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GefÀhrlicher Rekord: USA liefern Waffen im Wert von 40 Milliarden Dollar an Ukraine

David Goeßmann

LuftwaffenstĂŒtzpunkt Dover: Munition, Waffen und andere AusrĂŒstungsgegenstĂ€nde, die fĂŒr die Ukraine bestimmt sind, werden auf Paletten geladen. Bild: Mauricio Campino / Public Domain

Die Ukraine ist auf dem Weg, zum grĂ¶ĂŸten EmpfĂ€nger militĂ€rischer Hilfe der USA in diesem Jahrhundert zu werden. Die UnterstĂŒtzung mit Waffen ist auf Jahre ausgerichtet. Kritiker warnen vor den Risiken.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat die US-Regierung mehr Geld und Waffen in die UnterstĂŒtzung des ukrainischen MilitĂ€rs gepumpt als im Jahr 2020 an Afghanistan, Israel und Ägypten zusammen, berichtet das investigative US-Medium The Intercept [1]. Damit hat die Ukraine in wenigen Monaten mehr MilitĂ€rhilfe erhalten als die Gruppe der grĂ¶ĂŸten EmpfĂ€nger von US-UnterstĂŒtzung. Es unterstreicht, welche geostrategische Bedeutung die Ukraine fĂŒr die US-Administration erhalten hat.

Es ist dabei nicht leicht, den Überblick ĂŒber die GeldflĂŒsse zu behalten [2]. Denn bei manchen Summen handelt es sich um Versprechen, bei anderen um bereits getĂ€tigte Zahlungen. Zudem ist es schwierig, zwischen militĂ€rischer und nicht-militĂ€rischer Hilfe prĂ€zise zu unterscheiden. Dazu kommt, dass sich die Hilfen aus unterschiedlichen Quellen speisen, die dann zusammengerechnet werden mĂŒssen.

So verkĂŒndete der US-Außenminister Antony Blinken letzte Woche bei einem Überraschungsbesuch in Kiew ein Waffen-Paket in Höhe von knapp 700 Millionen Dollar und 2,2 Milliarden an langfristigen Investments zur StĂŒtzung der Sicherheit der Ukraine. Ein paar Wochen zuvor gab US-PrĂ€sident Joe Biden ein drei Milliarden Paket bekannt [3]. Und in diesem Monat legte Biden dem US-Kongress zudem einen Antrag zur Genehmigung vor, mit dem rund 14 Milliarden Dollar an AusrĂŒstung an die Ukraine fließen sollen [4].

Analysten in den USA gehen nach Angaben von The Intercept aber davon aus, dass die Gesamtsumme der US-Hilfen an die Ukraine deutlich höher liegt als die Summe, die sich aus den öffentlichen Verlautbarungen ergibt. Auf bis zu 40 Milliarden Dollar [5] sollen sich die Verpflichtungen der Vereinigten Staaten danach belaufen. Das bedeutet auf das letzte Jahr umgerechnet tĂ€glich 110 Millionen Dollar an militĂ€rischer Hilfe. Der Umfang und die Steigerungsrate der Ukraine-UnterstĂŒtzung hat damit ein historisches, bisher nicht gekanntes Niveau erreicht.

MilitĂ€rexperten gehen davon aus, dass sich die Ukraine – seit 2014 an sich schon der grĂ¶ĂŸte EmpfĂ€nger an US-Sicherheitsleistungen in Europa –, auf dem Weg befindet, der grĂ¶ĂŸte EmpfĂ€nger an US-MilitĂ€rhilfen in diesem Jahrhundert zu werden [6]. Die USA hĂ€tten zwar immer die militĂ€rischen FĂ€higkeiten ihrer VerbĂŒndeten in der Vergangenheit mit großen Summen ausgebaut, von Vietnam bis Afghanistan. Allein fĂŒr Afghanistan stellte die US-Administration 73 Milliarden bereit [7]. Israel hat seit dem Zweiten Weltkrieg insgesamt 146 Milliarden an AusrĂŒstung und UnterstĂŒtzung erhalten und ist zusammengerechnet der grĂ¶ĂŸte EmpfĂ€ngerstaat von US-Hilfen [8].

Doch die Geschwindigkeit, mit dem die Ukraine militÀrisch ausgestattet werde, sei beispiellos, so William Hartung, leitender Forscher am Quincy Institute [9].

Das ist bei weitem mehr als der Höchstbetrag, der bisher an Afghanistan gezahlt wurde, und ein Vielfaches der Hilfe fĂŒr Israel. Und es ist auch sonst einzigartig, dass die Regierung ein Land bewaffnet, in dem sich zwei Nationalstaaten im Krieg befinden.

