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Griechenland: Wachsende Gewaltbereitschaft der Bevölkerung?

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Der Briefbomben-Anschlag auf Loukas Papademos und die Diskussionen darüber zeigen, dass die Ruhe der Griechen gegenüber den sozialen Einschnitten der Sparpolitik nur Oberfläche ist

Als der ehemalige griechische Ministerpräsident Loukas Papademos am vergangenen Donnerstag das Opfer eines Briefbombenanschlags wurde, konnte noch niemand ahnen, welche innenpolitische Folgen der Attentatsversuch haben würde.

Papademos, in dessen Händen die Briefbombe explodierte, erlitt Verletzungen an den Beinen, im Unterleib und Brustbereich. Er verblieb bis Dienstag auf der Intensivstation des Krankenhauses Evangelismos. Danach wurde er auf eine Station mit "besonderer Beobachtung und Pflege" verlegt [1]. Papademos Verletzungen wurden mehrfach operativ gereinigt. Aktuell sind die Verletzungen an den Beinen der Grund für die Intensivpflege. Auch seine beiden Begleiter, ein Fahrer und ein weiterer Begleiter erlitten Verletzungen, konnten das Krankenhaus jedoch inzwischen verlassen.

Der frühere EZB-Vizepräsident hatte Griechenland vom November 2011 bis Mai 2012 regiert. Er war, nachdem Giorgos Papandreou wegen seines Vorschlags, zur Eurokrise in Griechenland ein Referendum abhalten zu wollen, auf Druck der Kreditgeber gestürzt wurde, als außerparlamentarischer Premier von der PASOK, der Nea Dimokratia und der rechtspopulistischen LAOS ausgewählt worden. Der Neunundsechzigjährige gilt als Technokrat und war Mitglied der Trilateral Commission [2].

Glück mit dem nicht gepanzerten Auto

Der Bombenmechanismus war in einem Briefpaket versteckt und explodierte, als Papademos das Paket im Auto sitzend in der Marni-Stasse unweit von der Avenue des dritten Septembers, somit nur wenige hundert Meter vom Zentralgebäude des Athener Polytechnikums und vom Autonomenviertel Exarchia entfernt, öffnete. Dass Papademos bei der Explosion nicht zerfetzt wurde, hat er laut Aussagen seiner Frau dem nicht gepanzerten Auto zu verdanken [3]. Der Oberklasse-PKW aus Stuttgarter Produktion ließ die Druckwelle der Bombe entweichen.

Es liegt noch kein Bekennerschreiben vor, was gemeinhin als Indiz für weitere Bombensendungen gedeutet wird. Die so genannte Handschrift der Bombe deutet auf die "Verschwörung der Feuerzellen", eine nominell linksautonome Terrorgruppe, hin. Die Spurensuche entdeckte bei der Überprüfung der DNA Spuren, dass der Bombenbauer noch nicht in ihrer Kartei erfasst ist. Die Ermittler hoffen [4], aufgrund der Aussagen des Opfers eine Spur finden zu können.

Wie kam die Bombe an ihren Empfänger?

Es gab in der Vergangenheit, zuletzt im März, bereits mehrfach Briefbombensendungen in und aus Griechenland. Sendungen der "Verschwörung der Feuerzellen" schafften es bis nach Berlin ins Kanzleramt und ins Bundesfinanzministerium. Eigentlich sollten die daraufhin verschärften griechischen Sicherheitsbestimmungen dies verhindern. Es gab jedoch offenbar erneut Lücken, wie Bürgerschutzminister Nikos Toskas zerknirscht zugeben musste [5].

Die Verantwortlichen suchen den Fehler jedoch nicht im System, sondern bei einem Sündenbock. Der Beamte im Parlament, wo Papademos Post geprüft werden sollte, habe versagt, heißt es. Er habe den Bombenmechanismus nicht bei der Untersuchung der Post mit dem Röntgengerät identifiziert, lautet der Vorwurf.

Verschwiegen wird, dass die Sicherheitstechnik in Griechenland auch ein Opfer der Sparpolitik ist. So gab es im Außenministerium einige Wochen lang kein funktionierendes Röntgengerät zum Durchleuchten der Taschen der Besucher, was jeder Journalist, der zwischen Ende 2016 und Anfang 2017 das Ministerium besuchte, bestätigen kann.

Für die Nea Dimokratia ist das Versagen der Kontrollen ein Indiz für die Unfähigkeit der Koalitionsregierung von SYRIZA und Unabhängigen Griechen. Die Regierung würde durch ihre Untätigkeit, Laschheit gegenüber Anarchisten und Unfähigkeit den Terror fördern, verlautet die Partei des Oppositionsführers Kyriakos Mitsotakis. Die Gescholtenen werden der konservativen Partei dagegen eine schamlose Ausnutzung [6] des Terroranschlags vor und weisen die Kritik ab.

"Nicht mit Bomben geizen" - Prominente "Sparkur"-Gegner freuen sich

Während die politischen Parteien den Anschlag verurteilten und dem Opfer eine schnelle Genesung wünschten, gab es eine Reihe von prominenten Zeitgenossen, die den Anschlag begrüßten. Der Sekretär von Griechenlands größter Journalistengewerkschaft ESIEA, der "Vereinigung der Redakteure täglicher und wöchentlicher Presse", Giorgos Filippakis meinte, dass ihn der Anschlag auf Papademos keinesfalls stören würde.

Allerdings, so fügte er hinzu, dass er lieber auch noch eine Bombe zwischen den Beinen des ehemaligen Finanzministers Yannis Stournaras sehen würde. Filippakis begründete seine Aussage damit, dass Papademos als aktueller Präsident der Akademie Athens und Stournaras als Zentralbankchef immer noch die Interessen der Kreditgeber vertreten würden [7].

