Gegen jeden Antisemitismus – in Gaza, Leipzig und der Ukraine?

Universelle Maßstäbe scheint es im deutschen Diskurs nicht zu geben. Im Kleinen greift "die Antifa" ein linkes Zentrum in Leipzig an. Fake oder Realität? Ein Kommentar.

"Die ganze Bäckerei" in Leipzig ist ein linkes Hausprojekt und migrantischer Treffpunkt, in dem noch vor wenigen Monaten auch eindeutig israelsolidarische Veranstaltungen stattgefunden haben. Vor einigen Tagen gab es auf das Zentrum einen Säureanschlag, der Sachschaden verursachte. Sofort gab es Solidaritätserklärungen mit dem Zentrum.

Nun könnte man sofort vermuten, die Urheber des Anschlags kämen aus dem rechten Spektrum, aus welcher Fraktion auch immer. Doch es wird ernsthaft diskutiert, dass eine Antifa-Gruppe hinter dem Anschlag steckt. Denn auf der linken Webseite Indymedia war ein Bekennerschreiben aufgetaucht, das mit "Antifa" unterzeichnet war. Zur Begründung hieß es, man habe die Betreiber der "Bäckerei" warnen wollen, weil dort auch antiisraelische Veranstaltungen stattgefunden hätten. In dem Solidaritätsaufruf heißt es hingegen:

Bekannt zu dem Anschlag hat sich die "Antifa". Wir wollen klarmachen: Das war nicht die Antifa. Denn Antifa heißt Zusammenstehen! In Zeiten, in denen ca. 500 bewaffnete Nazis untergetaucht sind und auf ihren Tag X warten, in Zeiten, in denen die faschistische AfD bald stärkste Kraft in Sachsen ist, in Zeiten, in denen die Repressionsorgane versuchen, unsere Familien und unser Leben zu zerstören, sagen wir: Wir lassen uns nicht brechen!


Aus der Erklärung "Solidarität mit der Bäckerei"

Nun ist festzuhalten, dass sicher nicht "die Antifa" für den Angriff verantwortlich ist, weil es "die" Antifa gar nicht gibt. Dass dies nur ein Oberbegriff für verschiedene "im Regelfall eher locker strukturierte" Gruppen und Strömungen ist, haben auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags klargestellt, als die AfD-Fraktion gefordert hatte, "die Antifa" als vermeintliche Organisation bundesweit zu verbieten.

"Es gibt kein befreites Leben unter dem radikalen Islamismus!"

Die Frage ist, ob es sich um einen Fake von Rechten handelt, der mit "Antifa" unterzeichnet wurde, um die Spaltung der außerparlamentarischen Restlinken noch zu vertiefen. Dafür könnten sie eine Erklärung "Keine Räume für Antisemiten" zum Anlass genommen haben, die von linken, israelsolidarischen Gruppen unterzeichnet verfasst wurde. Sie ist im Ton scharf gehalten, aber hier werden diskussionswürdige Argumente geliefert, warum spätestens nach dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober 2023 in Israel eine scharfe Abgrenzung zu regressivem Antizionismus, der in Antisemitismus übergeht, erfolgen muss.

Es wird auch gut begründet, dass man nicht einerseits solidarisch mit der iranischen Opposition gegen das Mullah-Regime sein und gleichzeitig regressive islamistische Organisationen wie die Hamas verteidigen kann. Das war übrigens schon vor dem 7. Oktober klar. Auch die Schlusssätze der Erklärung sind inhaltlich völlig korrekt: "Wer für eine befreite Gesellschaft kämpft, kann dies nicht Hand in Hand mit Antisemitismus, Islamismus und Misogynie. Es gibt kein befreites Leben unter dem radikalen Islamismus!"

Nur gibt es bisher keinen Hinweis, dass diese Erklärung etwas mit dem Angriff auf die Bäckerei zu tun hat. Wer diese beiden Dinge vermengt, handelt wie die Staatsorgane in den 1970er-Jahren, als alle noch so moderaten Staatskritiker als Sympathisanten der Rote Armee Fraktion denunziert wurden. Genauso wenig wie damals die meisten, die sich kritisch zur BRD äußerten, Unterstützer der RAF waren, sind islamkritische Feministinnen und israelsolidarische Linke heute gleichzusetzen mit Menschen, die unter dem Label "Antifa" Angriffe auf migrantische Treffpunkte verüben.

Das machte auch eine Erklärung deutlich, die mit "spontaner Zusammenschluss entsetzter antideutscher, antifaschistischer und antirassistischer Kommunisten:innen aus Leipzig" unterschrieben war.

Zutiefst entsetzt sind wir hingegen von dem vulgären und unentschuldbaren Angriff auf ein Bi_Poc Wohnhaus. Ein Projekt, dass u.a. Gruppen einen Raum bietet sich zu treffen und Veranstaltungen durchzuführen, die kritisierbare Positionen einnehmen, selbst wenn das bis zur Relativierung des Hamas-Verbrechens reicht, ist kein legitimes Ziel linker Militanz.


Aus der Erklärung "Leipzig ist nicht Gaza"

Klar wird auch der Unterschied zwischen einer notwendigen scharfen Kritik an antisemitischen Positionen und dem rassistischen Angriff auf ein linkes Zentrum herausgearbeitet: "Leipzig ist nicht Israel/Palästina, selbst krude Antiimperialist:innen sind noch keine Nazischläger oder Hamas-Mörder und antideutsche Linke nicht Kommandos der IDF", heißt es da.

