Generalstreik gegen spanischen Prozess gegen Katalonien
Die Gewerkschaftsföderation CSC hat mit den großen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien zum Ausstand aufgerufen
Während in der fernen spanischen Hauptstadt Madrid weiter zu Gericht über die ehemalige katalanische Regierung, die Parlamentspräsidentin und Aktivisten der zivilgesellschaftlichen Organisationen gesessen wird, sind aus Protest zahllose Menschen in Katalonien in den Ausstand getreten. Überall im Land kommt es seit den frühen Morgenstunden zu Straßen-, Autobahn- - und Schienenblockaden sowie zu vielen Demonstrationen in Städten, Stadtteilen und Dörfern. Schon am vergangenen Samstag hatten zwischen 200.000 und 500.000 Menschen in Barcelona gegen die Anklagen und den Prozess demonstriert.
Der Prozess gegen die 12 Angeklagten wird als Prozess gegen Katalonien und den "procés" wahrgenommen, wie der Unabhängigkeitsprozess in Katalonien genannt wird. "Ohne Rechte gibt es keine Freiheit" lautete deshalb das Motto, unter dem die Gewerkschaftsföderation CSC zum Generalstreik aufgerufen hatte, um den Streikenden eine legale Abdeckung zu geben. Es wurden aber auch, wie schon bei vorhergehenden Generalstreiks, rein gewerkschaftliche Forderungen aufgestellt. Darunter befand sich die Rücknahme der Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung, die den Kündigungsschutz praktisch beseitigt hatte. Zudem wurden auch ein Mindestlohn und eine Mindestrente von 1200 Euro gefordert, damit man würdig von seinem Lohn und seiner Rente leben kann.
Doch zentral richtet sich der Streik gegen den Prozess, für den nach Ansicht der Verteidiger "alle geltenden Regeln" geändert wurden, um die 12 Angeklagten verurteilen zu können. Deshalb wurde der Generalstreik auch mit der Verschiebung des Prozessanfangs verschoben. Eigentlich war er für Anfang Februar geplant. Bis zu 25 Jahre fordert das Ministerium für Staatsanwaltschaft für eine angebliche Rebellion oder einen Aufruhr. Doch nach Ansicht der Angeklagten und der Verteidigung hat es beides nicht gegeben.
Entsprechend schwach verlaufen auch die Vernehmungen im Obersten Gerichtshof in Madrid. Die wurden am Donnerstag per Livestream auf Großbildleinwände in den Straßen Barcelona den Streikenden gezeigt. Im Zentrum stand dabei Jordi Sànchez. Der ehemalige Präsident des großen zivilgesellschaftlichen Katalanischen Nationalkongresses (ANC) und Jordi Cuixart von Ómnium Cultural waren die ersten politischen Gefangenen und sitzen seit 16 Monaten im Gefängnis. Sànchez wurde nun am Donnerstag vernommen.
Auch im Fall dieser Vernehmung durch die Anklagevertreter zeigte sich erneut sehr deutlich, wie sehr die Anklagen auf Sand gebaut sind. Der Vertreter des Ministeriums für Staatsanwaltschaft konnte im bisherigen Verlauf der Vernehmungen nichts vorweisen, um die angebliche massive Gewalt aufzuzeigen, die für eine Rebellion oder einen Aufruhr nötig sind. Die Vernehmung von Sànchez und Cuixart wurden besonders erwartet, da das gesamte Anklagekonstrukt auf den Vorgängen vom 20. September 2017 basiert. Denn dabei gingen einige Jeeps der Guardia Civil zu Bruch, wobei sich auch die Anklage nicht wirklich festlegen kann und unterschiedliche Zahlen bis zu sieben nennt.
