Gezerre um Hilfen, während sich die Ukraine dem Zusammenbruch nähert
In den USA wie der EU wird über weitere Gelder gestritten. Russland könnte den Krieg bald gewinnen, warnen Vertreter der US-Regierung. Was ist da los? Gastbeitrag.
Wenn es diese Woche in Washington ein Thema gibt, dann ist es dieses: Die Ukraine braucht mehr Waffen, und zwar sofort. Zwei hochrangige Vertreter der Biden-Regierung sagten am Mittwoch im US-Kongress, dass Russland den Krieg innerhalb von Monaten oder sogar Wochen gewinnen könnte, wenn nicht bald neue Mittel für die Ukraine bewilligt werden.
Ohne US-Hilfen wird die Ukraine nicht durchhalten können
"Eine souveräne und sichere Ukraine ist für die globale Sicherheit von entscheidender Bedeutung", sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einem Treffen mit europäischen Verteidigungsministern Anfang der Woche. "Und wir dürfen in unserer Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen".
Während die europäischen Staats- und Regierungschefs versuchen, einige Lücken in den ukrainischen Vorräten auf bilateraler Basis zu schließen, wird es ohne die Hilfen aus den USA kaum gelingen können, die Verteidigung Kiews zu stärken und die Wirtschaft des Landes am Leben zu erhalten.
Bei den Verhandlungen im US-Kongress ist es bisher nicht gelungen, eine Einigung zu erzielen, wobei eine aufgestockte Ukraine-Unterstützung für die Republikaner verbunden werden soll mit Maßnahmen, die den Grenzschutz Richtung Mexiko verschärfen. Und es wird immer wahrscheinlicher, dass sich künftige Finanzmittel, sofern sie überhaupt fließen, auf militärische Hilfe beschränken werden und wirtschaftliche Unterstützung außen vor lassen.
Ukraine ist auf Gelder angewiesen
Ein Scheitern der Verabschiedung neuer Wirtschaftshilfen würde der ukrainischen Regierung schweren Schaden zufügen, da Kiew derzeit auf US-amerikanisches und europäisches Geld angewiesen ist, um Staatsbeamte zu bezahlen und viele wichtige Dienstleistungen im Lande zu erbringen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Europäische Union – die sich bei Geldern für den ukrainischen Staatshaushalt weitaus großzügiger gezeigt hat als bei der Militärhilfe – in einem eigenen internen Kampf um die künftige Finanzierung verfangen ist. Während die EU über ein neues Hilfspaket in Höhe von 54 Milliarden Dollar nachdenkt, richten sich alle Augen auf den ungarischen Premierminister Viktor Orbán, der der Unterstützung für die Ukraine seit Langem skeptisch gegenübersteht.
"Es ist schwierig. Ich kenne Viktor Orbán gut", sagte der luxemburgische Außenminister Xavier Bettel. "Es wird nicht einfach sein, ihn zu überzeugen."
Die Flexibilität Ungarns
Es besteht jedoch eine gewisse Hoffnung, dass Orbán seine Meinung ändern wird. Der ungarische Regierungschef ist seit Langem gegen den EU-Beitritt der Ukraine, war aber bereit, eine Abstimmung über diese Frage im letzten Monat auszusetzen, nachdem die EU rund elf Milliarden Dollar an ungarischen Geldern freigegeben hatte, die wegen der Kritik an demokratischen Rückschritten eingefroren worden waren. Mit anderen Worten: Orbán könnte für einen angemessenen Preis seine Unterstützung für mehr Hilfe anbieten.
Die Ukraine konnte am Mittwoch auch einen bedeutenden Erfolg verbuchen, als der umstrittene slowakische Premierminister bei einem Besuch in Kiew ankündigte, dass er neue Hilfen unterstützen würde.
Doch all diese Ungewissheit hat die Ukraine in eine schwierige Lage gebracht. In Erwartung von weiteren Schwierigkeiten auf dem Schlachtfeld hat das Spiel mit den Schuldzuweisungen bereits begonnen, so Politico.
Selenskyj: Schuldzuweisung an Westen
"Wenn Russland den Krieg gegen die Ukraine gewinnt, werden eine Reihe von Regierungsvertretern in Kiew bereit sein, die Schuld auf den Westen zu schieben", sagte ein anonymer ukrainischer Militärbeamter dem Online-Medium.
Wenn sich das Blatt gegen die Ukraine wendet, wird Präsident Wolodymyr Selenskyj "verzweifelt nach Möglichkeiten suchen, wem er die Schuld geben kann", so der Beamte weiter.
Die sich verändernde Dynamik deutet darauf hin, dass das Potenzial für einen Verhandlungsfrieden – vor ein oder zwei Monaten noch eine durchaus greifbare Möglichkeit – schnell schwindet, da die russische Führung eine Gelegenheit sieht, ihren wahrscheinlichen Vorteil auf dem Schlachtfeld auszunutzen.