Es ist tatsächlich ein Unterschied ums Ganze, ob Israel die antisemitische Hamas gekämpft oder in Deutschland Linke mit regressiven Positionen wie Faschisten behandelt werden. Aber es ist das erste Mal, dass bei kleinen linken Gruppen ohne Einfluss und Relevanz diese Unterschiede verschwimmen.

Dabei müsste eine linke Bewegung ihre Kritik vor allem gegen deutsche Staatsapparate richten, die die Auseinandersetzungen im Nahen Osten für ihre eigenen geopolitischen Interessen nutzen wollen. Das wird in einem Deutschlandfunk-Interview mit dem CDU-Politiker Ralf Brinkhaus deutlich, der darauf dringt, dass die EU mit einer Stimme sprechen soll, und da ist die deutsche Position natürlich besonders laut.

Christian Hanelt von der Bertelsmann-Stiftung, einem wichtigen Thinktank der deutschen Außenpolitik, hat ebenfalls im Gespräch mit dem Deutschlandfunk ein Trio Deutschland-Frankreich-Polen vorgeschlagen, das sich um den Nahen Osten kümmern soll.

Da wird auch schnell klar, welches Ziel hinter der kampagnenartigen Berichterstattung über die bisherige polnische nationalkonservative Regierung in Deutschland steckte. Es ging nicht um die Frauenrechte, die für Linksliberale in Deutschland aber nicht für die prodeutsche konservative Partei um Donald Tusk im Mittelpunkt stehen. Die bisherige polnische Regierung war der Berliner Regierung zu antideutsch, weil sie immer auch an die deutschen Verbrechen erinnerte und sogar Reparationen forderte.

Jetzt hofft man, mit der möglichen Regierung, um den deutschfreundlichen Tusk sofort wieder Geopolitik machen zu wollen. Eine gesellschaftliche Linke würde genau hier intervenieren. eingreifen. Es ist ein Zeichen des Bedeutungsverlustes der gesellschaftlichen Linken, dass es nicht geschieht.

Gilt "Gegen jeden Antisemitismus" auch in der Ukraine?

Aber wie glaubwürdig ist eine Linke, die im Fall der Ukraine oft kein Wort darüber verliert, dass erklärte Antisemiten wie Stepan Bandera mit Straßennamen und Statuen geehrt werden? So ist es auch enttäuschend, dass der Historiker Olaf Kistenmacher, der seit Jahren durch fundierte Beiträge gegen den Antisemitismus unter Linken bekannt wurde, in seinem Diskussionsbeitrag in der Wochenzeitung Jungle World kein Wort darüber verliert.

Auch deutsche Interessen scheint Kistenmacher nicht mehr zu kennen, wenn er in den Beitrag schreibt: "Wenn Menschen in und aus der Ukraine sich verzweifelt an deutsche Linke wenden und auf Russlands Imperialismus hinweisen, appellieren sie an vermeintliche linke Werte in der Hoffnung, damit Solidarität zu erwecken."

Natürlich ist dem Historiker bekannt, dass es in der Ukraine schon immer einen deutschfreundlichen und einen russlandfreundlichen Teil der Bevölkerung gab. Doch diese "Prorussen" existieren für Kistenmacher nicht mehr, wenn er am Ende im Gleichklang mit der deutschfreundlichen Strömung der Ukraine fordert:

Im Kern geht es um Solidarität mit Menschen, deren Leben mit jedem weiteren russischen Angriff bedroht ist. Es geht um die Hoffnung, dass deutsche Linke sich wenigstens auf eine Forderung einigen können sollten: Die russischen Streitkräfte müssen sich vom Territorium der Ukraine zurückziehen. Sofort und bedingungslos.


Olaf Kistenmacher, Jungle World

Warum fordert Kistenmacher dann nicht mindestens gleichzeitig, dass alle Ehrungen von Antisemiten wie Bandera und Co. sofort und bedingungslos zu verurteilen sind? Ist die Losung "Gegen jeden Antisemitismus" nicht universell?

Kritik an antikolonialen Theorien auch im Fall Russlands?

Sehr prägnant haben israelsolidarische Linke bestimmte Strömungen der globalen sozialistischen Linken kritisiert, die sogar den Hamas-Terror als Aufstand der Kolonisierten verherrlichen wollten. Doch auch hier muss man Universalität anmahnen. Ein Teil dieser Kritiker will völlig unbefangen Russland "dekolonisieren". Dass damit Ziele verfolgt worden, die der deutsche Imperialismus bereits während des Ersten Weltkriegs benannte, wird dabei vergessen. Denn wer kennt auch heute noch die Kriegsdenkschriften eines Pfarrers Rohrbach, der Russland schälen wollte wie eine Zwiebel?

Schon lange haben rechte Gruppen den Kolonialismus-Diskurs vereinnahmt wie Matthias Thaden in seiner materialreichen Studie "Migration und innere Sicherheit" an Beispiel rechter kroatischer Exilgruppen in der BRD zeigte. Eine gesellschaftliche Linke in Deutschland sollte den Kolonialismus ebenso wie den Antisemitismus überall kritisieren – und sich selbst nicht als Juden imaginieren, die gegen die Hamas kämpfen.