Fundamental-Pazifismus und Real-Pazifismus

Viele wurden vom Krieg Russlands überrascht. Nun scheint eine Verhandlungslösung weit entfernt. Warum Fundamentalpazifismus fehl am Platz ist. Ein Kommentar.

Wohl noch nie waren so viele ehemalige Bundeswehrgeneräle Gast in deutschen Fernsehtalkshows wie in den letzten Monaten. Laut Spiegel werden diese Ex-Generäle – wie Lothar Domröse, Erich Vad oder Harald Kujat – in der Bundeswehr inzwischen als "Lodenmantelgeschwader" verspottet. Wichtiger ist die Frage, ob diese Militärfachleute Putins Krieg realistisch eingeschätzt haben.

Ex-General Vad, lange Jahre Militärberater von Kanzlerin Angela Merkel, sagte zu Beginn des Krieges: "Meine Bewertung ist, dass es nur ein paar Tage gehen wird und nicht mehr." Auch Ex-General Harald Kujat meinte kurz nach dem Überfall, dass Russland "keinen großen Angriff" starten werde. Deutschland, deine Militärexperten!

Haben es die vielen Verfasserinnen und Verfasser von "offenen Briefen", die dem Bundeskanzler rieten, Waffen zu liefern oder keine Waffen zu liefern, besser gewusst? Wie ist der Krieg zu beenden?

In den letzten Jahren hat sich die Friedens- und Konfliktforschung auf die Analyse von Bürgerkriegen spezialisiert. Nicht zuletzt deshalb wurden wir auch fast alle von einem klassischen Krieg in Europa im Jahr 2022 so überrascht. Auch ich.

Wir hatten nicht mehr erwartet, dass sich in der Ukraine zwei Nationen militärisch bekämpfen würden. Doch in der Ost-Ukraine herrschen bereits seit 2014 bürgerkriegsähnliche Zustände. Prorussische Separatisten und ukrainische Milizen bekämpfen sich schon seit Jahren, losgelöst von regulären Streitkräften.

"Kriege enden dann, wenn sie zu teuer werden", sagt die Salzburger Kriegsforscherin Lena Oetzel der Süddeutschen Zeitung. Beim Ukraine-Krieg tun beide Seiten so als spiele Geld überhaupt keine Rolle. Solange beide Seiten glauben, dass sie auf dem Schlachtfeld mehr erreichen können als am Verhandlungstisch und möchten weiterkämpfen. Noch ist keiner bereit, als Erster mit offenen Armen auf den anderen zuzugehen.

In diesen Kriegstagen frage ich mich manchmal, warum denn keiner dieser russischen Kriegsherren auch nur ein einziges Mal darüber nachdenkt, was wirklich zählt im Leben? Dann wäre der Krieg rasch beendet.

Papst Franziskus hat in diesen Monaten Zweifel an Waffenlieferungen von außen geäußert, aber zugleich das Recht auf Selbstverteidigung jedes Landes unterstrichen. Jeder wirkliche Pazifist und jede wirkliche Pazifistin muss sich allerdings fragen, wie sich in diesem Vernichtungskrieg Putins die Ukraine ohne Waffen verteidigen soll. Vielleicht brauchen wir jetzt einen Umweg.

Kurzfristig "Frieden schaffen mit Waffen", um das langfristige Ziel "Frieden schaffen ohne Waffen" zu erreichen. Das wäre ein differenzierter Pazifismus – ich nenne ihn Real-Pazifismus im Gegensatz zu Fundamental-Pazifismus.

Fakt ist: Der heutige Herrscher in Moskau heißt Putin und nicht mehr Gorbatschow. Unser Problem ist: Es gibt heute weit und breit keinen Michail Gorbatschow und wenn es ihn gäbe, säße er im Gefängnis wie Alexej Nawalny.

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