G7 und Russland: Brüchige Einigkeit

Abschließende Pressekonferenz von Scholz, da zogen sich schon dunkle Wolken über Elmau zusammen. Bild: g7germany.de
Der Gipfel der Industriestaaten sollte Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinien in die Allianz gegen Russland einbinden. Dieses Ansinnen ist grandios gescheitert. Die dunklen Wolken über Elmau hatten Symbolkraft.
Der osmanische Sultan Abdülmecid I. scheute keine Kosten, um zwischen 1843 und 1856 den prunkvollen Dolmabahçe-Palast in Istanbul zu errichten, der die Welt beeindrucken sollte. Er verfügte über den größten böhmischen Kristalllüster, der je installiert wurde. Für die Vergoldung der Decken wurden vierzehn Tonnen des Edelmetalls verwendet.
Dieser Prunk, den sich der Sultan gar nicht hat leisten können, war auch in der verzweifelten Notwendigkeit begründet, die Gläubiger zu täuschen, die längst vermuteten, dass das späte Osmanische Reich in Problemen ertrinken könnte, kurz vor dem Bankrott stand, durch die Inflation zerrüttet war und durch den Imperialismus bedroht wurde.
Das dreitägige Treffen der G7-Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau in den bayerischen Alpen, das unlängst in märchenhafter Umgebung stattfindet, erinnert an diese Geschichte des osmanischen Niedergangs. In der Öffentlichkeit wurde schließlich vielfach kritisiert, dass ein solch opulentes Spektakel nicht mehr zeitgemäß sei; dass es ein Beispiel dafür sei, wie weltfremd, ja dekadent diese Politiker geworden sind.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz trat als Gastgeber in einer etwas düsteren Atmosphäre vor die Medien, die seine Botschaft an die versammelten Journalisten widerspiegelte: "Vor uns liegt eine Zeit der Unsicherheit. Wir können nicht absehen, wie sie enden wird."
Scholz bezog sich damit auf die Ukraine-Krise und ihre Folgen. Scholz sprach von einem "langen Weg" und von Konsequenzen für alles und jeden. Das triumphale westliche Narrativ von der Strategie, Russland "auszuschalten", war verschwunden.
Der Hauptstreitpunkt unter den G-7-Ländern war in der Tat die Frage, wie man mit Russland umgehen soll. Die G-7-Staaten haben erkannt, dass es ihnen nicht gelungen ist, Russland zu isolieren, und dass es vielleicht nicht einmal in ihrem Interesse liegt, sich aus wirtschaftlichen Gründen völlig mit Moskau zu zerstreiten.
Viel Dissenz bei Sanktionen
Die Gipfelteilnehmer einigten sich nur knapp darauf, eine Reihe neuer Sanktionen gegen Russland zu beschließen, aber die Beratungen machten deutlich, dass dem Einsatz wirtschaftlicher Instrumente zur Bestrafung Russlands Grenzen gesetzt sind. Die westliche Strategie steckt in einer Sackgasse – Russland gewinnt diesen Krieg trotz der massiven Waffenlieferungen der USA an die Ukraine; die Sanktionen haben Russland nicht abgeschreckt, sie und schaden Europa möglicherweise mehr als Russland. Und die Ideen sind ausgegangen.
In der Öffentlichkeit gab es keine Anzeichen für einen Dissens, doch selbst als die G-7-Staats- und Regierungschefs der Ukraine ihre unerschütterliche Unterstützung zusagten, wurde ihnen bewusst, dass die beispiellosen Sanktionen der G7 und der Europäischen Union gegen Russland, die sich gegen Moskaus Wirtschaft, Energieexporte und Zentralbankreserven richten, zu einer weltweiten Marktvolatilität und zu höheren Energiekosten geführt haben. Das Wall Street Journal berichtete dazu:
Die hohe Inflation, die Verlangsamung des Wachstums und das Schreckgespenst der Energieknappheit in Europa in diesem Winter dämpfen die Bereitschaft des Westens zu schärferen Sanktionen gegen Moskau. Die Divergenzen zwischen den Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Japans haben verhindert, dass sie sich auf konkrete neue Sanktionen einigen konnten. Da die meisten unmittelbar verfügbaren Optionen zur Bestrafung Russlands weitgehend ausgeschöpft sind, bleiben nur noch kompliziertere und kontroversere Alternativen auf dem Tisch.
Im Kommuniqué der G7 heißt es:
Wir werden eine Reihe von Ansätzen in Betracht ziehen, darunter auch Optionen für ein mögliches umfassendes Verbot aller Dienstleistungen, die den weltweiten Transport von russischem Rohöl und Erdölprodukten auf dem Seeweg ermöglichen. Wir beauftragen unsere zuständigen Minister, diese Maßnahmen dringend weiter zu erörtern und sich dabei mit Drittländern und wichtigen Akteuren des Privatsektors sowie mit bestehenden und neuen Energielieferanten als Alternative zu russischen Kohlenwasserstoffen zu beraten.
Die G-7-Staats- und Regierungschefs haben auch einen Vorschlag der USA erörtert, der vorsieht, dass die Käufer von russischem Öl selbst den Höchstpreis festlegen, den sie dafür zu zahlen bereit sind. Letztlich wurden vor dem Hintergrund der Vorbehalte der Europäischen Union keine konkreten Entscheidungen getroffen.
Der US-Vorschlag würde nur dann Sinn haben, wenn sich ihm alle EU-Länder sowie China und Indien, die eine solche Entscheidung wahrscheinlich nicht unterstützen werden, vollumfänglich anschließen würden.
