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Griechenlands Kampf gegen Corona

Symbolbild: Jonathan Kho/unsplash

Massive Einschränkungen der Freiheitsrechte führen auch zu absurden Bestrafungen von Obdachlosen. Es gibt zudem interessanten Änderungen in der Flüchtlingspolitik

Anfang der Woche wurde bei einer Frau aus dem Flüchtlingslager Ritsona bei Chalkida, die in der vergangenen Woche im Athener Krankenhaus Alexandra per Kaiserschnitt entbunden hatte, eine Covid19-Infektion festgestellt. Im Umfeld der aus Kamerun stammenden Frau wurden bereits zahlreiche Infektionen bestätigt.

Seit Donnerstag steht nun das gesamte Lager Ritsona unter Quarantäne. Es ist nicht der einzige Fall mit infizierten Flüchtlingen [1] im Land. Im nordgriechischen Kilkis wurde erneut bei einer jungen Mutter direkt nach der Geburt eine Infektion festgestellt. Anders als in Ritsona lebte die Afghanin in Kilkis nicht im Lager, sondern war in einer Wohnung untergebracht. Schließlich wurden 119 neue Infektionen auf vor Piräus ankernden Fähre Eleftherios Venizelos gefunden.

Wirksames "social distancing"

Griechenlands bislang überaus erfolgreiche Strategie gegen die Corona-Pandemie besteht hauptsächlich aus strengen Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen. Massentests werden nicht durchgeführt. Damit fehlt den Gesundheitsbehörden zwar die Zahl der Infizierten als relevante Messgröße für den Grad des Erfolgs der Maßnahmen. Die relativ geringen Todeszahlen deuten jedoch darauf hin, dass die hinsichtlich der direkten Gesundheitsausgaben konservative Vorgehensweise in Griechenland, das Land offenbar vor Schlimmerem bewahrt.

Die tief in persönliche Freiheiten eingreifenden Maßnahmen werden in einem vorher kaum erwarteten Grad von der Bevölkerung akzeptiert und unterstützt. Die Medien tragen ihren Teil dazu bei, dass die mit ständigen Sondersendungen in Angst versetzte Bevölkerung weitere Maßnahmen akzeptiert. So wurde die Schließung der Strandpromenade in Thessaloniki für die Öffentlichkeit mit entsprechenden Fernsehberichten "vorbereitet".

Nachrichtensendungen des Senders Open zeigten unter Verwendung von die Optik verzerrenden Zoomlinsen eine große Menschenansammlung auf engstem Raum [2]. Die entsprechenden Berichte sind technisch gesehen keineswegs "Fake-News", wie Kritiker gern behaupten [3]. Dass sie aber tendenziell die Realität verzerren steht außer Frage, und wurde auch vom Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis im Interview mit der Zeitung "Proto Thema" [4] offen zugegeben. Im Zuge weiterer Maßnahmen wurden auch andere Strandpromenaden im Land geschlossen.

Das Thema wurde ausgiebig in den sozialen Medien diskutiert. Der Sender Open zeigte sich deshalb selbst beim Rundfunkrat ESR an. Die Selbstanzeige dient dazu abzuklären, dass die Videoberichterstattung durchaus im Rahmen normaler journalistischer Handwerksmittel erstellt wurde.

Dagegen beklagen sich die Krankenhausärzte des Landes, dass sie vor allem im Staatssender ERT nicht zu Wort kommen dürfen [5]. Die Ärzte klagen zudem, dass die Regierung nur die halbe Wahrheit verkünden [6] würde und dass es ihnen an allen Ecken und Enden an Ausstattung fehlt.

Medienberichte zeigten auch auf, wie sehr die Geschäftspolitik der Banken, die Bürger belastet. Denn pünktlich zum Monatsende bildeten sich lange Schlangen vor den Bankfilialen [7]. Zum Monatsende eilen Rentner, die in der Regel das e-Banking kaum beherrschen zu den Geldinstituten. Gleichzeitig sind zahlreiche Steuern und Abgaben fällig. Hier rächt sich, dass die Banken landesweit Personal abbauen und Filialen schließen.

Gleichzeitig werden für Einzahlungen am Geldautomaten relativ hohe Gebühren berechnet. So kostet eine Überweisung von einer Bank zu einer anderen in der Regel drei Euro. Dies ist ein Grund, weswegen vor allem ärmere Griechen, dazu zählen die meisten Rentner, Geld am Automaten ihrer Bank abheben, um zu einer anderen Bank zu gehen und dort die Miete einzuzahlen.

