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Fukushima: Japan will radioaktiv kontaminiertes Wasser ins Meer leiten

Tanks mit radioaktiv kontaminiertem Wasser in Fukushima. Bild: IAEA

Energie und Klima – kompakt: Japans Nachbarn sind empört über das Verhalten der Regierung in Tokio. Doch wie gefährlich ist das mit Tritium verunreinigte Kühlwasser? Was bereitet Wissenschaftlern Sorgen?

Die japanische Regierung plant, große Mengen radioaktiv kontaminiertes Wassers in den Pazifik abzulassen. Die britische Zeitung Guardian spricht [1] von 1,3 Millionen Tonnen, also 1,3 Millionen Kubikmetern Wasser, das bereits gefiltert und damit für den Einlass ins Meer vorbereitet sei.

Das Wasser stammt aus den drei havarierten Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi, die am 11. März 2011 von einem schweren Erdbeben und einem nachfolgenden gewaltigen Tsunami zerstört wurden. Rund 20.000 Menschen wurden seinerzeit durch die Flutwelle getötet und die Nachbarschaft des AKWs völlig verwüstet.

In den Reaktoren kam es zur Kernschmelze und zu Wasserstoffexplosionen, durch die radioaktives Material in der Nachbarschaft verteilt wurde. Mehr als Hunderttausend Überlebende wurden aus den umliegenden Orten – teilweise bis zu 40 Kilometer [2] vom AKW entfernt – evakuiert und können oder wollen zum Teil bis heute nicht zurückkehren [3].

Das Wasser, um das es aktuell geht, wurde meist in den drei Havaristen eingesetzt, um die zusammengeschmolzenen Reaktorkerne zu kühlen. Dadurch ist es durch jede Menge radioaktives Spaltmaterial verunreinigt.

Bild [4]: naturalflow / CC BY-SA 2.0 [5]

Auf der Homepage des Tokioter Energieministeriums [6] ist von einer Belastung von 60.000 Becquerel pro Liter die Rede. Ein Becquerel entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde. Durch Filtern und Verdünnen mit Meerwasser werde die Kontamination auf 1.500 Becquerel reduziert, bevor das Wasser ins Meer geleitet wird.

Für die Internationale Atomenergie Agentur IAEA in Wien ist das völlig akzeptabel. Nach zwei Jahren Prüfen hat sie am gestrigen Mittwoch ihr OK [7] zu dem Vorhaben gegeben. Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt seien "vernachlässigbar".

Scharfe Proteste kommen dagegen aus einigen Nachbarländern. Hongkong kündigte "rigorose Maßnahmen" [8] an und droht mit Einfuhrverboten für japanische Lebensmittel. Tse Chin-wan, Staatssekretär für Umwelt und Ökologie in der autonomen Stadt, wirft der Regierung in Tokio vor [9], "ihre internationalen Verpflichtungen zu verletzten und sowohl die Meeresumwelt als auch die öffentliche Gesundheit zu gefährden".

Chinas Außenministerium erinnert Tokio laut Japan Times [10] daran, dass das Meer "nicht Japans privater Abwasserkanal" sei. Ministeriumssprecher Wang Wenbin nannte Japans Vorgehen egoistisch. Es gefährde "die gemeinsamen Interessen der Menschheit".

Auch auf den Pazifikinseln wird Protest laut. Henry Puna, Generalsekretär des Pazifikforums, erinnert [11] Japan an internationale Verträge, die die Entsorgung radioaktiven Mülls im Meer verbieten. Dem Forum gehören 18 Staaten an, darunter Papua-Neuguinea, Tonga, Vanuatu, Nauru und Australien. Seit vielen Jahren schon müsse sich das Forum, so Puna, mit den Versuchen verschiedener Staaten beschäftigen, radioaktive Abfälle in den Pazifik zu schütten.

In Südkorea kommen dagegen von der dortigen, zuletzt mehr Nähe zu Japan suchenden Regierung keine Einwände gegen das Vorhaben Tokios. Allerdings zeigen Meinungsumfragen, über die die Japan Times berichtet, dass die Bevölkerung völlig andere Meinung ist und nicht den Regierungsfachleuten vertraut, die sie zu beruhigen versuchen.

Gefahren: Anreicherung von Spaltprodukten in der Nahrungskette

Der Sender AL Jazeera zitiert [12] südkoreanische Fischer, die befürchten, ihren Fang nicht mehr verkaufen zu können, wenn die Menschen sich Sorgen wegen des radioaktiven Wassers machen. Vor der japanischen Botschaft in Seoul gibt es entsprechend immer wieder Proteste [13] und sogar einen Hungerstreik.

Die IAEA verweist derweil darauf, dass die Entscheidung in nationaler Verantwortung liege und die japanische Atomaufsichtsbehörde bereits im Mai grünes Licht gegeben habe. Die Agentur wurde 1957 gegründet, "um den Beitrag der Atomenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand in der ganzen Welt zu vergrößern und zu beschleunigen", wie es in ihrem Statut [14] heißt.

