Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen muss ergänzt werden
Klarstellung aus Karlsruhe: Unterhaltsanspruch für Minderjährige besteht auch bei unwirksamer Ehe. Praktisch wie nach einer Scheidung.
Im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen unter 16 Jahren sind in Deutschland weiterhin unwirksam – Betroffene haben aber ab sofort Anspruch auf Unterhalt wie nach einer Scheidung. Diese Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht nach Überprüfung des seit 2017 geltenden "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen" angeordnet.
Außerdem muss die Gesetzgebung bis Mitte 2024 Paaren ermöglichen, ihre Ehe auf Wunsch auch nach deutschem Recht wirksam weiterzuführen, sobald beide volljährig sind, wie das oberste deutsche Gericht in Karlsruhe am Mittwoch mitteilte. Bisher muss neu geheiratet werden. (Az. 1 BvL 7/18)
Nach Angaben von Frauenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes sind sehr jung verheiratete Mädchen oft Gewalt und Überwachung durch die Familie des Ehemannes ausgesetzt und müssen Schule oder Ausbildung abbrechen. In Deutschland hatte das Problem durch die hohe Zahl Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 besondere Aufmerksamkeit bekommen.
Bis Ende Juli 2016 wurden im Ausländerzentralregister 1.475 verheiratete Minderjährige erfasst, 361 von ihnen waren noch nicht einmal 14 Jahre alt. Die damalige "schwarz-rote" Bundesregierung hatte deshalb das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen" auf den Weg gebracht, während Behörden und Gerichte unsicher waren, wie sie mit diesen Kindern und Jugendlichen umgehen sollten.
"Kinder sollen spielen, lernen, selbstständig werden - und wenn sie erwachsen sind, dann sollen sie selbst und frei entscheiden, ob und wen sie heiraten wollen", hatte Justizminister Heiko Maas (SPD) 2017 gesagt. Nach der seither geltenden Rechtslage muss man volljährig sein, um heiraten zu können. War ein Partner bei der Eheschließung im Alter zwischen 16 und Jahren, soll die Ehe durch richterliche Entscheidung aufgehoben werden. War einer – oder meist eine – von beiden jünger als 16 Jahre, ist die Ehe automatisch unwirksam.
Ratlosigkeit im Fall eines syrischen Paares
Der Bundesgerichtshof (BGH) hätte die neue Vorschrift 2018 im Fall eines syrischen Paares anwenden müssen, hatte aber Bedenken. Damals ging es um ein Mädchen, das 2015 in seinem Heimatland mit 14 Jahren einen sieben Jahre älteren Mann aus demselben Dorf geheiratet hatte.
Wenig später waren beide gemeinsam nach Deutschland geflüchtet. Hier wurde die Jugendliche von ihrem Mann getrennt und in einer Einrichtung für weibliche minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Zum Vormund wurde das Jugendamt bestellt. Dieses wollte vor Gericht durchsetzen, dass die Jugendliche ihren einstigen Ehemann nur noch einmal die Woche für drei Stunden unter Aufsicht treffen dürfe.
Nach neuem Recht wäre die Ehe automatisch unwirksam. Nach Überzeugung der BGH-Richter wäre jedoch eine so pauschale Regelung ohne Rücksicht auf den Einzelfall verfassungswidrig gewesen. Sie hatten deshalb das Verfahren ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet.
Dessen Erster Senat kam nun zu einer differenzierten Bewertung. "Die Ehefreiheit als Menschenrecht gilt gleichermaßen für deutsche und ausländische Staatsangehörige wie für staatenlose Personen", heißt es in dem 80-seitigen Beschluss. Eine vom Grundgesetz geschützte Ehe fuße aber auf gleichberechtigter Partnerschaft. Kindern fehle die Erfahrung, um eine solche eigenverantwortlich eingehen zu können.
Minderjährige ohne Unterhalt besonders belastet
Der Gesetzgeber darf deshalb ein Mindestalter festlegen. Bei Betroffenen unter 16 Jahren muss auch nicht jeder Einzelfall geprüft werden. Die Richterinnen und Richter sehen das Problem, dass die Ehe sonst erst aufgehoben würde, wenn ein Gerichtsverfahren nach langem Hin und Her rechtskräftig abgeschlossen ist. Es gehe aber darum, Betroffene direkt vor den Rechtswirkungen der Ehe zu schützen.
Allerdings seien bisher die finanziellen Folgen völlig außer Acht gelassen worden, hat das Gericht nun beanstandet. Oft seien die Minderjährigen vom ältern Ehepartner wirtschaftlich abhängig. Ohne Anspruch auf Unterhalt würden sie durch Unwirksamkeit der Ehe besonders belastet.
In diesem Punkt muss nun nachgebessert werden. Bis dahin gelten auf Anordnung aus Karlsruhe dieselben Regeln wie bei regulären Scheidungen. Und die Gesetzgebung muss berücksichtigen, dass Kinder älter und reifer werden und dann eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können – auch für das Fortbestehen der Ehe.