Verstöße gegen Quarantänemaßnahmen werden strikt verfolgt. Ein Pärchen, das aus Deutschland zurück ins Land kam, bekam im Schnellverfahren zwei Jahre Haft auf Bewährung sowie 2.000 Euro Geldstrafe als staatliche Reaktion auf einen Kurztrip zum Fast-Food Stand in der direkten Nachbarschaft [8]. Jeder, der ins Land kommt, ist zu einer häuslichen Quarantäne von zwei Wochen verpflichtet.

Vor Geldstrafen sind auch Obdachlose nicht sicher, wie ein Fall von der Insel Kreta [9] zeigt. Zwar erließ die Polizei einem obdachlos aufgegriffenen Drogenabhängigen auf Drängen des Bürgermeisters von Rethymno die Strafe von 150 Euro für "unerlaubten Gang in die Öffentlichkeit" [10], aber die Obdachlosen sind dazu verpflichtet, sich Obdach zu suchen, wenn sie nicht mit Strafen belegt werden wollen.

Leidensgenossen des Obdachlosen auf Kreta hatten weniger Glück. Allein in der letzten Woche wurden sechs Obdachlose in Thessaloniki mit Strafen belegt. Ein Pärchen erwischte die Polizei sogar mehrfach beim "unerlaubten Aufenthalt in der Öffentlichkeit" [11].

In Orten, in denen relativ viele Infektionen festgestellt werden, verhängt die Regierung totale Ausgangssperren und riegelt die Zufahrt zu den Orten ab [12]. Die Regierung plant offenbar die Mobilität der Bürger weiter einzuschränken. Die täglich erlaubten Gänge zum Supermarkt, zum Apotheker, zur körperlichen Ertüchtigung oder zum Ausführen des Haustiers sollen zeitlich und in ihrer Anzahl begrenzt werden [13].

Eine Fahrt in einen anderen Ort ist nur bei einem vorliegenden beruflichen Grund oder wegen einer Beerdigung eines engen Verwandten möglich. Die über Ostern traditionell stattfindende Heimreise der in Städten arbeitenden Provinzler ist verboten. Überprüft wird die Heimatadresse der ständigen Wohnung über die beim Finanzamt hinterlegte Adresse. Weil einige auf die Idee kamen, diese online zu ändern, um doch noch über Ostern ins Dorf oder auf die Insel zu kommen, hat die Regierung eine Änderung der Adressen bis auf Weiteres verboten [14].

Ebenfalls verboten sind Baden im Meer oder nichtprofessionelles Fischen. Einzelne Bürger haben bereits gegen diese ihrer Meinung nach nicht "der Aufrechterhaltung der Gesundheit" dienende Einschränkung Klage eingereicht [15].

Wie streng der Staat gegen jeglichen Verstoß gegen die Ausgangsbestimmungen vorgeht, zeigt ein Fall von der Insel Chios. Hier wurden zwei Palästinenser zu einer Geldstrafe von je 5.000 Euro verurteilt, weil sie Kinder außerhalb des Lagers Vial in den Feldern spielen ließen [16].

Staatlicher Gesundheitsdienst wird aufgerüstet

Im Hintergrund laufen Bestrebungen an, das durch zehn Jahre Austeritätsmaßnahmen erheblich geschwächte staatliche Gesundheitssystem aufzurüsten. Die Taktik der ersten Wochen, die Beratung der Bürger allein über die Telefonzentrale des staatlichen Gesundheitsdienstes EODY erwies sich als problematisch.

Denn in den Telefonzentralen befindet sich kein medizinisches Personal, sondern in der Regel eilig angelernte, mit Hilfe eines Algorithmus beratende Telefonistinnen und Telefonisten [17]. Call-Center-Dienstleister suchen nach Personal, um die entsprechenden Telefonzentralen zu besetzen [18]. Dass dies hauptsächlich medizinische Laien sind, liegt auf der Hand.

Diese scheiterten offenbar an Einzelfällen, die von den strengen Regeln des Algorithmus abwichen [19]. Als nachteilhaft erwies sich zudem, dass die Kürzungen im Gesundheitssystem die Versorgung der Bevölkerung mit Hausärzten erheblich eingeschränkt haben.

Allerdings verfügt Griechenland über gut ausgebildete, arbeitslose oder privat tätige Ärzte. Diese werden nun mit einer auf die Krise zugeschnittenen Honorarregelung in den staatlichen Gesundheitsdienst eingebunden [20]. Die Kosten für die ärztliche Behandlung von Covid19-Patienten trägt der Staat. Die Griechen müssen daher nicht, wie bislang oft üblich, ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen.

