Googles Quantencomputer erringt Etappensieg
100 Millionen mal schneller als ein PC löst die Google-Maschine eine spezielle Optimierungsaufgabe, doch der Durchbruch zum Wunderrechner ist das noch lange nicht
Eine erkleckliche Summe, 15 Millionen US-Dollar, legten Google und die NASA im Mai 2013 auf den Tisch - für einen Rechner, dessen Möglichkeiten damals noch im Dunkeln lagen. Doch das Versprechen des kanadischen Herstellers D-Wave-System lockte den Internetkonzern ebenso wie die Raumfahrtagentur: Es handle sich um eine bestimmte Klasse von Quantencomputer, darauf spezialisiert, so genannte harte Optimierungsprobleme zu lösen. Man nennt diese Rechner "adiabatische Quantencomputer".
An Optimierungsaufgaben sind Google und NASA besonders interessiert. Worum geht es dabei? Oft gibt es für eine praktische Aufgabe sehr viele Lösungen, die aber unterschiedlich gut sind. Ein Beispiel ist das "Problem des Handlungsreisenden". Der will mit dem Auto mehrere Städte besuchen. Es gibt viele Wege, aber manche sind schneller, oder kürzer, oder sie liegen an günstigen Tankstellen etc.? Welchen soll man wählen?
Auch mit Prioritätensetzung ufert die Rechnerei schnell aus. Bei vier oder fünf Städten lässt sie sich zwar noch relativ leicht mit Papier und Bleistift lösen. Doch die Komplexität des Problems wächst rasant mit der Anzahl der Städte: Schon bei 15 Städten gibt es zig Millionen mögliche Wege. Nimmt man nur eine Stadt dazu, vervielfacht sich die Zahl der Alternativen. Selbst Supercomputer stoßen bei dieser explodierenden Komplexität schnell an ihre Grenzen. Die beste oder auch nur eine sehr gute Lösung in annehmbarer Rechenzeit zu finden, wird unmöglich.
Harte Optimierungsprobleme spielen bei der NASA oder bei Google eine essentielle Rolle. Die Raumfahrtagentur will z.B. eine möglichst effiziente Logistik für ihre künftigen Missionen entwickeln. Das Problem, begrenzte Ressourcen wie Zeit, Wasser oder Energie optimal zu nutzen ist äußerst komplex. Viele Dienste von Google basieren auf Künstlicher Intelligenz. Wenn Maschinen lernen, autonom optimale Entscheidungen zu treffen oder Objekte wie Autos oder Gesichter in Bildern zu erkennen, spielen oft harte Optimierungsprobleme eine Rolle.
Der Computer von D-Wave-Systems ist eine Lösungsmaschine für Optimierungsaufgaben. Er besitzt einen Chip mit rund 1000 so genannten Qubits. Dabei handelt es sich um supraleitende Leiterschleifen. In jeder Schleife kann der Strom links oder rechts herum fließen. In der Sprache der Computer lassen sich so die Bitwerte "0" (z. B. Strom links herum) oder "1" (Strom rechts herum) codieren. 1000 Qubits können eine Unzahl von Kombinationen aus Nullen und Einsen darstellen.
Zusätzlich lässt sich an jedes einzelne Qubit ein Magnetfeld anlegen, das mit dem vom Strom verursachten Magnetfeld wechselwirkt und dem Qubit eine bestimmte Energie verleiht. So entsteht im Chip eine "Energielandschaft", die einem Gebirge ähnelt, dessen Gipfel die höchste und die Täler die tiefste Energie haben. Vereinfacht gesagt, lassen sich Optimierungsprobleme sich als solche Gebirgslandschaften darstellen. Die Lösung besteht dann darin, die tiefste Stelle zu finden.
Und das soll der D-Wave-Rechner dank Quantenphysik schneller können als jeder normale Rechner. Ein herkömmlicher Computer muss wie ein Wanderer vorgehen, nämlich die Landschaft zu Fuß abschreiten und auf dem Höhenmesser testen, ob man im nächsten Tal noch tiefer kommt.
