Griechenlands Sorge vor dem Krieg: Militär erlebt "größte Reform in der Geschichte"

Nicolas Kaufmann
Streifen in griechischer Flagge wird zum Schwert

Griechenland rüstet auf. Das Militär soll zum fortschrittlichsten in der EU werden. Die Regierung in Athen reagiert damit auf eine zunehmende Bedrohung.

Kampfjets, Kriegsschiffe, Drohnenabwehrsysteme – Griechenland rüstet enorm auf. Es soll "die größte Reform in der Geschichte" der Landesverteidigung sein. Die Regierung in Athen will Milliarden investieren, um ihr Militär stärker zu machen als je zuvor.

"Die 'Agenda 2030' wird alles verändern, was wir kennen, von Flugzeugen bis zu Stiefeln und von Gewehren bis zum Radar", kündigte Verteidigungsminister Nikos Dendias an.

Griechenland will Wehrdienst an finnisches Modell anpassen

Ein zentrales Vorhaben ist die Anpassung des Wehrdienstes an das finnische Modell: Rekruten sollen in kurzer Zeit eine umfassende Ausbildung erhalten und verschiedene Berufe ausprobieren können. Die erworbenen Fähigkeiten werden später von Bildungseinrichtungen und Arbeitgebern anerkannt, um die Karrierechancen zu verbessern.

"Wir werden eine völlig neue Armee schaffen", verspricht Dendias. Auch Frauen sollen künftig Einzug finden und einen freiwilligen Wehrdienst leisten können. Die Ziele des griechischen Verteidigungsministers sind ambitioniert: "2030 wird Griechenland die fortschrittlichsten Streitkräfte in der Europäischen Union haben." Nach dem Programm "Moderner Kämpfer" sollen dazu gut 200 Millionen Euro in die Ausrüstung der Soldaten fließen.

Neue Schiffe, Kampfjets und ein Drohnenabwehrschirm

Griechenland sieht sich durch türkische Militärübungen und Grenzstreitigkeiten zunehmend bedroht. Deswegen plant die konservative Regierung für dieses Jahr mit einem Anstieg der Verteidigungsausgaben auf 6,1 Milliarden Euro – fast drei Milliarden mehr als 2019.

Ein zentraler Punkt der Reform ist der Schutz vor Luftangriffen durch einen Flug- und Drohnenabwehrschirm. Nach Dendias wird jede Kaserne ein Anti-Drohnen-System besitzen. Um die eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken, investiert Athen zudem stark in neue Kampfflugzeuge, -hubschrauber und Kriegsschiffe.

Etwa liefert Frankreich schrittweise hochmoderne Rafale-Kampfjets an die griechische Luftwaffe aus. Darüber hinaus hat Griechenland einen Vertrag mit den USA über den Erwerb von F-35-Jets unterzeichnet, die ab 2028 eingesetzt werden sollen. Die türkische Regierung bemüht sich hingegen bislang erfolglos um eine Lieferung solcher Flugzeuge.

"Die Türkei hat die zweitgrößte Anzahl an Landstreitkräften in der Nato nach den USA. Auf diesem Feld kann Griechenland nicht mithalten. Was sich aber in den vergangenen zwölf Monaten anfängt zu verändern, ist das Kräfteverhältnis der Luftwaffe beider Länder", sagt Jens Bastian, leitender Politikberater bei der Hellenischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik Eliamep in Athen und Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Laut Dendias soll die Luftwaffe seines Landes schließlich über ein Arsenal von 200 Kampfflugzeugen verfügen. Neben den USA ist auch Frankreich ein wichtiger Rüstungspartner, der bald Belharra-Fregatten mit modernen Abwehrsystemen und umfassender Cyberabwehr liefern möchte. Und ein Verteidigungsabkommen mit Paris sichert Griechenland im Angriffsfall militärische Unterstützung zu.

Eigene Rüstungsindustrie soll Abhängigkeit verringern

Ein strategisches Ziel der "Agenda 2030" ist die Reduzierung der Abhängigkeit von ausländischen Rüstungslieferungen. Die Regierung in Athen will stärker auf eine eigene Rüstungsindustrie setzen. Ein neu gegründetes Zentrum soll die Forschung und Herstellung innovativer Produkte vorantreiben. Geplant ist die Modernisierung von Kriegsschiffen und U-Booten sowie die Entwicklung unbemannter Systeme.

Griechenlands Verteidigungsausgaben liegen konstant über dem Nato-Ziel von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP): nach Schätzungen der Nato 3,08 Prozent des BIP im vergangenen Jahr. Absolut betrachtet investierte die Türkei den Schätzungen zufolge jedoch rund dreimal so viel in ihre Streitkräfte.

Der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan habe "einen profitablen militär-industriellen Komplex aufgebaut, der nicht nur für die Türkei produziert, sondern auch exportiert", erklärt Politikwissenschaftler Christoph Becker, der sich auf den östlichen Mittelmeerraum spezialisiert hat. Vor allem hat sich die bewaffnete Drohne Bayraktar im Ukraine-Krieg bewährt. Der Kampfjet Kaan soll in Zukunft die F-16-Flotte der türkischen Luftwaffe ablösen.

Droht eine Eskalation an der Ägäis?

Trotz des Wettrüstens der beiden Nato-Staaten erwarten die Experten Becker und Bastian keine drastische Verschärfung der bilateralen Beziehungen und eine Eskalation an der Ägäis. Für Becker steht die Reform "im Kontext des generellen Aufrüstens europäischer Staaten". Erst neulich kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein neues Verteidigungspaket in Höhe von 800 Milliarden Euro für Europa an.

Bastian warnt allerdings:

Die Unberechenbarkeit von Erdogan birgt ein Risikopotenzial, dass stets mit Rückschlägen gerechnet werden muss, wenn es ihm politisch opportun erscheint.

Die griechische Regierung ist indes entschlossen, ihre Interessen durch eine Modernisierung der Armee zu verteidigen, während sie auf eine politische Lösung mit Ankara hofft.