Das größte Fährschiff unter Quarantäne

Die von der Reederei ANEK betriebene Eleftherios Venizelos [21] gilt als das größte Fährschiff Griechenlands. Das Schiff ist zwar groß, hat aber nicht die Höchstgeschwindigkeit konkurrierender Schiffe. Ergo wird es von der ANEK überwiegend für spezielle Einsätze vermietet. Einer dieser Einsätze war der Transport von Flüchtlingen von den Inseln aufs Festland im Jahr 2015. Aktuell sollte es als Hotelschiff für eine türkische Reederei dienen.

Auf der Eleftherios Venizelos sollten Techniker und Arbeiter wohnen, die in Spanien ein Kreuzfahrschiff renovieren sollten. Insgesamt befinden sich 383 Techniker und Arbeiter aus 13 Herkunftsstaaten auf dem Schiff. Gemäß den Angaben der griechischen Regierung kam das Schiff am 7. März von der Türkei kommend in Spanien an.

Dort wurde ein Anlegen wegen der Corona-Pandemie nicht gestattet und die Odyssee der Eleftherios Venizelos begann. Die Türkei gestattete keine Rückkehr, schließlich ankerte die Eleftherios Venizelos seit dem 21. März in den Gewässern des Hafens von Piräus.

Dort sollte eine Quarantäne von 14 Tagen abgewartet werden. Nachdem die ersten beiden Covid19-Verdachtsfälle bekannt wurden, mussten ein zweiundsiebzigjähriger Schweizer Seemann und sein vierunddreißigjähriger Kollege mit ernsten Krankheitssymptomen aufs Festland geholt werden.

Die übrigen Besatzungsmitglieder wurden schließlich Anfang April getestet. Es stellte sich heraus, dass weitere 119 Personen infiziert waren. Dies gab den Ausschlag dafür, das Schiff im Hafen anlegen zu lassen. Die El. Venizelos liegt nun im abgesperrten Bereich des Piers E2 für Kreuzfahrtschiffe [22]. Die hinsichtlich des Infektionstests negativen Besatzungsmitglieder wurden aufs Festland in Hotels gebracht. Dort stehen sie weitere vierzehn Tage unter Quarantäne. Wenn diese vorbei ist, sollen sie in ihre Heimatländer ausreisen. Diesbezügliche Verhandlungen des Außenministeriums sind bereits im Gang.

Die positiv getesteten Seeleute müssen in ihren Kabinen auf dem Schiff in Isolation verbleiben. Ein Teil der Mannschaft des Schiffes verbleibt ebenfalls, um die Versorgung des Schiffes zu gewährleisten. Es wurde zudem bekannt, dass nach dem Auftreten der ersten Infektionen keinerlei Desinfektionsmaßnahmen stattgefunden hatten.

Eine ähnliche Odyssee wie die Seeleute auf der El. Venizelos erleben 70-80 weitere Seefahrer, die in den Gewässern vor Attika mit ihren 30 Booten ankern. Die Boote, in der Mehrzahl Yachten, starteten Anfang März in Frankreich. Sie wurden für die, nun ausgefallene, Tourismussaison überführt. Die Seeleute erfuhren während ihrer Reise, dass ein Land nach dem anderen wegen der Pandemie die Grenzen geschlossen hatte.

In Griechenland angekommen, wollten sie nur noch an Land. Das ist aber wegen des Anlegeverbots momentan nicht möglich. Ein Skipper, der dies missachtete und in der Marina von Alimos anlegte, wurde mit der üblichen Geldstrafe von 5000 Euro belegt. Die Übrigen, denen Vorräte langsam aber sicher zu Neige gehen, hoffen auf ein Einsehen der Regierung. Sie sind sich darüber bewusst, dass sie nach ihrem Anlegen zunächst einmal vierzehn Tage in Quarantäne müssen [23].

Infektionen im Lager Ritsona

Direkt nach dem Bekanntwerden der Infektion der jungen Mutter aus dem Lager Ritsona, wurden dort Test durchgeführt. Das positive Testergebnis von zwanzig Insassen, die fast alle asymptomatisch waren, führte zur sofortigen Abriegelung des Lagers [24].

Nicht allen im Lager war der Ernst der Lage bekannt. Viele versuchten trotz der Abriegelung noch heraus zu kommen. Zehn von ihnen gelang es kurz aus dem Lager zu flüchten. Sie wurden allerdings schnell von der Polizei gestellt. Einige verweigerten sogar zunächst den Test [25]. Das Lager Ritsona mit seinen rund 2500 Insassen ist anders als die Lager auf den Inseln nicht überbelegt. Die hygienischen Bedingungen sind bei weitem besser.

