Gott soll mir gefallen. Sonst darf er nicht existieren!
Wo bleiben eigentlich die theologischen Diskussionen?
Ab und zu werden sie in der Öffentlichkeit geführt, ja: So ging es vor einigen Jahren in den deutschen Feuilletons um die Rechtfertigungslehre. Es gibt in den Medien auch den Platz und Fachleute: Die Wochenzeitung Die Zeit etwa hat ein Ressort namens Glauben und Zweifeln, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten finden sich entsprechende Sendeplätze.
Aber es ist doch wenig. Angesichts der Tatsachen, dass eine Partei in der Regierung sitzt, die sich "christlich" nennt, und dass das Christentum gelegentlich als, nun ja, "einheimische" Religion ins Feld geführt wird, vor allem gegenüber dem Islam: Da sollte man eigentlich mehr - vielleicht nicht wünschen, aber doch erwarten. Oder?
Ein widersprüchlicher Befund: Irgendwie ist Religion da, im öffentlichen Leben. Aber irgendwie auch nicht: Eine seltsame, schwer fassbare Ambivalenz. Das Ganze wird noch widersprüchlicher, wenn man weiter drüber nachdenkt. Drei Fragen stellen sich:
Erstens: Wer oder was ist eigentlich das öffentliche Leben, in dem Religion sich abspielt und diskutiert wird?
Wer ist die Öffentlichkeit? Die Medien - oder die Bevölkerung? Eine Trennung ist selten möglich, Dennoch, die Rücktrittsankündigung des Papstes hat eine Diskrepanz sichtbar gemacht: "Gedämpftes Interesse am Papst - Quiz, Krimi und Karneval besser", titelte am 12. Februar der Journalisteninformationsdienst Newsroom:
Es gab ein großes Medienecho auf die Rücktrittserklärung des Papstes. Aber das deutsche TV-Publikum ließ das Thema am Montag eher kalt. Karneval und Krimi waren eindeutig interessanter.
Journalisten, genauer: Ressortleiter und Chefredakteure fanden das Thema wichtig. Der Rücktritt (genauer: die Emeritierung eines Papstes) ist schließlich eine "heiße Story", darüber muss man berichten. Aber der Bevölkerung war´s egal. - Wirklich? Als ich Theologie studierte - wohlgemerkt: evangelisch, ich hatte also mit dem Papst gar nichts zu tun - haben mir dauernd irgendwelche Leute erzählt, wie schrecklich sie den (damaligen) Papst und den Zölibat fänden. Diese Thesen erheben keinen Anspruch auf empirische Nachprüfbarkeit, aber mir scheint: Das Interesse an Papst, Kirche und Religion ist da. Aber es fehlen die Lust an der Auseinandersetzung, das Interesse an Hintergründen.
Eine zweite Frage, die sich aufdrängt: Wird eigentlich ein theologischer Hintergrund einer Debatte wahrgenommen?
Bei einer anderen (auch eigentlich theologischen) Debatte ging die um die Beschneidung von Jungen bzw. Männern. Meist wurde diskutiert, ob Juden und Moslems "das dürfen": Kinder beschneiden. Ob es nicht ein Aufzwingen von Religion und Irrationalität sei. Ein Anderes kritisierte Dirk Pilz in der Frankfurter Rundschau: Ein Atheist glaubt vielleicht nicht an Gott, aber er glaubt nicht an nichts - und er ist auch nicht automatisch ein Wissender. Und wer die Beschneidung verbieten lassen will, muss sich fragen lassen, ob er nicht selber intolerant ist.
Außen vor blieb häufig zweierlei:
Erstens das, was vom nicht-religiösen Standpunkt aus am wichtigsten sein sollte: ob nämlich die Beschneidung das Leben beeinflusst. Und wenn ja: wie. Nur wenige Beiträge behandelten dies Thema: Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer etwa schrieb über Beschnittene, sie berichteten in Psychotherapien, "dass sie unter dem Gefühl leiden, es sei ihnen ohne ihr Einverständnis etwas weggenommen worden.