Keine diplomatische Perspektive, keine effektive Waffenkontrolle

Hinzu kommt, dass die Lieferungen an die Ukraine nun nicht mehr aus BestĂ€nden, sondern aus Neuproduktionen stammen. Es wurden VertrĂ€ge mit RĂŒstungsunternehmen abgeschlossen, die ĂŒber die nĂ€chsten Jahre Waffen und AusrĂŒstung an die Ukraine bereitstellen sollen, die Regierungsbeamten zufolge "deren dauerhafte militĂ€rische StĂ€rke aufbauen werden, um die Freiheit und UnabhĂ€ngigkeit des ukrainischen Volkes weiterhin zu gewĂ€hrleisten".

Stephen Semler, MitbegrĂŒnder des Security Policy Reform Institute, einer Denkfabrik fĂŒr US-Außenpolitik, warnt davor, dass die US-Regierung seine bisherige Linie verlassen habe und nun unter anderem auch Raketen mit großer Reichweite zur VerfĂŒgung stelle, die Russland erreichen können, was das Risiko einer weiteren Eskalation und nuklearen Auseinandersetzung erhöhe. GegenĂŒber The Intercept sagte Semler weiter [10]:

Die USA bereiten sich auf einen langen Krieg, ... tatsĂ€chlich auf einen endlosen Krieg in der Ukraine vor. Sie sagen: "Wir verfolgen diesen langfristigen Ansatz nur, weil Putin darauf besteht". Und das könnte richtig sein – aber gleichzeitig bringen die USA nicht viel Vertrauen in ihre diplomatischen FĂ€higkeiten zum Ausdruck, den Konflikt zu beenden. Sie versuchen stattdessen, Putin mĂŒrbe zu machen.

Angesichts der offensichtlich auf Jahre angelegten militĂ€rischen UnterstĂŒtzung wĂ€chst gleichzeitig die Kritik in den USA, dass ĂŒber Alternativen und Diplomatie nicht öffentlich diskutiert werde. Es fehle, so Hartung vom Quincy Institute, die langfristige Perspektive und Strategie.

Kritisiert wird darĂŒber hinaus, dass es keine bzw. keine ausreichende Nachverfolgung und Transparenz bei den MilitĂ€rlieferungen [11] gĂ€be. Kongressabgeordnete und Senatoren verlangen mehr Kontrolle. Denn in der Vergangenheit sind immer wieder US-Waffen, die an VerbĂŒndete in Kriegsgebieten geliefert wurden, spĂ€ter in falsche HĂ€nde geraten und haben Menschenrechtsverbrechen ermöglicht. Stephen Semler vom Security Policy Reform Institute betont:

Wenn die USA Waffen in die Ukraine senden, dann sollte das darauf ausgerichtet sein, den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden und weiteres Blutvergießen zu verhindern. ... Das diplomatische Engagement muss mit aller Entschlossenheit verfolgt werden. Aber die Biden-Regierung signalisiert nicht, dass sie an Diplomatie interessiert ist.

Diese EinschĂ€tzung gilt nicht nur fĂŒr die USA. Auch in Europa ist der Fokus weiter auf einen militĂ€rischen Sieg der Ukraine ausgerichtet, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Daran Ă€ndert auch das Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem russischen PrĂ€sidenten Wladimir Putin [12] am Dienstag nichts.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7264925

Links in diesem Artikel:
[1] https://theintercept.com/2022/09/10/ukraine-military-aid-weapons-oversight/
[2] https://responsiblestatecraft.org/2022/08/18/by-the-numbers-keeping-track-of-the-single-largest-arms-transfer-in-us-history/
[3] https://www.defense.gov/News/Releases/Release/Article/3138105/nearly-3-billion-in-additional-security-assistance-for-ukraine/
[4] https://apnews.com/article/russia-ukraine-biden-covid-health-government-and-politics-d595f46db6a300b31a8ae8e11d3da3f8?taid=631232baa2fab90001a11148&utm_campaign=TrueAnthem&utm_medium=AP&utm_source=Twitter
[5] https://stephensemler.substack.com/p/how-much-military-aid-has-biden-sent
[6] https://www.stimson.org/2022/ukraine-to-set-record-for-u-s-security-assistance/
[7] https://www.sipri.org/commentary/topical-backgrounder/2021/20-years-us-military-aid-afghanistan
[8] https://sgp.fas.org/crs/mideast/RL33222.pdf
[9] https://theintercept.com/2022/09/10/ukraine-military-aid-weapons-oversight/
[10] https://theintercept.com/2022/09/10/ukraine-military-aid-weapons-oversight/
[11] https://media.defense.gov/2022/Jul/12/2003033575/-1/-1/1/DODIG-2022-112.PDF
[12] https://www.heise.de/tp/features/Warum-man-Wladimir-Putin-oefter-anrufen-sollte-7263021.html