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Griechischer Abhörskandal: Schuld sind immer die Journalisten

Wegen des Abhörskandals muss sich der griechische Premierminister Mitsotakis rechtfertigen. Bild: European People's Party / CC BY 2.0

Die griechische Regierung von Kyriakos Mitsotakis soll Politiker, darunter angeblich auch Regierungsabgeordnete, überwacht haben. Doch Mitsotakis sieht sich als Opfer dunkler Mächte und greift die Medien an.

Die internationale Presse hat den griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis im Visier [1]. So jedenfalls stellt es die griechische Regierung dar. Sein Regierungssprecher Giannis Oikonomou ist sich nicht zu schade, namentlich gegen Journalistinnen und Journalisten vorzugehen, die über den griechischen Abhörskandal berichten.

Dabei verzerrt Oikonomou bewusst Fakten und kann sich sicher sein, dass Teile der griechischen Presse kritiklos seine Statements als Reportagen präsentieren. Mittlerweile gilt Presseberichten zufolge als sicher, dass Mitsotakis Administration auch weitere Politiker, darunter angeblich auch Regierungsabgeordnete, überwachen ließ.

"Politico korrigiert Artikel" – als regierungsamtliche Fake News

Am Mittwoch berichtete die Zeitschrift Politico [2] in ihrer Online-Kolumne "Brussels Playbook" über einen Antwortbrief der griechischen Regierung an die EU-Kommission. Die Kommission hatte sich besorgt gezeigt über die Abhöraffäre und Klärung verlangt. Im geleakten Antwortschreiben steht

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die nationale Sicherheit mit äußerster Sensibilität behandelt werden sollte, würden wir es für klug halten, in Zukunft zu vermeiden, voreilig Veröffentlichungen aus politischen Medien zu unterstützen, die sich nicht immer durch Genauigkeit und Objektivität auszeichnen,

sowie

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher erster Schritt konstruktiver und nützlicher wäre, als sich umgehend auf schriftliche Korrespondenz auf der Grundlage von Medienberichten einzulassen, deren Aussagen noch belegt werden müssen.

Der Brief wurde von der Politico-Korrespondentin Nektaria Stamouli zitiert, die ihn offenbar zugespielt bekommen hatte. Im Text steht zudem, den Hintergrund des Briefes zusammenfassend:

Der frühere Leiter der Sicherheitsbehörde Panagiotis Kontoleon trat Anfang dieses Monats zurück, nachdem bekannt wurde, dass die EVP illegal die Telefone des Europaabgeordneten Nikos Androulakis, Vorsitzender der PASOK-Partei, und von Journalisten abgehört hatte.

Darauf angesprochen sprach Regierungssprecher Oikonomou [3] von "ungenauen, irreführenden und voreingenommene Berichten", die von der Opposition befeuert würden. Mit den Worten "diesmal geht es um einen sehr ungenauen Bericht in POLITICO, der von einer Journalistin stammt, die für ihre Beziehungen zu SYRIZA bekannt ist" direkt Stamouli an, die zudem Vorsitzende des Verbandes der Auslandskorrespondenten ist. Stamoulis Chefredakteur Jamil Anderlini stellte sich noch am selben Tag vor seine Korrespondentin und bescheinigte ihr einwandfreie Arbeit. Er habe den Brief selbst auch gelesen, erklärt Anderlini.

In der "Brussels-Playbook"-Kolumne am Donnerstag gab Politico eine weitere Stellungnahme der griechischen Regierung zum Skandal wieder und reagierte darauf mit einer Klarstellung. Wörtlich heißt es [4]:

Playbook freut sich, einen Punkt zur Berichterstattung vom Mittwoch über den Spionageskandal klarzustellen. Die beiden Spitzenmitglieder der Mitsotakis-Regierung mussten Anfang dieses Monats wegen etwas zurücktreten, das Athen als "falsches Vorgehen beim rechtmäßigen Abhören" bezeichnete. Das Abhören des Oppositionsführers wurde gesetzeskonform vom griechischen Sicherheitsdienst EYP durchgeführt. Athen bestreitet jede Beteiligung an der illegalen Abhörung derselben Person mit Predator-Software, die ungefähr zum selben Zeitpunkt stattfand.

Tatsächlich hat die Regierung in Athen die Gesetze so geändert, dass jeder, wie Premier Mitsotakis am Freitag im Parlament zugab, aus "Gründen der nationalen Sicherheit" abgehört werden kann. Über die Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelung – bei der keine juristisch nachprüfbare Definition der "Gründe nationaler Sicherheit" vorhanden ist und bei der die Abgehörten keinen Zugang zu Informationen haben, ob, wann und in welchem Umfang sie abgehört werden – gibt es in Griechenland heftige Auseinandersetzungen. Am Freitag soll eine große Aussprache im Parlament stattfinden, wie Politico berichtet.