Die Covid-19-Krise hat hinsichtlich der Flüchtlings- und Immigrationspolitik zu einigen Änderungen geführt. Immigrationsminister Notis Mitarakis setzte die Auszahlung der vom UNHCR an Asylbewerber gezahlten Hilfsgelder bis auf weiteres aus. Sie sollen erst dann wieder gezahlt werden, wenn die Banken in den Lagern Geldautomaten aufstellen [26].

Auf der anderen Seite verkündete das Ministerium über Facebook, dass sämtliche im Land befindlichen Asylbewerber nun wieder Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem bekommen [27]. Die Abschaffung dieses Zugangs gehörte zu den ersten Gesetzen, welche die Regierung von Kyriakos Mitsotakis erließ. Darüber hinaus ist im Gespräch, dass die ab dem 1. März geltende Aussetzung des Asylrechts wahrscheinlich wieder zurückgenommen wird.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4697231

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.topontiki.gr/article/376991/koronoios-ritsona-kilkis-proaggeloi-apasfalisis-tis-vomvas-ton-kentron-prosfygon
[2] https://thepressproject.gr/elegktes-fake-news-me-vathmo-kato-apo-ti-vasi/
[3] https://www.ellinikahoaxes.gr/2020/04/01/paralia-thessalonikis-video/
[4] https://www.protothema.gr/politics/article/990602/hrusohoidis-sto-thema-na-xanaftiaxoume-tin-ellada-apo-tin-arhi-meta-tin-pandimia-tou-koronoiou/
[5] https://tvxs.gr/news/ellada/nosokomeiakoi-giatroi-mas-logokrine-i-ert
[6] https://thepressproject.gr/giatri-tou-esy-kata-tis-kyvernisis-pou-kryvi-ti-misi-alithia-me-dithen-epistimonikes-prosengisis/#.XoMcQ1XVXXw.twitter
[7] https://www.protothema.gr/economy/article/990752/trapezes-poioi-kai-giati-ekanan-oures-simera/
[8] https://www.gazzetta.gr/plus/koinwnia/article/1462277/karditsa-poini-fylakisis-me-anastoli-kai-prostimo-se-zeygari-poy-espase-tin-karantina-gia-na-paei-se
[9] https://www.efsyn.gr/efkriti/koinonia/237712_rethymno-sbistike-prostimo-ston-astego
[10] https://www.candiadoc.gr/2020/04/02/apagoreysi-kykloforias-prostimo-se-a/#.XoaCRagzbIW
[11] https://www.efsyn.gr/node/237859
[12] http://www.topontiki.gr/article/376928/peripolika-apekleisan-horio-foystani-stin-pella-ekleisan-oles-tis-eisodoys-ki-exodoys#.XoTjiiSzwrg.twitter
[13] https://www.iefimerida.gr/politiki/petsas-periorismos-arithmo-hrono-metakiniseon
[14] https://www.iefimerida.gr/ellada/aade-pagonei-tis-allages-monimis-katoikias-pasha
[15] https://www.efsyn.gr/node/237828
[16] https://www.efsyn.gr/ellada/astynomiko/237709_prostimo-5000-eyro-kata-prosfygon-exo-apo-kyt-tis-bial
[17] https://tvxs.gr/news/ellada/tilefono-toy-eody-xeirizetai-call-center-kai-gia-ayto-ginontai-moiraia-lathi?fbclid=IwAR1Zp0uKXs3YCSxhCKJunk7v8KfQkTel26gmrS8x0uETRfWcZ7cwnXMXG30
[18] http://prin.gr/?p=30248
[19] https://tvxs.gr/news/ellada/meinete-spiti-kai-plynete-xerakia-se-thetiko-astheni-me-bebarimeno-istoriko
[20] https://www.iefimerida.gr/ellada/koronoios-idiotes-giatroi-sto-shedio-drasis
[21] https://www.marinetraffic.com/en/ais/details/ships/shipid:208272/mmsi:237628000/imo:7907673/vessel:EL_VENIZELOS
[22] https://www.news247.gr/koinonia/koronoios-stin-provlita-e12-to-eleytherios-venizelos-stithike-i-tenta-toy-eody.7615520.html
[23] https://www.protagon.gr/epikairotita/istioplooi-zoun-ti-diki-tous-odysseia-logw-koronoiou-44342029906
[24] https://thepressproject.gr/den-beni-ke-den-vgeni-kanis-apo-ti-domi-tis-ritsonas-gia-14-imeres/
[25] https://www.newsit.gr/ellada/entasi-sti-domi-filoksenias-sti-ritsona-prosfyges-antedrasan-sta-test-gia-koronoio/3005661/
[26] https://astraparis.gr/kovei-mechri-neoteras-to-voithima-stoys-prosfyges-o-mitarakis/
[27] https://www.facebook.com/migrationgovgr/posts/147015213508021