Sánchez: "Es gab keine Gewalt und keinerlei Angriffe"
An diesem Tag kam es vor dem Wirtschaftsministerium, das mit anderen Ministerien nach Material für das Referendum am 1. Oktober durchsucht wurde, zu einer Gegendemonstration von etwa 50.000 Menschen. Sie stiegen dabei, ebenso wie etliche Pressevertreter, zum Teil auch auf die unbewachten Fahrzeuge, die vor dem Ministerium abgestellt waren. Auch wenn Reifen abgestochen und einige Scheiben eingeschlagen wurden, ist das gänzlich ungeeignet, um eine Art Putsch, wie Rebellion auch genannt wird, dingfest zu machen. Dafür sind der Einsatz von Militär und die Benutzung von "Kriegswaffen und Sprengstoffen" nötig. Rebellion ist als "gewaltsame öffentliche Erhebung" definiert, die zum Ziel einen Angriff auf das "demokratische System" hat. Deshalb haben zahlreiche hochrangige Juristen in einem gemeinsamen Manifest eine "Banalisierung von Rebellion und Aufruhr" festgestellt.
So begann die Vernehmung durch den Staatsanwalt Javier Zaragoza am Donnerstag zunächst mit der Aussage von Sànchez, dass er sich "als politischer Gefangener in einem politischen Prozess" sieht. Dass Zaragoza mit gespielter Empörung die kaputten Jeeps in den Vordergrund stellen musste, belegt die Einschätzung der vielen Juristen nun auch im Prozess sehr deutlich. Es kann nur wiederholt werden, Gewalt ist in Spanien als Gewalt "gegen Personen" und nicht gegen Sachen definiert. So können diese Vorgänge am Ministerium keinesfalls Gewalt genannt werden und noch weniger irgendeine Rebellion oder einen Aufruhr beweisen.
Sànchez wies deshalb den Staatsanwalt wiederholt darauf hin, dass auch diese Versammlung friedlich war, weshalb der Ankläger auch keine Bilder von Angriffen auf die Guardia Civil beibringen kann, obwohl es an Kameras wahrlich an diesem Tag nicht gemangelt hat. "Es gab keine Gewalt und keinerlei Angriffe", erklärte er. Auch die Beamten, die ungeschützt die Tür zum Ministerium bewacht hätten, seien nicht angegriffen worden, wie sie auch gegenüber der Ermittlungsrichterin längst erklärt hätten.
So musste Zaragoza mit den Twitter-Aufrufen von Sànchez zu dem Protest kommen, doch gibt es auch in Spanien ein von der Verfassung geschütztes Demonstrations- und Versammlungsrecht, wie der Angeklagte feststellte. Zudem sei die Justiz nicht in der Ausübung der Amtshandlungen behindert worden, schließlich hätten die Durchsuchungen ungestört durchgeführt werden können, betonte er. Videos beweisen zudem, dass Sànchez und Cuixart die Versammlung aufgelöst haben, damit die Guardia Civil abziehen kann.
Um sich dann doch noch auf irgendwelche Waffen beziehen zu können, führte der Staatsanwalt die "Langwaffen" an, die die Guardia Civil in den geparkten Wagen gelassen oder "vergessen" hatte. Das habe zu einem unglaublichen Stress für ihn geführt, wie er ihn noch nie erlebt hat, als er darüber informiert wurde, sagte Sànchez. Freiwillige des ANC bewachten daraufhin die Wagen, damit die Waffen nicht entnommen werden. Im Fall eines Aufruhrs oder eine Rebellion hätte man vielmehr erwartet, dass sie die Waffen an sich nehmen und einsetzen.
Wie die ehemaligen Minister zuvor, die schon im Verlauf des Verfahrens vernommen wurden, sah auch Sànchez nicht, dass er etwas Gesetzwidriges getan habe. So hatte zuvor schon der ehemalige Vizepräsident Oriol Junqueras darauf hingewiesen, dass es auch in Spanien kein Delikt ist, ein Referendum durchzuführen. Wie zu seiner Bestätigung haben die beiden Rechtsparteien gerade in dieser Woche einen Antrag ins Parlament eingebracht, um es zu einem Delikt zu machen, eine demokratische Abstimmung durchzuführen. Doch die Mehrheit im Parlament lehnte diesen Antrag der Volkspartei (PP) und Ciudadanos (Cs) ab, womit das auch weiterhin nicht der Fall ist.
