Geheimdienst mit wachsender Macht: Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?

Symbolbild zeigt Satire-Aktion der Kampagne "Blackbox Verfassungsschutz". Foto: Kappa-Foto / Quelle: blackbox-vs.de

Demokratisch nicht legitimierte Behörde greift in immer mehr Lebensbereiche ein. Extremismus von oben? Ein Kommentar.

Geheimdienst-Praktiken, die Linksliberalen unter dem Stichwort "Kampf gegen Rechtsextremismus" schmackhaft gemacht werden sollten, treffen aktuell unter anderem bayerische Klima-Aktivisten und Berliner Muslime.

Wer einen Blick auf die Homepage des Quartiersmanagements Glasower Straße wirft, in Berlin-Neukölln schaut, findet nur Erfolgsmeldungen. Da wimmelt es nur von positiven Berichten über die Entwicklung von Leben, Spaß und Spiel im Kiez.

Geheimdienst-Interventionen in Nachbarschaftsarbeit

Man muss schon die linksliberale Wochenzeitung Jungle World lesen, um zu erfahren, dass im Quartiersmanagement Glasower Straße längst nicht alles so gut läuft, wie dessen Internetpräsenz vermitteln will. Unter dem Titel "Wer das Quartier managt" erfahren wir dort, wie der Verfassungsschutz Einfluss darauf nehmen will, wer sich in solchen Strukturen betätigen darf.

Nun müsste man denken, dafür kommen alle Menschen in Frage, die in diesem Quartier wohnen und arbeiten – und dass darüber die Bewohnerinnen und Bewohner ohne Einfluss von staatlichen oder quasi-staatlichen Institutionen selbst entscheiden können. Doch das ist wohl naiv. Denn wir leben ja in einer wehrhaften Demokratie, wie uns Staatsorgane und staatsnahe Medien nicht müde werden zu versichern.

Nancy Faeser: Kein Pardon bei Staatsverhöhnung

Nun denken viele vielleicht: Okay, wir wollen wehrhaft gegen Menschenfeinde sein und so haben wir nichts dagegen, wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Beispiel erklärt:

Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen. Das bedeutet, jeden Rechtsverstoß konsequent zu ahnden. Das kann nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch Ordnungsbehörden wie die Gaststätten- oder Gewerbeaufsicht geschehen. #

Das Bundesamt für Verfassungsschutz verstärkt hierfür seine Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden vor Ort. Bei Rechtsextremisten jeden Stein umzudrehen – das muss der Ansatz sein.".

Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, 13. Februar 2024

Manchen wird aber auf den zweiten Blick vielleicht doch etwas mulmig, wenn Hohn über einen Staat und seine Institutionen fast schon zum Verbrechen erklärt wird. Schließlich war es lange Zeit ein wichtiges Ventil zum Frustabbau der Beherrschten, sich über die Mächtigen lustig zu machen. Und es dürfte sich herumgesprochen haben, dass es nicht nur Rechte sind, die sich dieses Mittels bedienen.

Wenn der Verfassungsschutz das Quartier managt

Doch was hat das mit dem Quartiersmanagement Glasower Straße in Neukölln zu tun? Wer sich dort engagiert, will Nachbarschaftsarbeit machen und hat erst einmal kein Interesse daran, den Staat zu verhöhnen. Doch in der Straße, in der viele Menschen mit migrantischem Hintergrund leben, hat auch der Furkan-Verein ein Gebetshaus eröffnet.

Dieser Verein tauchte 2020 erstmals unter dem Stichwort Islamismus im Berliner Verfassungsschutzbericht auf. "Als salafistische Moscheevereine werden die 'Al-Nur'-Moschee, die 'Ibrahim-al-Khalil'-Moschee und – neu – das 'Furkan-Zentrum' benannt", heißt es da knapp.

Was wird dem Verein aber vorgeworfen? Im besagten Verfassungsschutzbericht heißt es ausdrücklich, der Verein präsentiere sich in den sozialen Medien "betont modern und offen" und habe ein Interesse an "Vernetzung mit Politik und Gesellschaft". Das würde sich auch mit den Berichten des Quartiersmanagement Glasower Straße decken, dem das Furkan-Zentrum seit 2021 angehört.

