für die Butter und nicht für die Kanonen"

Bundeswehrkapelle steht in Reih und Glied

Das Geld für Rüstung fehlt an anderer Stelle

(Bild: Juergen Nowak/Shutterstock.com)

Friedensbewegte Wissenschaftler rufen zur Demonstration am 3. Oktober in Berlin auf. So auch der Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge. Ein Telepolis-Interview.

Deutschland wird seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine 2022 verstärkt militarisiert. Bundeskanzler Scholz rief am 27. Februar 2022 eine "Zeitenwende" aus, der Bundestag beschloss ein 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen Bundeswehr und die Erhöhung des Rüstungsetats auf mindestens zwei Prozent des BIP.

Dagegen regt sich Protest, wie am kommenden 3. Oktober bei der Friedensdemonstration "Nein zu Kriegen!" in Berlin. Zahlreiche Wissenschaftler unterstützen den Aufruf – ein Anlass, wissenschaftliche Perspektiven auf die Militarisierung zu beleuchten.

▶ Am 3. Oktober findet in Berlin die bundesweite Friedensdemonstration "Nein zu Kriegen!" statt. Zahlreiche Wissenschaftler rufen dazu auf, darunter auch der Politikwissenschaftler und Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge. Herr Butterwegge, was bewegt Sie dazu?

Unser Gesprächspartner Christoph Butterwegge
(Bild: Swaantje Düsenberg)

Butterwegge: In den frühen 80er-Jahren war ich einer der Sprecher des Bremer Friedensforums und habe mich als junger Sozialwissenschaftler mit Kriegsursachen, NATO-Strategien und Aktionsformen der Friedensbewegung befasst. Heute scheint mir, als würde sich die Geschichte wiederholen. Wieder rahmt die Abschreckungsideologie – von "Bum-Bum" Boris Pistorius als intellektuell wenig anspruchsvolle Vulgärphilosophie zur "Kriegstüchtigkeit" unserer Gesellschaft verdichtet – eine militärische Erstschlagstrategie, die durch Stationierung der modernsten US-amerikanischen Mittelstreckenraketen in Westdeutschland neue Nahrung erhält. Die neue Nachrüstungsdebatte hat erst begonnen, aber schon tun sich die alten politischen Fronten auf: Ein rechtssozialdemokratischer Bundeskanzler forciert den Aufrüstungskurs, hält die Gewerkschaften ruhig und den Protest vorerst gering. Auch nach dem sogenannten NATO-Doppelbeschluss dauerte es eine Zeitlang, bis die Friedensbewegung zu neuem Leben erwachte.

Auswirkungen der "Zeitenwende" auf soziale Ungleichheit

▶ Nach der Eskalation im russisch-ukrainischen Krieg 2022 verkündete Bundeskanzler Scholz eine "Zeitenwende". Sie thematisieren dies in Ihrem Buch "Deutschland im Krisenmodus". Wie wirkt die "Zeitenwende" sich auf die soziale Ungleichheit in Deutschland aus?

Butterwegge: Der militärpolitischen Zeitenwende folgt die sozialpolitische. Ihr erstes Opfer war die Kindergrundsicherung. Weitere Maßnahmen, die Armen und Angehörigen der unteren Mittelschicht besonders schaden, dürften folgen. Leiden müssen auch die Erwachsenen im Bürgergeldbezug, denen für das kommende Jahr eine "Nullrunde" verordnet wird, was aufgrund der Preissteigerungen natürlich ein Minus beim Lebensstandard bedeutet. Noch stärker sinken sollen die Asylbewerber- und die sogenannten Analogleistungen für Geflüchtete, die nach drei Jahren immer noch im Verfahren stecken, und Geduldete. Die berufliche Weiterbildung für Erwerbslose wird trotz des vielbeschworenen Fachkräftemangels zurückgefahren und auch die Freiwilligendienste müssen erneut Federn lassen.

▶ Clemens Fuest formulierte es im Februar 2024 bei Maybrit Illner wie folgt: "Kanonen und Butter, es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht." Haben wir es mit einer direkten Ressourcenumverteilung aus dem sozialen in den militärischen Bereich zu tun? Oder greift diese Betrachtung zu kurz?

Butterwegge: Nein, der Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung hat da ausnahmsweise mal recht: Sozial- oder Rüstungsstaat heißt die Alternative, wenn das "Sondervermögen Bundeswehr" 2027/28 ausgeschöpft ist und der Militäretat laut Scholz und Pistorius schlagartig um 20 oder 25 Milliarden Euro steigen muss, um das anvisierte Ziel von mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. Nur bin ich schon wegen meines Familiennamens für die Butter und nicht wie der neoliberale Ökonom für die Kanonen. Ich denke in erster Linie an die Armen und sozial Benachteiligten – Fuest hingegen an die Reichen, etwa Großaktionäre der Rüstungskonzerne.

Die soziale Frage und die Friedensfrage gehören zusammen

▶ Sozialverbände wie der Paritätische schlagen Alarm wegen Null- und Kürzungsrunden in der staatlichen Sozialpolitik. Teils demonstrieren sie auf den Straßen. Allerdings werden soziale Forderungen nicht mit der Friedensfrage verbunden. Welche Chancen hat eine Sozialpolitik ohne Friedenspolitik - quasi im Windschatten des Rüstungskurses der Bundesregierung?

Butterwegge: Soziale, demokratische und Friedensfrage gehören zusammen. Nur wenn Hochrüstung und Krieg verhindert werden, kann es sozialen Fortschritt und Erfolge gegen rechte Demokratiefeinde geben. Das müssen neben den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft auch die Gewerkschaften erkennen. Dass der DGB die drohende Stationierung von neuartigen Mittelstreckenraketen in seinem Aufruf zum Antikriegstag am 1. September nicht erwähnte, hat mich als jemanden, der über 50 Jahre einer seiner Einzelgewerkschaften angehört, sehr enttäuscht.

▶ Der Aufruf der Demonstration "Nein zu Kriegen!" fordert, anstelle der Rüstung den Sozialstaat auszubauen. Wo sehen Sie den dringlichsten Investitionsbedarf?

Butterwegge: Die Armut dringt seit der Covid-19-Pandemie, der Energiepreisexplosion und der Inflation in die Mitte der Gesellschaft vor. Damit vermehren sich die Aufgaben des Sozialstaates. Sowohl die Familien-, Kinder- und Jugendarmut wie auch die noch stärker zunehmende Altersarmut müssen konsequent bekämpft, mehr Finanzmittel in unser teilweise marodes Bildungssystem gesteckt, aber auch der öffentliche Wohnungsbau forciert und der Pflegenotstand beseitigt werden. Da die relative Einkommensarmut wegen der steigenden Mietpreise häufiger in absolute, extreme, existenzielle Armut umschlagen dürfte, muss ferner der Verelendung im Obdachlosenmilieu begegnet werden.

Benjamin Roth sprach mit Christoph Butterwegge. Er er ist Professor im Ruhestand für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln mit den Schwerpunkten Armut und soziale Ungleichheit. Zuletzt erschien sein Buch "Umverteilung des Reichtums" bei PapyRossa.