Glücksspiel: Wenn Hedgefonds Milliarden an der Börse verwetten
Aufsehen erregte im Januar die Börsenschlacht um den Videospielehändler Gamestop. "Räuberisches Verhalten" unterstellt man nun Kleinanlegern, die Hedgefonds in die Knie zwangen
Die Börsen sind Spielplätze, auf denen sich große und kleine Spekulanten tummeln - und alle sind von dem Ziel beseelt, dem anderen Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Großen sind dabei im Vorteil. Wenn sich die Kleinen aber zusammenschließen, können sie auch die Großen zu Fall bringen. Das Beispiel der Gamestop-Aktie vom Januar illustriert das anschaulich. Doch den Kleinanlegern trägt man es nach, wenn sie die Spielregeln des Aktienmarktes mit Erfolg für sich nutzen: Eine neue Studie der Universität Paderborn attestiert ihnen ein "räuberisches Verhalten".
In Internetforen hatten sich Kleinanleger zu konzertierten Käufen der Aktie verabredet. Kostete diese anfangs rund 17 US-Dollar, so kletterte sie zwischenzeitlich auf 483 US-Dollar. Hedgefonds, die zuvor auf einen fallenden Kurs gewettet hatten, fuhren enorme Verluste ein. Auf bis zu 12,5 Milliarden US-Dollar sollen sie sich laut Presseberichten summiert haben.
Anfangs hatte man gedacht, die Kleinanleger hätten den Aufstand gegen die Wallstreet geprobt. Peter Mühlbauer hatte Anfang Februar auf Telepolis geschrieben, viele dieser Anleger hätten Rachegedanken gegen die Finanzindustrie gehegt. Sie hätten - "todesmutig" - gravierende Verluste in Kauf genommen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Wirtschaftswissenschaftler um Matthias Pelster, Professor an der Universität Paderborn, wollen nun gezeigt haben, dass es kein Protest gegen die Wallstreet gewesen sei, sondern den ersten Fall "von räuberischem Handel" darstelle, der Kleinanlegern zuzuschreiben sei. Sie hätten Gewinne realisiert auf Kosten eines - möglicherweise notleidenden - Großanlegers.
Das Spiel an der Börse ist einfach zu verstehen: Hedgefonds, die auf sinkende Kurse wetten, leihen sich Aktien von einem Dritten; und die Aktien, die ihnen im Prinzip nicht gehören, verkaufen sie dann. Zu einem bestimmten Zeitpunkt müssen sie die Aktien dann zurückgeben. Dafür müssen sie sich am Markt welche beschaffen. Sind sie in der Zwischenzeit gefallen, so kaufen sie sie billiger - und die Differenz ist ihr Gewinn. Sind die Kurse dagegen gestiegen, machen sie Verlust.
Die Kleinanleger hatten nun durch ihre gezielten Käufe den Aktienkurs nach oben getrieben. Das hat wiederum dazu geführt, dass die Hedgefonds versuchten, ihre Wettpositionen vorzeitig aufzulösen. Dafür mussten sie sich aber auch wieder Aktien am Markt besorgen, was das Angebot noch mehr verknappte und den Preis nach oben trieb.
Obwohl Pelster zugesteht, nicht sagen zu können, wer die Kleinanleger sind, behauptet er, sie hätten zuvor schon die Tendenz zu schwankenden und lotterieähnlichen Aktien gezeigt. Pelster weiter:
Wir haben zu jeder Zeit Käufe und Verkäufe beobachten können. Auch wenn einige Experten das Verhalten der Kleinanleger als Protest gegen die Wallstreet auffassen, deuten ihre Vorgeschichten mit hochriskantem Verhalten und die frühzeitige Schließung ihrer Gamestop-Positionen darauf hin, dass die Teilnahme bis zu einem gewissen Grad durch ihre Lust am Glücksspiel angeheizt wurde.
Elizabeth Warren, US-Senatorin der Demokraten, hatte sich schon im Januar dagegen verwahrt, Kleinanleger auf diese Weise abzukanzeln. Dem Sender CNBC hatte sie damals gesagt, der Aktienmarkt sei ein Casino geworden. Manipulateure würden den Markt nach oben oder unten treiben, um Gewinne zu machen: "Milliardäre und einige Hedgefonds beklagen sich jetzt lautstark, weil sie nicht die einzigen sind, die Geld machen, wenn die Manipulation funktioniert."
Zu diesen "Manipulateuren" kann man sicherlich Elon Musk zählen. Seine Fangemeinde in den sozialen Netzwerken reagiert, wenn er entsprechende "Hinweise" gibt. Als er im Januar "Gamestonk!" via Twitter absetzte, stieg die Gamestop-Aktie von 150 auf 200 US-Dollar. Laut CNBC ein Anstieg der Marktkapitalisierung um vier Milliarden Euro. Als er schrieb: "Ich liebe Etsy", stieg der Kurs des E-Commerce-Unternehmens Etsy. Als er empfahl: "Use Signal", meinte er die WhatsApp-Alternative Signal. Bei den Spekulanten löste das Verwirrung aus - und an der Börse ging der Kurs von Signal Advance, ein Anbieter von medizinischen Geräten, durch die Decke.
In den vergangenen Monaten kaum auch der Verdacht auf, es wäre gar kein Kampf David gegen Goliath gewesen, sondern der Hype um die Gamestop-Aktie wäre für einen Kampf der großen Hedgefondsanbieter untereinander genutzt worden.
Die sogenannten Neobroker wie Trade Republik, Justtrade, Gratisbroker oder Robinhood bieten Kleinanleger günstige Konditionen - dafür verkaufen sie deren Daten an andere Wertpapierhändler und kassieren dafür Provisionen. Robinhood, über den die konzertierten Käufe von Gamestop zum Großteil liefen, verkauft beispielsweise die Daten seiner Nutzer an Hochfrequenzhändler wie Citadel Securities.
Deutschlandfunk Nova hatte Anfang Februar berichtet, wenn sich Kleinanleger zusammentun, um Aktien im großen Stil zu kaufen, dann wüssten diese Hochfrequenzhändler eher als andere, dass die Aktien steigen und nicht fallen werden. Wohl deshalb, weil die Informationen vorlagen, hatte sich Citadel Securities nicht an der Wette auf fallende Gamestop-Kurse beteiligt. Stattdessen stieg das Unternehmen mit mehreren Milliarden US-Dollar in den strauchelnden Hedgefonds Melvin Capital ein, der auf sinkende Kurse gewettet hatte.
Das ist der Schwachpunkt an der Studie: Sie konzentriert sich nur auf Privatanleger, untersucht aber nicht, wie sich institutionelle Anleger verhalten haben.
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