In der Tat hat die Vorhaut wichtige erotische Funktionen: Sie erleichtert die Penetration und erhält die sexuelle Erregbarkeit. In der Taz schrieb ein Mann, der sich als Erwachsener hatte beschneiden lassen, wie sich sein Sexualleben dadurch geändert habe - und zwar nicht zum Guten.
Zwei Ausnahmen. Meist ging es um alles Mögliche, aber nicht um die betroffenen Jungen und Männer. Nun kam die Beschneidungsdebatte ja durch ein Gerichtsurteil in Gang. Bei diesem war es darum gegangen, ob Beschneidung Körperverletzung ist. Das Ziel eine solchen Urteils sollte sein, die Betreffenden zu schützen. Aber wo wurde diskutiert, ob die entsprechenden Daten vorhanden sind oder wie sie erhoben werden könnten: Gibt es Umfragen unter jungen und alten Männern - und ihren Frauen -, die Rückschlüsse auf Folgen der Beschneidung zulassen? Statistiken über die Zahl der "Verschneidungen"?
Zweitens blieb meist außen vor, worum es bei der Beschneidung laut Religion eigentlich geht: Sie ist Zeichen des Bundes mit Gott, Gott fordert sie von Abraham und seinen Nachkommen (Genesis 17,9).
Welche Eltern lassen ihren Sohn eigentlich aus diesem Grund beschneiden? Und welche Eltern tun es, weil man es eben so macht?
Außerdem scheint es keine Untersuchungen über die sozialen Folgen des Gefühls bei Juden oder Moslems zu geben, ein Außenseiter in der eigenen Religionsgemeinschaft zu sein, weil man aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht beschnitten wurde. Oder umgekehrt eine Untersuchung darüber, wie es ist, als beschnittener Außenseiter in einem säkularen Staat zu sein. Darüber, wie vielen Beschnittenen der Bund mit Gott wichtig ist und ob die Beschneidung für ihn ein Zeichen für diesen Bund ist. Darüber, ob Eltern, deren Kinder erwachsen geworden sind, im Rückblick wieder dieselbe Entscheidung - für oder gegen die Beschneidung - treffen würden.
Die dritte Frage: Wenn Theologie, Religion, Glaube als solche wahrgenommen werden - werden sie eigentlich akzeptiert? Oder: Darf Gott anders sein, als der Mensch ihn sich wünscht?
Nein, darf er nicht - so argumentiert etwa die ehemalige Evangelikale Valerie Tarico in ihrem Buch Trusting Doubt: Würde man die Bibel wörtlich nehmen, so wie es Evangelikale und Fundamentalisten täten, dann erschiene Gott als zutiefst inhuman. Taricos Fazit: Also kann man die Bibel nicht wörtlich nehmen. Sie sucht stattdessen nach gemeinsamen Werten in unterschiedlichen Religionen. Diese sollen humanistischen Ansprüchen genügen.
So kann der moderne aufgeklärte Mensch Religion erfahren. Und wer hätte noch nicht im Freundes- und Bekanntenkreis die Forderung nach Ökumene, nach Ruhe in Nordirland, nach allem Möglichen gehört, was die Gläubigen bitte tun und lassen sollten, um von Atheisten akzeptiert zu werden?!
Dies ist ein Argumentationsweg, der Religion vom Menschen her definiert: Nur was der Mensch akzeptieren kann, das darf Religion sein. Gerade das ist zum Beispiel das Christentum nicht. Das wird schon in der Bibel thematisiert, die christliche Botschaft wurde immer wieder als skandalös dargestellt.
Es gibt diese Themen, aber in der Allgemeinheit werden sie nicht als vollwertig akzeptiert. Gott ist keine Idee wie etwa Politik oder Menschenrechte, die diskussionswürdig sind. Gott muss humanistischen Ideen entsprechen, damit man an ihn glaubt. Vielleicht ist das ein Fortschritt.
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