Der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens, gegen den die Höchststrafe von 25 Jahren gefordert wird, hatte in seiner Vernehmung schon erklärt: "Nichts von dem, was wir gemacht haben, ist ein Delikt." In einem Referendum abzustimmen und sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einzusetzen, sei keine Straftat. Auch verwies auch er auf die Tatsache, dass Spanien das "Recht auf Selbstbestimmung aller Völker" mit der Ratifizierung der UN-Sozialcharta in nationales Recht übernommen hat, wie im Gesetzesblatt nachzulesen ist. Da sich der ehemalige Vize-Ministerpräsident keiner Schuld bewusst ist, wollen er und seine Mitstreiter und die zahllosen Menschen, die immer wieder demonstrieren und streiken, sich auch von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen. "Wir haben es versucht, und wir werden es weiter versuchen." Es sei keine Lösung, dafür Menschen einfach ins Gefängnis zu stecken.
Veruntreung soll durch eine Rechnung, die keine ist, bewiesen werden
Erstaunlich ist nicht nur, dass man für die angebliche Gewalt der Unabhängigkeitsbewegung ganz offensichtlich nichts vorlegen kann, sondern dass sich die Anklage auch in der Frage bisher blamiert hat, mit der eine angebliche Veruntreuung von Geldern angeht. Ein Minister nach dem anderen erklärte, dass nach dem Verbot durch das Verfassungsgericht "kein Euro" für das Referendum ausgegeben wurde. Sie zitieren wie der ehemaligen Minister Jordi Turull damit auch gleichzeitig den spanischen Finanzminister. Montoro hatte Katalonien bereits eine Finanzkontrolle aus Madrid aufgezwungen und wird seine Aussage dazu im Gericht bestätigen müssen. Die Anklage muss deshalb auf eine "Proforma-Rechnung" von Unipost hinweisen.
Dass das keine echte Rechnung ist, musste der ehemalige Minister Jordi Turull erst erklären. Die "Rechnung", die keine ist, ist zentraler Bestandteil der angeblichen Veruntreuung. Der Vorgang zeigt die gesamte Schwäche dieses Anklagepunkts, denn Geldflüsse können keine nachgewiesen werden. Es schält sich also heraus, dass man den Angeklagten eigentlich nur Ungehorsam vorwerfen kann und damit eine Höchststrafe von zwei Jahren, doch dann hätte man sich blamiert und viel Rauch um Nichts produziert.
Deshalb darf vermutet werden, dass sie verurteilt werden, da die Regierung Sànchez die Chance verpasst hat, diese absurden Anschuldigungen zurückzunehmen. Das ist kein Problem und wurde von der Staatsanwaltschaft in der Geschichte auch immer wieder getan. Die Ergebnisse waren sehr unterschiedlich. Einst wurde im Fall des Großbankers Emilio Botín die Anklage von Seiten der Staatsanwaltschaft und des Juristischen Dienstes der Regierung zurückgenommen, weshalb der Banker nicht vor Gericht erscheinen musste.
Die hier geschaffene Doktrin Botín wurde aber nicht konsequent angewendet und im Fall von baskischen Politikern verworfen. So wurde der ehemalige Präsident des baskischen Parlaments Juan Maria Atutxa und Mitglieder des Parlamentspräsidiums dann sehr wohl allein auf Basis der Nebenklage vor Gericht gestellt. Sie wurden sogar verurteilt, weil sie einer juristischen Anordnung zur Auflösung einer Fraktion nicht nachgekommen ist, da sie das als Kompetenz des Parlaments ansahen.
Das Ergebnis des Vorgehens war aber auch in diesem Fall fatal für Spanien vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Denn der Gerichtshof kassierte das Urteil und verurteilte Spanien, da sie keinen fairen Prozess hatten. Das ist im Fall von Basken nun wirklich keine Neuigkeit mehr, fünf Politiker saßen auf Basis eines unfairen Verfahrens sogar mehr als sechs Jahre im Gefängnis. Angesichts des Prozessverlaufs darf man mit großer Sicherheit annehmen, dass dieses Schicksal auch die Urteile in Straßburg ereilen werden, wenn sie aller Wahrscheinlichkeit wegen Aufruhr gesprochen werden.