Die weitere Geschichte um den pensionierten Journalisten geriet zu einer Farce. Am Samstagabend schrieb er eiligst - mit Rechtschreibfehlern - auf seiner Facebookseite, dass er gerade verhaftet worden sei. Am Sonntag stellte sich heraus, dass es keine Verhaftung [8] gegeben hatte.

Filippakis war verschwunden, sein Anwalt dementierte die Verhaftung. Dementis kamen auch von der Polizei und der Staatsanwaltschaft [9]. Am Sonntagabend ließ der Journalist die Griechen wissen, dass sein Facebook-Account angeblich von Hackern gekapert wurde.

Vorwürfe gegen den Finanzminister

Er bestätigte seine Kernaussage jedoch im Radiointerview beim Sender Flash noch einmal und begründete sie damit, dass Stournaras für 7.000 Selbstmorde von Opfern des Sparkurses verantwortlich sei [10]. Eine gleichlautende Aussage tätigte [11] er auf Facebook. Filippakis hatte bereits 1984 einen Anschlag der damals aktiven Gruppe des "17. Novembers" in ähnlicher Weise, seinerzeit als Artikel in der Zeitung Eleftherotypia kommentiert und war daraufhin von seinem Verleger entlassen worden [12].

Eine Entlassung droht ihm nun nicht mehr. Seine Gewerkschaft distanzierte sich zwar von Aufrufen zur Gewalt, vermied [13] es jedoch, den Namen ihres amtierenden Gewerkschaftssekretärs zu nennen. Von Journalistenkollegen wie Giannis Kanellakis erhielt Filippakis sogar Zustimmung. Kanellakis meinte, es sei nicht angebracht [14], mit Bomben zu geizen.

Schließlich schloss sich die anarchistische Aktivistengruppe Rouvikonas an und schmiss am Dienstag Flugblätter in den Eingangsbereich des Evangelismos Krankenhauses, wo Papademos behandelt wird. Auf den Flugblättern wird Papademos der Tod gewünscht.

Trügerische Ruhe

Die Causa Papademos zeigt, dass die augenscheinliche Ruhe der Griechen gegenüber den sozialen Einschnitten der Sparpolitik eine immer größere Gewaltbereitschaft der Bevölkerung offenbar nur vorläufig überdeckt.

Als Zeitungsente entpuppte sich allerdings die Meldung, dass die Notaufnahme des Krankenhauses wegen des hohen Patienten geschlossen wurde. Die Schließung des Krankenhauses für Neuaufnahmen hatte am vergangenen Donnerstag viel profanere Gründe. In der Notfallambulanz war eine Verwandte des Generalsekretärs der neonazistischen Goldenen Morgenröte eingetroffen.

Der Generalsekretär Nikos Michaloliakos ließ es sich nicht nehmen, seine Verwandte zu begleiten. Er brachte einen Trupp Leibwächter mit, welche die anderen Patienten bedrängten. Die Leitung entschied sich daraufhin für die Schließung der Notaufnahme - bis der verletzte frühere Premier eintraf [15].


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https://www.heise.de/-3729634

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.protothema.gr/greece/article/683803/se-monada-auximenis-frodidas-o-loukas-papadimos/
[2] http://trilateral.org/
[3] http://www.iefimerida.gr/news/340528/sokarismeni-i-syzygos-papadimoy-exigei-pos-sothike-o-proin-prothypoyrgos#axzz4iO4pqVe3
[4] http://www.protothema.gr/greece/article/683497/stin-katathesi-papadimou-vlepoun-tin-akri-tou-nimatos-gia-to-tromodema/
[5] http://www.iefimerida.gr/news/340813/toskas-profanos-kai-eginan-lathi-sto-tromodema-papadimoy#axzz4iO4pqVe3
[6] http://www.protothema.gr/greece/article/683497/stin-katathesi-papadimou-vlepoun-tin-akri-tou-nimatos-gia-to-tromodema/
[7] http://www.protothema.gr/greece/article/683268/dilosi-sok-tou-eidikou-grammatea-tis-esiea-gia-tin-epithesi-ston-papadimo/
[8] http://www.protothema.gr/greece/article/683314/filippakis-me-sunelavan-elas-den-ehei-ginei-kamia-sullipsi/
[9] http://www.protothema.gr/greece/article/683314/filippakis-me-sunelavan-elas-den-ehei-ginei-kamia-sullipsi/
[10] http://www.iefimerida.gr/news/340691/ametanoitos-o-filippakis-papadimos-kai-stoyrnaras-eythynontai-gia-7000-aytoktonies#axzz4iO4pqVe3
[11] http://www.protothema.gr/greece/article/683565/den-pairnei-piso-o-filippakis-tis-apeiles-kata-stournara/
[12] http://www.iefimerida.gr/news/340407/otan-o-kitsos-tegopoylos-apelyse-ton-giorgo-filippaki-1984-apo-tin-eleytherotypia#axzz4iO4pqVe3
[13] http://www.iefimerida.gr/news/340540/i-esiea-katadikazei-tin-parotrynsi-se-alla-horis-na-anaferei-onoma-toy-filippaki#axzz4iO4pqVe3
[14] http://www.iefimerida.gr/news/340744/o-giannis-kanellakis-zilepse-ton-filippaki-ego-den-tha-tsigkoyneyto-tis-vomves#axzz4iO4pqVe3
[15] http://www.protothema.gr/greece/article/682988/den-ekleisan-ta-epeigoda-ston-euaggelismo-logo-papadimou-alla-logo-hrusis-augis/