Für Regierungssprecher Oikonomou rudert Politico im aktuellen Bericht zurück, was er in einem inoffiziellen Brief mitteilte, ohne Hinweis allerdings auf die kontroverse Aussprache. Die Mitteilung wurde, ohne Quellenangabe, dann wortgetreu in regierungsfreundlichen Medien [5] als Nachricht verbreitet [6]. Einige Medien, wie skai.gr, nahmen die Oikonomous-Mitteilung nach anfänglicher Veröffentlichung wieder vom Netz.

Grund genug für Stamoulis Chefredakteur, sich erneut zu Wort zu melden. Anderlini wählte am Samstag seine wöchentliche Kolumne mit Lesetipps als Bühne [7]. In seiner Einleitung beschränkt er sich auf zwei Themen. Er schreibt einen Absatz über den Krieg in der Ukraine und gleich zwei über die Pressefreiheit in Griechenland, die er in ernsthafter Gefahr sieht.

Vor allem sein Satz "da ich den größten Teil meiner journalistischen Laufbahn in einem autoritären (tendenziell totalitären) Staat (China) verbracht habe, kenne ich aus erster Hand die Gefahren und den Druck, denen Journalisten ausgesetzt sind, die es wagen, guten Journalismus zu betreiben" ist ein vernichtendes Urteil über die aktuelle Pressefreiheit in Griechenland.

Im Fokus der Kritik

Die Artikel in internationalen Medien zum Skandal werden immer heftiger [8]. Zu Beginn der Aufdeckungen am 5. August berichtete die Nachrichtenagentur Reuters [9] sachlich über den Rücktritt des griechischen Geheimdienstchefs wegen des Abhörens des Europaparlamentariers und Vorsitzenden der oppositionellen PASOK, Nikos Androulakis, durch den griechischen Geheimdienst EYP. In regelmäßigen Abständen folgten weitere Artikel der Agentur [10]. Pünktlich zum 26. August, dem Tag, an dem in der Vouli, dem griechischen Parlament, die große Aussprache über den Abhörskandal stattfand, brachte Reuters eine Kolumne von Hugo Dixon [11] mit dem Titel, "Es ist an der Zeit, sich wieder Sorgen um Griechenland zu machen".

In seinem Beitrag beschäftigt sich Dixon nicht nur mit dem Abhörskandal. Er zieht Bilanz aus der Regierungszeit von Mitsotakis. Dixon attestiert Mitsotakis, dass dieser kein Interesse an der Bekämpfung von Korruption gezeigt habe und Wirtschaftskriminelle sowie Steuerhinterzieher amnestiert habe. Der Kolumnist warnt vor einer politischen Instabilität in Griechenland und vor einem Abrutschen Mitsotakis in den Populismus.

Dixon gehört zu den Analysten, die von Beginn an, als Mitsotakis im Januar 2019 Vorsitzender der Nea Dimokratia und damit Oppositionsführer wurde, große Hoffnungen in ihn setzten [12]. Kurz vor Mitsotakis Wahlsieg im Juli 2019 twitterte Dixon [13] über seine damalige Kolumne "Wenn der nächste Premier – nahezu sicher Kyriakos Mitsotakis – mutig ist, kann sich Griechenland einer positiven Spirale erfreuen".

New York Times vs. Mitsotakis

Anders als Dixon war der US-amerikanische Journalist Alexander Clapp, Pulitzer Stipendiat, schon seit langem kritisch gegenüber Mitsotakis eingestellt [14]. Auf dem jüngsten Höhepunkt der Flüchtlingskrise im März 2020 titelte er in einem Beitrag "Europa kehrt Flüchtlingen – und seinen eigenen Werten – den Rücken". Derartige Beiträge wurden damals von der griechischen Regierung als "Unterstützung der türkischen Propaganda" aufgefasst.

Clapp hatte 2021 bei den Breakthrough Awards der Pulitzer Stiftung mit einem weiteren Beitrag über Griechenland den zweiten Platz gewonnen [15]. In "The Vampire Ship" beschäftigt er sich mit einem nie wirklich aufgeklärten Skandal um Drogenschmuggel und Korruption in Griechenland und der Türkei [16], bei dem alle relevanten Zeugen verstorben sind.

Auch Clapp meldete sich zum Abhörskandal zu Wort [17]. "Die Fäulnis im Herzen Griechenlands ist jetzt für alle sichtbar" titelt er seinen Kommentar, der am Montag zunächst online von den New York Times veröffentlicht wurde. Am Mittwoch war er auf dem Titelblatt der internationalen Printausgabe des US-Leitmediums.

