Funkstille an der Ukraine-Front: Wo sind die frommen Kiew-Anhänger jetzt?

Ukraine-Demonstration in Washington D.C. Bild: Joe Flood / CC BY-NC-ND 2.0 Deed

Aktivisten unterstützten Washington, trieben die Kriegserwartungen hoch. Sie verleumdeten Skeptiker. Jetzt ziehen sie Gaza Kiew vor. Warum? Gastanalyse.

Wo sind die Parteigänger der Ukraine? Nach fast zwei Jahren intensiver emotionaler Investition in die Kriegsziele Kiews haben sich die Unterstützer anscheinend anderen Kriegsschauplätzen im Nahen Osten zugewandt – und das genau zu dem Zeitpunkt, an dem die militärischen Bemühungen den öffentlichen Druck am meisten benötigen.

Branko Marcetic schreibt für Jacobin, Washington Post und Guardian.

Mit anderen Worten: Die pro-ukrainischen Aktivisten – und die US-Regierung – haben die Erwartungen an eine militärische Lösung in die Höhe getrieben, nur um in einer Phase ihre Wohltäter im Stich zu lassen, in der der Krieg für die Ukraine immer schlechter zu laufen beginnt und der Konflikt in Gaza immer mehr Aufmerksamkeit erfordert.

Warnungen von allen Seiten

In den letzten fünf Monaten wurde die Militär- und Wirtschaftshilfe für die Ukraine in Höhe von mehr als 60 Milliarden US-Dollar im Kongress blockiert. Sowohl die ukrainische Führung und die Truppen an der Front als auch US-Beamte und -Analysten haben davor gewarnt, dass die Kriegsanstrengungen des Landes ohne diese Hilfe einen ernsthaften Rückschlag, wenn nicht sogar eine völlige Niederlage erleiden würden.

Die Hilfe ist aus verschiedenen Gründen ins Stocken geraten, nicht zuletzt wegen des wachsenden Widerstands der Republikaner-Partei gegen eine weitere Unterstützung des Krieges.

In der Zwischenzeit hat US-Präsident Joe Biden davor gewarnt, dass der russische Präsident Wladimir Putin "darauf setzt, dass die Vereinigten Staaten die Hilfe für die Ukraine nicht beibringen". Das Weiße Haus hatte zuvor betont, dass eine Einstellung der Hilfe die Chancen des Landes auf dem Schlachtfeld voranzukommen "abwürgen" würde.

Letzte Woche erlitt die Finanzierung nach monatelangem Ringen einen weiteren Rückschlag, als die Republikaner im Senat eine Vereinbarung zur Grenzsicherung ablehnten, die auf ihren Wunsch in das Paket aufgenommen worden war, um ihre Unterstützung zu gewinnen.

Ukraine-Hilfe in der Schwebe

Der Rest des Pakets soll in einem eigenständigen Gesetzentwurf abgestimmt werden. Aber es ist unklar, ob das gelingen wird – was die sehr reale Möglichkeit aufwirft, dass die US-Hilfe für die Ukraine, die bei Weitem größte Einzelquelle für ihre militärische Finanzierung, vollständig versiegt.

Diese Situation ist nicht plötzlich oder unerwartet eingetreten. Der Kongress zaudert schon seit fast sechs Monaten, technisch gesehen sogar noch länger, das Paket freizugeben. Schon seit Anfang letzten Jahres war klar, dass die US-Finanzierung im September 2023 auslaufen würde, während der Widerstand der Republikaner gegen eine weitere Unterstützung zunahm, was die Verabschiedung weiterer Hilfen absehbar zu einem intensiven politischen Kampf macht.

Doch abgesehen von einigen wütenden Meinungsartikeln und Schuldzuweisungen siechte das Finanzierungspaket letztlich ohne große öffentliche Empörung dahin.

Der MSNBC-Moderator Al Sharpton fragte sogar einen der Verfasser des Gesetzentwurfs, ob man sich darum bemühe, "die Öffentlichkeit in verschiedenen Bundesstaaten dazu zu bringen, sich zu erheben und den dortigen Senatoren zu sagen, dass man die Grenzfrage wirklich gelöst sehen will", um den Gesetzentwurf durchzubringen. Doch der öffentliche Aufstand blieb aus.

Gaza: Welle von Aktivismus

Das Gegenteil ist in der Gaza-Frage der Fall. Im Gegensatz zu dem lauwarmen Druck, der auf den Kongress ausgeübt wurde, um die Ukraine-Hilfe zu verabschieden, erfreut sich die palästinensische Sache auf allen Ebenen der amerikanischen Gesellschaft, vor allem auf der Linken, einer Welle des Aktivismus an der Basis, nicht anders als bei der ukrainischen Sache vor zwei Jahren.

Seit Oktober haben in den großen US-Städten fast jede Woche Proteste für einen Waffenstillstand stattgefunden – sogar mehrmals pro Woche. Manchmal haben sie sich gezielt gegen bestimmte Abgeordnete vom Kapitol gewandt, bis hin zu Protesten vor deren Büros und sogar Häusern. Vor der Residenz des Außenministers Antony Blinken in Arlington, Virginia, wurde eine "Zeltstadt" errichtet, in der rund um die Uhr demonstriert wird.