Nato-Beitritt der Ukraine
Hier sind noch weitere Nachrichten zum Krieg in der Ukraine:
- Der russische Präsident Wladimir Putin "könnte bereit sein, sein Beharren auf einem neutralen Status für die Ukraine aufzugeben und sogar seinen Widerstand gegen eine eventuelle Nato-Mitgliedschaft aufzugeben", um im Gegenzug das ukrainische Territorium zu behalten, das Russland derzeit besetzt hält, so anonyme Kreml-nahe Offizielle, die mit Bloomberg gesprochen haben.
Dem Bericht zufolge ist der Vorschlag ein weiteres stilles Signal von Moskau an Washington, dass es für Gespräche zur Beendigung des Krieges offen ist, obwohl US-Vertreter jegliche Hintertür-Kommunikation bestreiten.
Friedenskonferenz in der Schweiz
- Der russische Botschafter in der Schweiz kritisierte die Entscheidung des Landes, eine pro-ukrainische Friedenskonferenz ohne russische Beteiligung zu veranstalten, und sagte, die Schweiz habe durch ihr Vorgehen "ihre Rolle als unparteiischer internationaler Vermittler" verloren, so Reuters.
An den Schweizer Gesprächen werden nur Unterstützer Kiews teilnehmen, und sie werden sich auf den 10-Punkte-Plan der Ukraine stützen, den der Kreml insgesamt ablehnt. Der Botschafter wiederholte auch die öffentlichen Forderungen Moskaus für Gespräche, die einen unabhängigen Status für die Ukraine und den Schutz von Russen und russischsprachigen Menschen im Lande beinhalten.
Schwarzmeer-Getreideabkommen
- Nach Angaben des ukrainischen Botschafters in der Türkei, dem Land, in dem bereits mehrere Verhandlungsrunden zu diesem Thema stattgefunden haben, hat die Ukraine in aller Stille Gespräche zur Wiederaufnahme des Schwarzmeer-Getreideabkommens aufgenommen, berichtet Reuters. Einzelheiten zu den neuen Gesprächen sind nicht bekannt, aber das erneute Interesse an den Gesprächen deutet darauf hin, dass die alternative Schifffahrtsroute der Ukraine, die sich an der rumänischen Küste entlangzieht, den Handel nicht so effektiv angekurbelt hat wie erhofft.
Die Nachricht deutet auch auf das zunehmende Bestreben Russlands hin, die Exporte von Düngemitteln und Düngemittelkomponenten wieder aufzunehmen – ein wichtiger Bestandteil des ursprünglichen Abkommens, das Moskau aufgrund angeblicher Mängel bei der Umsetzung aufgegeben hatte.
Nato-Beitritt Schwedens
- Laut BBC hat das türkische Parlament den Beitritt Schwedens zur Nato formell gebilligt und damit einen wichtigen Schritt auf dem bisher mühsamen Weg Stockholms zum Beitritt zur Nato getan. Die Biden-Regierung drängte den US-Kongress kurz nach der Ankündigung, den Verkauf von F-16-Kampfflugzeugen an die Türkei zu genehmigen, was Aufschluss darüber gibt, welche Anreize Ankara zum Einlenken bewegt haben.
Das letzte Land, das noch zustimmen muss, ist nun Ungarn. Budapest hat zwar noch keinen konkreten Grund für die Verzögerung der Entscheidung genannt, aber einige Mitglieder der regierenden Fidesz-Partei haben erklärt, dass sie den Beitritt Schwedens ablehnen, weil sie Kritik an Ungarn wegen angeblicher Rückschritte in Sachen Demokratie zurückweisen. Gleichwohl sagte Ministerpräsident Orbán am Mittwoch, dass er "die Nato-Mitgliedschaft Schwedens" unterstütze und das Parlament dazu drängen werde, die Ratifizierung so schnell wie möglich voranzutreiben.
Eingefrorene Vermögen
- Laut Reuters haben russische Beamte damit gedroht, westliche Vermögenswerte in Höhe von 280 Milliarden Dollar zu beschlagnahmen, wenn die USA und Europa ihren Vorschlag umsetzen, der Ukraine 300 Milliarden Dollar an eingefrorenen russischen Vermögenswerten zukommen zu lassen.
Zypern und die Niederlande haben nach Angaben russischer Staatsmedien am meisten zu verlieren, während Länder wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Japan und die USA ebenfalls erhebliche Vermögenswerte beschlagnahmt bekommen würden.
Unterdessen hat ein Gesetzentwurf, der es den USA erlauben würde, russische Gelder zu beschlagnahmen, am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit den US-Senatsausschuss passiert. Die Befürworter des Vorschlags gehen davon aus, dass er in beiden Kammern des Kongresses mit großer parteiübergreifender Unterstützung grünes Licht erhält.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.