In der Quantenphysik gibt es aber den so genannten Tunneleffekt, der es Teilchen erlaubt, auf die andere Seite einer Energiebarriere zu gelangen, ohne sie zu überwinden. So als wären sämtliche Täler durch Tunnel verbunden, wodurch sich der Wanderer viel Zeit sparen würde. (Es sollte hier erwähnt werden, dass eine andere Art von Quantencomputer andere Quanteneffekte zu Hilfe nimmt, um andere Aufgaben blitzschnell zu lösen, etwa das Knacken heute gängiger Verschlüsselungen).
Allerdings ist es lediglich eine Annahme, dass adiabatische Quantencomputer den Tunneleffekt für ein besonders hohes Rechentempo nutzen können. Die Forscher müssen es ausprobieren. Bislang hat sich bei Tests der D-Wave-Maschine kein signifikanter Tempovorteil gezeigt, was zu starken Zweifeln an dieser Art von Quantencomputer geführt hat.
Nun hat Hartmut Neven, Physiker bei Google und für die Tests der D-Wave Maschine zuständig, mit seinem Team eine besonders raue Gebirgslandschaft in den Quanten-Chip programmiert, da dabei der Vorteil des Tunneleffekts stark zum Tragen kommen sollte. Zum Vergleich haben sie eine Simulation der Arbeitsweise eines adiabatischen Quantencomputers auf einem herkömmlichen PC laufen lassen. Tatsächlich kam der Quantencomputer 100 Millionen Mal schneller zur Lösung als der PC. Das beweist, dass er den Tunneleffekt tatsächlich in einen Tempovorteil ummünzen kann.
Noch keine Wundermaschine
Auf eine "Wundermaschine", wie Quantencomputer oft tituliert werden, muss die Welt aber weiter warten. Das hat drei Gründe.
Erstens: Der Witz eines Quantencomputers besteht nicht nur darin, dass er schneller rechnet. Das könnte man auch mit vielen PCs statt nur einem erreichen. Vor allem soll er für eine deutlich komplexere Variante eines Problems nicht viel länger brauchen als für die einfachere. Ob er das Problem des Handlungsreisenden für 10 oder 200 Städte rechnet, macht für ihn theoretisch keinen großen Unterschied.
Genau das aber lässt sich aufgrund der jetzigen Tests noch nicht sagen. Es ist noch unklar, ob eine größere Variante des D-Wave-Computers mit zwei- oder dreitausend Qubits den Tunneleffekt ebenso effizient ausnutzen kann.
Zweitens: Der jetzt erzielte Tempovorteil besteht nicht bezüglich eines PC an sich, sondern lediglich bezüglich der Simulation, die auf ihm lief. Diese simuliert die Arbeitsweise des Quantencomputers, muss aber ohne Tunneleffekt auskommen und war daher langsamer. Um diesen 1:1-Vergleich ging es den Forschern. Für das getestete Optimierungsproblem gibt es andere Lösungsverfahren, die auf einem PC noch schneller wären ,als die D-Wave-Maschine es jetzt gezeigt hat. Für die Praxis hat das Ergebnis also keine Bedeutung.
Drittens: Hartmut Neven räumt in einem Beitrag des Google Research Blog ein, dass die Hardware der D-Wave-Maschine noch nicht komplex genug ist, um praktisch relevante Optimierungsfragen in sie hineinzuprogrammieren. Dazu müsste beispielsweise die Kontrolle über die Energie der Qubits verbessert werden und die Kopplung ganzer Gruppen von Qubits untereinander ermöglicht werden. Zudem bräuchte es eine deutlich größere Anzahl von Qubits.
Dennoch bezeichnet Wolfgang Lechner vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck das Ergebnis als "vielversprechend". Der Physiker experimentiert in Innsbruck mit einem ähnlichen System. Ihn beeindruckt, dass der Tempovorteil schon so groß ist, obwohl die D-Wave-Maschine noch kein voll "kohärenter" Quantencomputer sei, was bedeutet, dass er die Quanteneffekte nicht über die gesamte Rechnung hinweg aufrecht erhalten kann. Das sei ein Hardware-Problem, das kommende Generationen von Quantencomputern überwinden würden.
Diese müssten nicht unbedingt mit der gleichen Hardware wie die D-Wave-Maschine arbeiten, betont er. Der Durchbruch muss also nicht aus Kalifornien kommen.
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