Und weiter: "So weit sie dazu in der Lage ist, wird sie dafür sorgen, dass die von ihr angebotene Unterstützung (…) nicht dazu genutzt wird, militärischen Zwecken zu dienen." Eine Formulierung, die viel Spielraum für Interpretationen lässt. Der Agentur gehören 176 Staaten an, darunter auch Deutschland, für zwei weitere läuft derzeit ein Aufnahmeverfahren. Sowohl die IAEA als auch das Energieministerium in Tokio berufen sich darauf, dass die radioaktive Belastung in dem gefilterten und verdünnten Wasser unter den Richtwerten der Weltgesundheitsbehörde WHO liegen. Allerdings sind diese für Trinkwasser gedacht.

Etwaige Gefahren im Meer werden aber nicht dadurch entstehen, dass Menschen versehentlich einen Schluck Salzwasser beim Baden nehmen. Vielmehr wird die Frage sein, ob sich die radioaktiven Spaltprodukte in der Nahrungskette anreichern, wie es oft bei Umweltgiften der Fall ist. Dazu gibt es bisher nur Abschätzungen der Fukushima-Betreibergesellschaft Tepco, die von der IAEA übernommen werden.

Die Fachzeitschrift Nature zitierte [15] Ende vergangenen Monat Wissenschaftler, die das von dem kontaminierten Wasser ausgehende Risiko für gering halten, aber auch solche, die widersprechen. Robert Richmond, Meeresbiologe an der Universität von Hawaii, weist darauf hin, dass das im Wasser enthaltene Tritium, auch schweres Wasser genannt, als sogenannte ß-Strahler Menschen zwar nichts anhaben könne, wenn sie zum Beispiel im Meer baden.

Diese Strahlung wird in der geringen Intensität von der Haut abgeschirmt. Gelangt das Tritium jedoch mit der Nahrung in den Körper, kann es dort direkt auf Zellen einwirken und deren Erbgut beschädigen.

Tepco und IAEA verweisen hingegen darauf, dass Tritium auch im nuklearen Normalbetrieb ins Meer gelangt. Das ist richtig und entsprechend hat Telepolis auch schon vor Jahren darüber berichtet [16], wie sich radioaktive Spaltprodukte in Flora und Fauna anreichern, oder wie Tritium in der Nachbarschaft eines alternden US-Reaktors das Krebsrisiko erhöht [17].

Auch gibt es Hinweise [18], dass Tritium schon in geringen Konzentrationen in der Umgebung von Atomanlagen durch Einfluss auf das Erbgut potenzieller Väter und Mütter das Geschlechterverhältnis verändert.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9208744

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.theguardian.com/world/2023/jul/04/fukushima-china-calls-for-suspension-of-japanese-plan-to-release-radioactive-water-into-sea
[2] https://medium.com/social-innovation-japan/fukushimas-nuclear-exclusion-zone-7-years-on-5b1998a1d560
[3] https://edition.cnn.com/2022/08/30/asia/futaba-fukushima-nuclear-evacuation-order-intl-hnk/index.html
[4] https://www.flickr.com/photos/vizpix/5529038135
[5] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
[6] https://www.meti.go.jp/earthquake/nuclear/hairo_osensui/english/shirou_alps/no1/
[7] https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/iaea-finds-japans-plans-to-release-treated-water-into-the-sea-at-fukushima-consistent-with-international-safety-standards
[8] https://hongkongfp.com/2023/06/08/hong-kong-to-restrict-food-imports-from-japan-if-nuclear-wastewater-is-released-environment-chief-says/
[9] https://hongkongfp.com/2023/06/29/japan-must-abandon-its-reckless-proposal-to-discharge-fukushima-waste-water-into-the-ocean/
[10] https://www.japantimes.co.jp/news/2023/07/03/national/fukushima-water-neighbors/
[11] https://www.forumsec.org/2023/06/26/statement-pacific-islands-forum-secretary-general-henry-puna-on-the-fukushima-treated-nuclear-wastewater/
[12] https://www.aljazeera.com/news/2021/5/3/protests-grow-in-south-korea-over-japan-fukushima-disposal-plan
[13] https://www.laprensalatina.com/south-korea-protests-fukushima-spill-plan-despite-atomic-agency-report/
[14] https://www.iaea.org/sites/default/files/statute.pdf
[15] https://www.nature.com/articles/d41586-023-02057-y
[16] https://www.telepolis.de/features/Strahlender-Ozean-3287652.html
[17] https://www.telepolis.de/features/Steigt-das-Krebsrisiko-in-der-Naehe-von-alternden-Atomkraftwerken-3364569.html
[18] https://www.telepolis.de/features/Verlorene-Maedchen-In-der-Naehe-von-Atomanlagen-ist-das-Geschlechterverhaeltnis-veraendert-3387696.html