G20 verbannt Ukraine-Krieg von der Tagesordnung
G20-Diplomaten wollen geopolitische Themen meiden. Brasilien setzt auf konstruktive Debatten statt Konflikte. Droht der Westen ins Abseits zu geraten?
Der Blick der internationalen Gemeinschaft auf den Krieg in der Ukraine verändert sich. Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte, war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf allen internationalen Bühnen präsent. Es gab kaum eine Konferenz, auf der Diplomaten nicht eine Erklärung zu dem Konflikt abgaben und den Kreml aufforderten, seine Truppen zurückzuziehen.
Internationale Gemeinschaft verliert Interesse am Ukraine-Krieg
Heute genießt die Ukraine diese Aufmerksamkeit und Fürsprache nicht mehr. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass führende Schwellenländer immer selbstbewusster auftreten, sich von der westlichen Agenda abkoppeln und ihre eigenen Interessen vertreten. Aber auch die westliche Unterstützung des israelischen Krieges gegen die Hamas hat die moralisierende Argumentation des Westens in der Welt unglaubwürdig gemacht.
Die neue Haltung zum Krieg in der Ukraine wird sich beispielsweise beim nächsten G-20-Gipfel im November in Brasilien zeigen. Beim Treffen der G20-Finanzchefs im Februar hatte man sich wegen Differenzen über die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen nicht auf ein gemeinsames Kommuniqué einigen können. Nun sollen diese Themen ganz ausgeklammert werden.
G-20-Gipfel: Geopolitik soll ausgeklammert werden
Darauf einigten sich die G20-Diplomaten, wie Reuters am Samstag meldete. Man wolle kontroverse geopolitische Themen auf dem Gipfel vermeiden, sagte der brasilianische Diplomat Mauricio Lyrio. Vorangegangen waren "wirklich harte Diskussionen" beim Vorbereitungstreffen in Rio de Janeiro in dieser Woche.
"Was wir bei diesem Treffen erreicht haben, ist eine Einigung darüber, wie wir künftig vorgehen wollen, damit sich die Minister auf ihre spezifischen Themen konzentrieren können", erklärte Lyrio. So sollen die Minister in ihren jeweiligen Bereichen nach Vereinbarungen suchen, ohne sich mit der Geopolitik befassen zu müssen.
Noch in diesem Monat treffen sich die Wirtschafts- und Finanzminister sowie die Notenbankchefs der G20 in Rio de Janeiro, wo am 18. und 19. November auch der jährliche Gipfel der Staats- und Regierungschefs stattfinden wird.
Brasilianische Diplomaten setzen neue Prioritäten für G20
Mit der neuen Vereinbarung wird der Krieg in der Ukraine nicht mehr alle Debatten überschatten, wie es bei früheren Treffen der Fall war. Globale Probleme wie Armut, Klimawandel oder wirtschaftliche Zusammenarbeit stehen wieder ganz oben auf der Tagesordnung.
Brasilianische Beamte hatten schon im Februar versucht, die Gespräche in diese Richtung zu lenken. Doch damals hatten westliche Staaten wie Deutschland darauf bestanden, dass die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen unbedingt in eine gemeinsame Erklärung aufgenommen werden. Dies überschattete und blockierte dann Diskussionen wie die von Brasilien vorgeschlagene Mindestvermögenssteuer für Ultrareiche.
Vertreter der G-7-Staaten versuchten damals, ihre Sicht auf die Kriege durchzusetzen. Der Krieg in der Ukraine sollte besonders scharf verurteilt werden, während der vom Westen mit Waffen unterstützte Krieg Israels als "humanitäre Krise" verharmlost werden sollte. Solche verlogenen und fruchtlosen Debatten will man nun vermeiden und stattdessen konstruktiv werden.