Feindbild Muslim: Im Zweifel Repression

In dieser Zeit liefen viele Aktivitäten mit Kindern, Jugendlichen und alten Menschen in der Nachbarschaft. Sind das nicht eigentlich lobenswerte Ansätze, die gefördert werden müssten? Gerade in einer Zeit, in der Rechte aller Couleur Muslime ausgrenzen. Doch weit gefehlt. Der Berliner Senat und der Bezirk Neukölln wollen Furkan von der weiteren Zusammenarbeit ausschließen, wie die Jungle World berichtet.

Eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen teilte der Jungle World mit, der Verein werde "zukünftig von jeglicher Förderung der Senatsverwaltung oder sonstigen Formen der Kooperation ausgeschlossen". Das habe man dem Quartiersmanagement vor Ort schriftlich mitgeteilt.

Akteure, die sich nicht an die freiheitlich-demokratische Grundordnung hielten, widersprächen den Zielen des Städtebauförderungsprogramms. Diese Begründung muss man schon zweimal lesen.

Ist es nicht ein autoritäres Staatsverständnis, wenn die Obrigkeit zwar straf- oder vereinsrechtlich keine Handhabe gegen missliebige Akteure findet, aber ersatzweise den Bewohnern eines Stadtteils im Quartiersbeirat reinreden will, mit wem die zusammenarbeiten? Hier geht es nicht um eine Bewerbung für Beamte, sondern schlicht um Stadtteilarbeit.

Law and Order im Geist von Sarrazin und Buschkowsky

Noch mehr nach Obrigkeitsstaat klingt die Stellungnahme des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD): "Es ist nicht tolerierbar, wenn islamische Akteure unter dem Deckmantel der Normalität Zivilgesellschaft unterwandern oder über öffentliche Mittel entscheiden", wird Hikel in der Jungle World zitiert.

Nun ist das Furkan-Zentrum seit vielen Jahren in dem Neuköllner Kiez ansässig und auch ein Großteil seiner regelmäßigen Besucher und Vereinsmitglieder lebt dort. Worin besteht also die Unterwanderung, wenn sie dort auch in der Nachbarschaftsarbeit tätig sind?

Hikel ist Ko-Vorsitzender der Berliner SPD und gehört wie die ehemalige Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey zum Dunstkreis des langjährigen Neuköllner Bezirksbürgermeisters und SPD-Rechtsaußen Heinz Buschkowsky , der noch ein enger Freund von Thilo Sarrazin war, als dieser schon weit nach rechts außen abgedriftet war.

Der autoritäre Eingriff in die Arbeit eines Quartiersmanagements ist Politik der Sarrazin-Buschkowsky-Linie – und ein prägnantes Beispiel dafür, dass man nicht die AfD braucht, um rechte Politik zu machen. Das bekommt die SPD immer noch selbst hin.

Wenn mit Muslimen, dann gegen Linke?

Doch Hikel hat auch manchmal großes Verständnis für die in Neukölln lebenden Menschen muslimischen Glaubens. Am 1. Mai 2022 beteiligte er sich sogar an einem öffentlichen Fastenbrechen - praktischer Weise an einer Stelle, an der die Route der linken Maidemo vorbeiführen sollte. So musste aber kurzfristig deren Route geändert werden.

Der versuchte Ausschluss von Mitgliedern des Furkan-Vereins dürfte noch die Gerichte beschäftigen. Es ist gut möglich, dass dort Hikel und Co. mit ihrem repressiven Ansatz scheitern. Denn jüngsten Verfassungsschutzbericht – für das Jahr 2023 – taucht der Verein gar nicht mehr auf. Doch das Beispiel aus Neukölln zeigt, wie sich die Ideologie des Staatsschutzregimes immer weiter in den Lebensalltag vieler Menschen frisst.

Wissenschaft im Zeichen des Staatsschutzes

Doch solche Eingriffe ins Quartiersmanagement sorgen für weniger Schlagzeilen als die Angriffe auf die kritische Wissenschaft. Vor einigen Wochen musste sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Bundestag den Abgeordneten noch einmal wegen umstrittener Prüfaufträge Rede und Antwort stehen.