In der Zwischenzeit hatte Regierungssprecher Oikonomou versucht, Clapp als "Gastautor" der New York Times abzuwerten und ihm wegen der Beiträge zur Flüchtlingskrise eine Feindschaft zu Griechenland zu attestieren [18]. An die Opposition gewandt bemerkte Oikonomou, "zufälligerweise ist der Journalist, den Sie heute zum Leuchtturm erheben, derselbe, der Griechenland im März 2020 international wegen der Verteidigung seiner Grenzen angeprangert hat."

Über Griechenlands Flüchtlingspolitik kritisch zu schreiben, ist für die Regierung bereits seit langem eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit". Clapps Kommentar in der New York Times ist hingegen nur ein Beitrag von vielen, den die Zeitung zum Thema veröffentlicht hat. Bereits am 12. August verglich ihr Korrespondent Jason Horowitz den Skandal mit Watergate [19].

"Politische Instabilität, Rubel und Flüchtlinge"

In seinen Redebeiträgen bei der großen Aussprache im Parlament am Freitag stellte Mitsotakis die Situation so dar, als würden die Angriffe gegen ihn nicht wegen des Abhörskandals erfolgen. Er warnte davor, dass, wenn er stürzen würde und Neuwahlen kämen, das Land in eine lange Periode der politischen Instabilität fallen würde. Seinen Gegnern warf er vor, Fans von "Drachmen und Rubel" zu sein:

Im Griechenland des Jahres 2022 sollten die, die sich am Rubel oder der Drachme orientieren, nicht den Kurs bestimmen. Wir werden es nicht zulassen, dass sie wieder von ausländischen Medienhäusern mit dem Ziel der Beeinflussung des politischen Geschehens finanziert werden. Auch werden wir dafür sorgen, dass Einzelfälle nicht verallgemeinert werden, um die Regierung zu destabilisieren. Denjenigen, die so denken, antworte ich: Ich gebe nicht nach. In einer Demokratie entscheidet nur das Volk über seine Zukunft.

Zudem warnte Mitsotakis mit den Worten, "unter angeblich humanitärem Deckmantel wird eine neue Invasionswelle am Evros vorbereitet", vor einem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen [20]. Für Mitsotakis ist klar, dass nur er und seine Regierung das Land in den aktuell schwierigen Zeiten retten können. Glaubt man dem Premier, dann müsste sich die gesamte Welt gegen ihn verschworen haben.


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https://www.heise.de/-7246883

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-08-26/greece-eu-seen-probing-spy-scandal-only-in-superficial-way
[2] https://www.politico.eu/newsletter/brussels-playbook/6-months-of-war-greek-spy-scandal-returns-finns-go-bare/
[3] https://www.mapmf.org/alert/25130
[4] https://www.politico.eu/newsletter/brussels-playbook/economic-trouble-hungary-vs-commission-greek-spying-latest/#:~:text=In%20the%20meantime,and%20ascertain%20facts
[5] https://www.newsbeast.gr/politiki/arthro/8916055/oikonomou-to-politico-anaskevase-en-merei-tis-anakriveies-tou-chthesinou-dimosievmatos
[6] https://tvxs.gr/news/ellada/anaskeyase-politico-non-paper-toy-maksimoy-kai-oi-isxyrismoi-oikonomoy
[7] https://www.politico.eu/newsletter/politico-confidential/macron-vs-truss-media-freedom-in-greece-crossing-germany-for-9/
[8] https://www.euronews.com/my-europe/2022/08/26/greek-spyware-scandal-pits-brussels-against-athens
[9] https://www.reuters.com/world/europe/greek-intelligence-service-boss-quits-amid-wiretapping-scandal-2022-08-05/
[10] https://www.reuters.com/site-search/?query=mitsotakis
[11] https://www.reuters.com/breakingviews/its-time-worry-about-greece-again-2022-08-26/
[12] https://twitter.com/Hugodixon/status/686284689850654721?s=20&t=I_OH5wfPPSujhKqbyWEITw
[13] https://twitter.com/Hugodixon/status/1146417879711145984?s=20&t=I_OH5wfPPSujhKqbyWEITw
[14] https://pulitzercenter.org/people/alexander-clapp
[15] https://pulitzercenter.org/blog/journalist-who-exposed-colombia-military-killings-wins-10k-pulitzer-center-award
[16] https://newrepublic.com/article/159252/noor-one-vampire-ship-heroin-turkey-greece-corruption-scandal
[17] https://www.nytimes.com/2022/08/22/opinion/greece-mitsotakis-predator-spyware.html
[18] https://www.newsit.gr/politikh/oikonomou-se-tsipra-gia-NYT-ektitheste-kseroume-eseis-kai-oi-filoi-sas-adiaforeite-gia-ti-xora/3584617/
[19] https://www.nytimes.com/2022/08/12/world/europe/greece-surveillance-europe-kyriakos-mitsotakis.html
[20] https://www.news247.gr/politiki/mitsotakis-polloi-filoi-toy-pasok-anarotioyntai-ean-psifizontas-androylaki-tha-vgei-tsipras.9736071.html