Gegenoffensive der Ukraine: "50 bis 200 Meter" pro Tag gegen 100.000 Quadratkilometer
Seit drei Monaten laufen Kämpfe gegen russische Truppen. Aus Kiew kommen Meldungen über begrenzte Erfolge. Aber werden diese Vorstöße genügen?
Die Bilanz der laufenden ukrainischen Gegenoffensive ist Gegenstand heftiger Debatten, vor allem im Land selbst und unter westlichen Unterstützern.
Nun hat ein Vertreter der vordersten Fronteinheiten konkretere Zahlen genannt. Demnach eroberte die ukrainische Armee im Zuge ihrer Gegenoffensive "50 bis 200 Meter Gelände pro Tag", der Sprecher der Taurien-Front, Olexander Schtupun, am Dienstagabend gegenüber der Nachrichtenagentur Ukrinform.
"Manchmal stoßen wir Kilometer vor und dann gibt es wieder überhaupt keine Bewegung, da wir uns festsetzen und unsere Einheiten schützen müssen", sagte er weiter.
Die russischen Invasoren versuchten permanent, verlorene Stellungen zurückzuerobern, Dafür würden von ihrer Seite auch neue Reserven an die Kampflinie verbracht, so der Sprecher.
"Insgesamt haben die Kämpfer des Abschnitts "Taurien" seit Beginn der Gegenoffensive mehr als 255 Quadratkilometer ukrainisches Territorium befreit", sagte Schtupun. Die Informationen sind nicht unabhängig zu überprüfen, ebenso wenig wie die von russischer Seite.
Der Sprecher des ukrainischen Generalstabs, Andrij Kowaljow, hatte ebenfalls am Dienstag von Erfolgen an weiteren Frontabschnitten südlich und südöstlich des Dorfes Robotyne im Gebiet Saporischschja berichtet. Die ukrainischen Einheiten befestigten dort ihre neu eroberten Stellungen, fügte Kowaljow an.
Die Ukraine kämpft seit nun gut eineinhalb Jahren gegen russische Truppen im eigenen Land. Vor rund drei Monaten hat die Armee des Landes eine mehrfach verschobene Gegenoffensive begonnen.
Ungeachtet der Vorstöße kontrollieren russische oder prorussische Kräfte aktuell rund 100.000 Quadratkilometer ukrainischen Staatsgebiets, die Halbinsel Krim eingeschlossen.
Im Schwarzen Meer will das ukrainische Militär indes eine strategisch wichtige Öl- und Gasplattformen zurückerobert haben. Russland habe die sogenannten Boyko-Bohrtürme 2015 besetzt und zum Start von Hubschraubern genutzt.
Das russische Verteidigungsministerium äußerte sich zunächst nicht, auf dem Nachrichtendienst Telegram kursierten unterschiedliche Angaben zum Geschehen. Die Plattformen sind relevant, weil sie auch als Startplätze für Hubschrauber, als Aufmarschbasis und zur Installation von Langstreckenraketensystemen genutzt werden können.
Putin sieht keine Erfolge – auch keine bestätigten
Zumindest nach außen sieht Russlands Führung die Erfolgsmeldungen aus Kiew gelassen. Russlands Präsident Wladimir Putin zog die Erfolge der Gegenoffensive nun sogar erneut in Zweifel.
"Die Ukraine führt eine sogenannte Gegenoffensive durch. Ergebnisse gibt es natürlich keine", sagte Putin am Dienstag beim regelmäßig stattfindenden Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok. Die Eroberung des Dorfes Robotyne im Süden der Ukraine und kleinere belegte Geländegewinne erwähnte er nicht.
Putin bekräftigte zugleich, Russland werde die Kampfhandlungen in dem Maße fortsetzen, wie die ukrainische Gegenoffensive andauere. Moskaus weitere Bedingung für mögliche Verhandlungen ist die Anerkennung mehrerer völkerrechtswidrig annektierter Gebiete. Auch müsse Kiew ein Dekret zurücknehmen, das Friedensverhandlungen verbiete.
Die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj und Armeevertreter hatten wiederholt erklärt, man wolle mit militärischer und geheimdienstlicher Hilfe aus dem Westen alle besetzten Gebiete zurückerobern. Dazu zählt Kiew ausdrücklich auch die 2014 Russland angeschlossene Halbinsel Krim.
Die Chancen dafür sind jedoch fraglich – vor allem im Zuge der aktuellen Gegenoffensive. Vor wenigen Tagen meldete sich der US-Generalstabschef Mark Milley mit einer ernüchternden Einschätzung zu Wort.
Seiner Meinung nach bleiben den ukrainischen Streitkräften noch rund 30 bis 45 Tage, um die aktuelle Gegenoffensive zu einem Erfolg zu führen. Nach dieser Zeitspanne werde das Wetter die Kämpfe erschweren.
Die genannten ein- bis eineinhalb Monate seien "eine gute Zeitspanne", führte Milley gegenüber dem britischen Sender BBC am Sonntag an. Er verwies auf anfängliche Fortschritte der ukrainischen Seite und eine so nicht vorhergesehene Kampfkraft.
Allerdings sei der Kampf bisher nicht vorbei und mit dem Ende des Sommers würden zunächst Regen und Schlamm die Kämpfe behindern und dann die im Osten strenge Kälte. Für Milley ist es daher noch zu früh, um verlässlich beurteilen zu können, ob die ukrainische Gegenoffensive gescheitert ist oder nicht.
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