Es sollte untersucht werden, ob Uni-Lehrkräfte unter anderem mit Fördermittelentzug sanktioniert werden könnten, nachdem sie sich in offenen Briefen dagegen wandten, propalästinensischen Protestcamps an Berliner Hochschulen mit Repression und polizeilichen Räumungen zu begegnen.

Dabei hatten die Wissenschaftler ausdrücklich betont, dass sie sich nicht die Positionen der Protestierenden zu eigen machen. Stark-Watzinger sieht jedoch keine Veranlassung für eine Demission und schiebt alles auf ihre schon geschasste Staatssekretärin. Dabei hatte die Ministerin schon kurz nach Bekanntwerden des offenen Briefes via Bild-Zeitung angezweifelt, ob die Unterzeichner noch auf den Boden der Verfassung stehen.

Wäre das nicht ein stärkerer Rücktrittsgrund? Schließlich hatte sie das Ergebnis einer Prüfung gar nicht abgewartet, um schon die Verfassungstreue von Menschen anzuzweifeln, die sich teilweise seit Jahrzehnten kritisch zu Rassismus, Faschismus und Antisemitismus forschen.

Wenn der Verfassungsschutz über Fördermittel entscheidet

Im Schatten der Aufregung um Stark-Watzinger, deren Macht im föderalen deutschen Bildungssystem begrenzt ist, werden in Berlin Fakten geschaffen. Die dortige CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg will die Vergabe sämtlicher Fördermittel künftig von einer Demokratieklausel abhängig machen. Betroffen wären neben Forschenden und Künstlern auch andere Personen, die von öffentlichen Mitteln abhängig sind.

Auch über das Prozedere hat sich Badenberg, die bis April 2023 Vizepräsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz war, bereits gegenüber Medien geäußert. Wenn Fördermittel beantragt werden, sollten die zuständigen Behörden unter einem Stichwort nachsehen, ob die Antragsteller im Verfassungsschutzbericht auftauchen oder gleich selbst eine Anfrage bei den Verfassungsschutzämtern stellen.

2010 war die Empörung groß, als die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die Förderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts von der Unterzeichnung einer Extremismusklausel abhängig machen wollte. Der Widerstand bis ins linksliberale Milieu war groß und erfolgreich.

Extremismus-Panik oder Extremsmus von oben?

Die Extremismusklausel ist mit der Ex-Ministerin in der Versenkung verschwunden. Jetzt taucht sie in Zeiten wieder auf, wo auch das Bildungs- und Wissenschaftssystem in Deutschland kriegsfähig gemacht werden soll. Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine wurde die Kooperation zu russischen und später auch zu chinesischen Wissenschaftlern gekappt.

Stark-Watzinger erklärte dazu, dass nach der "Zeitenwende" ein Ansatz erforderlich sei, "der das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit mit unseren sicherheitspolitischen Interessen in Einklang bringt". Der repressive Umgang mit Protesten auf dem Campus und Fördermittelvergabe nur nach Verfassungsschutzanfrage passen in dieses Bild von Wissenschaft in einer Gesellschaft, in der Räume für Widerspruch und Renitenz einengt werden.

Eine linke Kritik müsste den Staat und seine Institutionen in den Fokus rücken, aber auch den oft regressiven Antizionismus bei pro-palästinensischen Protesten deutlich benennen.

Methoden, die in einer Demokratie nichts zu suchen haben

Es gäbe viele weitere Beispiele über die Macht des Verfassungsschutzes, der sogar in die Pressefreiheit eingreift, wie sich am Beispiel der linken Tageszeitung junge Welt ablesen lässt. In diesem Fall hat auch ein Gericht für rechtmäßig befunden, dass die Zeitung im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.

In Bayern ist den Verfassungsschutzämtern sogar erlaubt, Informationen von inkriminierten Personen an deren Vermieter oder Chefs weiterzugeben. Dagegen gibt es nun einige Klagen von Menschen, die der Meinung sind, dass solche Methoden in einer Demokratie nichts zu suchen haben. Als Betroffene haben Klima-Aktivisten mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht.

Oder – um es mit dem Publizisten und Rechtsanwalt Rolf Gössner zu sagen: Verfassungsschutzämter sind ein totalitärer Fremdkörper in einer Demokratie und gehören abgeschafft.

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