Aber einige EU-Länder sind fast zu hundert Prozent von russischem Öl abhängig, und wenn Russland nicht bereit ist, Öl zu einem niedrigeren Preis zu liefern, laufen diese Länder Gefahr, völlig ohne Rohstoffe dazustehen.
Schwellenländer reihen sich nicht in Front gegen Russland ein
Ein Hauptgrund für die Einladung Indiens, Indonesiens, Südafrikas, Senegals und Argentiniens zum G7-Gipfel war die Ausweitung der globalen Allianz gegen Russland. Aber dieses Ansinnen ist gescheitert. Dem Wall Street Journal zufolge erklärte Indiens Premierminister Narendra Modi bei einem bilateralen Treffen mit Scholz, dass Indien sich nicht an den Bemühungen gegen Russland beteiligen könne, und verteidigte auch öffentlich die Käufe von Erdöl aus Russland.
Ein zweiter Bereich, in dem die G7 darauf hoffte, Russlands Einnahmen zu schmälern, ist der Stopp der Einfuhr von russischem Gold. Auch hier fehlte es an einem Konsens. Scholz wollte, dass der US-Vorschlag zunächst auf EU-Ebene diskutiert wird. Der Vorsitzende des Europäischen Rates, Charles Michel, zeigte sich jedoch skeptisch: "Was das Gold betrifft, so sind wir bereit, die Details zu diskutieren.
Der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskow, zeigte sich offen ablehnend:
Der Edelmetallmarkt ist global, er ist recht groß, umfangreich und sehr vielfältig. Wenn ein Marktteil aufgrund illegitimer Entscheidungen an Attraktivität verliert, dann gibt es, wie bei anderen Gütern auch, eine Umorientierung dorthin, wo diese Güter mehr nachgefragt werden, wo sie bequemer zu erwerben sind und wo es legitimere Wirtschaftsregime gibt.
Der zurückhaltende Auftritt von US-Präsident Joe Biden auf dem G7-Gipfel spricht für sich selbst. Er begnügte sich damit, den anderen Staats- und Regierungschefs das Reden zu überlassen. Am letzten Tag des Gipfels, als die Sonne verschwand und sich dunkle Wolken über der imposanten Bergkulisse hinter Schloss Elmau senkten, berief sich Biden auf ein drohendes Gewitter, um eilig zum Münchner Flughafen abzureisen, und verzichtete auf eine Rede, die er eigentlich halten wollte.
In der Tat ist der Bruch fast surreal. Auf dem letzten G7-Gipfel unter deutschem Vorsitz im Jahr 2015 hatten sich die westlichen Staats- und Regierungschefs verpflichtet, bis zum Jahr 2030 mindestens 500 Millionen Menschen vom Hunger zu befreien. Seit 2017 sind die Zahlen jedoch nur noch gestiegen, und im Jahr 2022 werden über 150 Millionen Menschen mehr an Unterernährung leiden. Das Klima ist ein weiterer Risikofaktor.
Klimapolitik: Deutschlands Zurückrundern wird wahrgenommen
Bundeskanzler Scholz ist in die Kritik geraten, weil er auf dem G7-Gipfel versucht hat, die Vereinbarungen zum internationalen Klimaschutz zu verwässern. Aufgrund der Energiekrise versucht Deutschland, seine Selbstverpflichtung zum Ausstieg aus der öffentlichen Finanzierung fossiler Brennstoffe bis Ende 2022 rückgängig zu machen.
Dieses Jahr ist zweifellos ein wichtiges Jahr für das Klima. Die internationale Gemeinschaft hat versprochen, die nationalen Klimapläne zu aktualisieren und sie so anzupassen, dass das 1,5-Grad-Ziel noch vor der UN-Klimakonferenz in Ägypten im November erreicht werden kann. Damit dies gelingt, hätten die G7 mit gutem Beispiel vorangehen müssen.
Das Gegenteil ist eingetreten: Deutschland steigert seine Kohleimporte aufgrund der Unsicherheiten bei den russischen Gaslieferungen. Die G7 betonten die Rolle verstärkter Lieferungen von Flüssigerdgas und fügten hinzu, dass sie "anerkennen, dass Investitionen in diesem Wirtschaftsbereich als Reaktion auf die derzeitige Krise notwendig sind".
Scholz warnte erneut vor der realen Gefahr von Energieengpässen in der deutschen Wirtschaft und einem Lehman-ähnlichen Dominoeffekt. Zweifellos ist dies eine eklatante Umkehrung der Klimastrategie.
Im Grunde weist all dies darauf hin, dass die G7 nicht wissen, wie sie einen Ausweg aus den "Sanktionen aus der Hölle" gegen Russland finden sollen. Der Gipfel hat gezeigt, dass die bestehenden Sanktionen gegen Russland die Schmerzgrenze der meisten westlichen Entscheidungsträger ausgereizt haben. Und die europäischen Staats- und Regierungschefs stellen nun fest, dass weitere Sanktionen ihren Preis haben werden.
Sicherlich ist es dringend notwendig, eine neue westliche Strategie für den Fall einer längeren wirtschaftlichen Konfrontation mit Russland zu beschließen und die Wähler über die möglichen Folgen aufzuklären. Die deutsche Regierung warnte vor einer möglichen Gasverknappung, die zur Schließung von Fabriken und einer möglichen Rationierung der Gaslieferungen an Haushalte führen könnte.