In einigen Fällen sind die Proteste auf Störungen ausgerichtet, indem öffentliche Plätze und Hauptverkehrsstraßen besetzt und gesperrt werden. Aktivisten haben Kampagnen organisiert, um Druck auf störrige Abgeordnete auszuüben, während Kongress-Büros mit einer noch nie dagewesenen Anzahl von E-Mails und Anrufen überschwemmt werden.

In der Zwischenzeit haben mit den Palästinensern sympathisierende Wähler in wichtigen Bundesstaaten effektiv damit gedroht, ihre Stimmen zurückzuhalten und die Chancen des Präsidenten auf seine Wiederwahl zu vereiteln, während Aktivisten nun regelmäßig seine Wahlkampfkundgebungen und Reden unterbrechen.

Starke Emotionen, nirgends

Mindestens 48 Städte haben offiziell zu einem Waffenstillstand aufgerufen, ein Aufruf, der wiederum das Ergebnis intensiven öffentlichen Drucks und Widerstands war.

Ferner gab es beispiellose Unzufriedenheits-Äußerungen mit der US-Kriegspolitik aus den Reihen der Regierung selbst, wobei Praktikanten, Mitglieder und Mitarbeiter des Kongresses alle ihre eigenen öffentlichen Kampagnen durchführten.

Sogar Senator Bernie Sanders wurde von mehr als 300 ehemaligen Wahlkampfmitarbeitern öffentlich dazu aufgefordert, einen Waffenstillstand zu unterstützen.

Angesichts der starken Emotionen, die in den letzten zwei Jahren im gesamten politischen Spektrum mit den Kriegsanstrengungen der Ukraine verbunden gewesen sind – der Allgegenwart ukrainischer Flaggen in amerikanischen Städten und sozialen Medienprofilen sowie der weitverbreiteten Unterstützung durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Institutionen, selbst bei unpolitischen Veranstaltungen –, sollte man meinen, dass die Blockade von Hilfe nun etwas Ähnliches bewirken würde.

Wenn Unterstützung am meisten benötigt wird

Stattdessen hat nichts dergleichen stattgefunden. Abgesehen von Sticheleien gegen diejenigen, die die Transparenz der Wirksamkeit der fortgesetzten Hilfe infrage stellen, herrscht an der Ukraine-Front weitgehend Funkstille.

Die Ironie dabei ist, dass die Unterstützung für die Kriegsanstrengungen der Ukraine am lautesten und intensivsten war, als Kiew zu gewinnen schien und als es die volle Unterstützung des Kongresses hatte. Jetzt, wo die militärische Offensive des Landes wackelt, wo der Kongress bei weiteren Hilfen zögert und wo endlich Druck von der Basis nötig wäre, um das Land zum Einlenken zu bewegen, ist er nirgends zu finden.

Es ist schwer zu sagen, was genau dieses Phänomen erklärt. War es ein Stellvertreterkrieg, der kurzzeitig das Selbstbild der USA als tugendhafter globaler Hegemon wiederbelebte, das sich im Laufe der Zeit verflüchtigte?

Ging es bei den Kriegsanstrengungen der Ukraine vorübergehend um emotionale, finanzielle und militärische Investitionen, die sich aus der jahrelangen antirussischen Feindseligkeit speisten, die die US-Innenpolitik beherrscht hat?

Medienaktivismus?

War die Ukraine vielleicht nur ein "aktuelles Thema", eines aus einer nicht enden wollenden Reihe flüchtiger politischer Anlässe, die zum Gegenstand eines hyper-sozialen Medienaktivismus und öffentlichen Brandings werden?

Was auch immer der Fall gewesen sein mag, die US-Regierung und ihre Handlanger im außenpolitischen Establishment taten weitaus Schlimmeres.

Oleksij Arestowytsch, ein ehemaliger Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, griff die wachsende ukrainische Unzufriedenheit mit den westlichen Partnern auf: Er kritisierte kürzlich, dass die Ukraine "die reguläre russische Armee besiegt habe sowie deren Invasionsplan aus eigener Kraft und mit minimaler Hilfe des Westens vereitelte" habe, während der "Krieg mit den Istanbuler Vereinbarungen hätte beendet werden können".

Schlechte Freunde

Aber, wie Berichte zeigen, hatten westliche Regierungen "uns, der Ukraine, wirkliche Unterstützung für die Führung eines großen Krieges versprochen". Man ermutigte Kiew, die Verhandlungen mit Moskau abzubrechen. Die Unterstützung für einen großangelegten Krieg kam nie – und "wir haben einen hohen Preis dafür bezahlt", erklärte Arestowytsch.

Wie oft haben wir nun schon den Ruf nach einem "totalen Sieg" und die Diffamierungen derjenigen gehört, die auf eine Verhandlungslösung drängen? Dabei haben sich diejenigen, die das propagierten, nicht nur als Schönwetterfreunde erwiesen, sondern auch dazu beigetragen, die Ukraine in eine weitaus schlechtere Lage als zu Beginn des Krieges zu bringen.

Daraus lassen sich Lehren ziehen, viele von ihnen entfalten sich vor unsere Augen. Wir können nur hoffen, dass wir aus ihnen die Schlüsse ziehen. Aber für das ukrainische Volk ist es wahrscheinlich schon viel zu spät.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.