Grönland und die Interessen der Anderen

Blick auf Tasiilaq, die größte Stadt im Osten Grönlands. Bild: Bernd Hildebrandt, Pixabay

Der Inselstaat zwischen Atlantik und Nordpolarmeer stimmt über eine neue Regierung ab. In Hintergrund stehen massive geopolitische Interessen

Grönland wählt am morgigen Dienstag eine neue Regierung und die Abstimmung wird international interessiert beobachtet werden, wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Die Grönländer selbst mögen vor allem an einem selbstbestimmten, guten Leben interessiert sein. Die geografische Schlüsselstellung des Landes in der Arktis, wo die Großmächte aufeinandertreffen, kann dabei sowohl helfen als auch hindern.

Eine Mercatorkarte ist missweisend, wenn es um die arktischen Verhältnisse geht. Eine Polkarte oder die Globusansicht von Google Earth zeigen deutlicher, wo die militärischen und/oder ökonomischen Interessen der arktischen Staaten aufeinanderstoßen. Im Folgenden eine Aufklärung.

USA

Als Donald Trump vor zwei Jahren Grönland kaufen wollte, war dies ein Anlass zu endlosen Witzen. Daraus ist bekanntlich auch nichts geworden. Die Offerte mag plump und nicht zeitgemäß gewesen sein, das Interesse ist heute so aktuell wie seit Jahrzehnten: Die USA brauchen die Kontrolle über Grönland, soweit es eben geht. Denn erst von der Thule Air Base in Nordwestgrönland haben sie den Blick auf potenzielle Objekte, die aus Russland kommen.

Es gilt als beunruhigend, dass russische Flugzeuge von der aufgerüsteten Basis Nagurskaja auf Franz-Josef-Land die Airbase erreichen könnten. Grönland ist außerdem eine Seite der sogenannten Giuk-Lücke (Grönland-Island-UK), die Passagen, die russischen U-Booten den Weg zur US-Ostküste ermöglichen, wenn man sie denn lässt. Deshalb ist auch der "unsinkbare Flugzeugträger Island" mit seiner zunehmend genutzten Nato-Basis in Keflavík ein Teil der US-Verteidigungsstrategie.

"Open for business, but not for sale" beschieden die Grönländer damals Trump. Was ist daraus geworden? Im Juni 2020 haben die USA ihr Konsulat in der Hauptstadt Nuuk eröffnet. Interessanterweise liegen die Räumlichkeiten im Gebäude des Arktischen Kommandos, also der dänischen Küstenwache für Grönland und die Färöer. Es gab außerdem eine 12,1-Millionen-Dollar-Spende der USA an Grönland, die vor allem in Form von Beraterleistungen und Projektmitteln erbracht werden soll.

Dies wurde von einigen dänischen Politikern kritisch gesehen, andere verwiesen darauf, dass die USA nach dem Igaliku-Abkommen Miete zahlen müssten für ihre Basis, was sie bisher nicht tun. Eine Streitfrage war zuletzt der Servicevertrag für zivile Dienste auf der Basis, die auf grönländisch Pituffik heißt.

Der langjährige grönländische Vertragspartner hatte diesen bei einer Ausschreibung unter neuen Bedingungen an einen US-amerikanischen Mitbewerber verloren. Damit verlor auch Grönland Geld. Die Kriterien wurden nun überarbeitet, sodass nur noch ein grönländisches Unternehmen die Chance hat, sie zu erfüllen, und es gibt dazu ein Abkommen zwischen Grönland und den USA.

Damit ist ein großes Hindernis der Zusammenarbeit aus dem Weg geräumt. Auch wenn offiziell immer noch die Regierung in Dänemark die Außenpolitik des Königreiches aus drei Ländern, der Rigsfællesskab, bestimmt.

Dänemark

Dänemark sitzt in der Zwickmühle zwischen der Partnerschaft mit den USA und der Nato, den eigenen Interessen und dem Wissen, dass es in Grönland starke Bestrebungen zur Unabhängigkeit gibt - wie stark, werden die Wahlen zeigen. Auch wenn Dänemark Grönland jährlich mit einem Blockzuschuss von umgerechnet mehr als 500 Millionen Euro und weiteren Mitteln unterstützen muss, besteht doch ein Interesse daran, es weiter im Verbund zu halten.

Grönlands Ausstieg aus der Rigsfællesskab, der "Reichsgemeinschaft", würde man im dänischen Alltag zwar nicht merken, aber es wäre ein Verlust von 98 Prozent der Landfläche. Dänemark säße nicht mehr im Arktischen Rat, auf Augenhöhe mit Russland und den USA - Dänemark wäre dort gar nicht mehr vertreten. Und für die Nato wäre Dänemark noch ungefähr so wichtig wie Belgien, nur ohne Hauptquartier.

Spätestens das unverhohlene US-Interesse hat in Dänemark deutlich gemacht, dass die Grönländer nicht nur Bittsteller sind. Die Färöer, ökonomisch bereits viel unabhängiger von Dänemark als Grönland, könnten ein Ausscheren Grönlands zum Anlass nehmen, sich ebenfalls zu verabschieden. Weder Grönland noch die Färöer sind übrigens EU-Mitglieder.

Dänemark hat auf Druck Grönlands einen sehr weitreichenden Gebietsanspruch im Nordpolargebiet bei der UN-Sockelkommission eingereicht. Es war zuletzt großzügig gegenüber Grönland über den Blockzuschuss hinaus. So beteiligt sich Dänemark an den Baukosten der Flughäfen in Nuuk und Ilulissat, wo künftig auch Transatlantikflieger landen sollen. Dänemark will aber auch den bisherigen Transatlantik-Flugplatz Kangerlussuaq sanieren und erhalten, denn dieser wird auch viel von der Nato genutzt.

Nach der ursprünglichen Kostenkalkulation sollte dieser aufgegeben werden, wenn die in Nuuk und Ilulissat fertig sind. Dänemark investiert zudem umgerechnet rund 200 Millionen Euro in militärische Infrastruktur auf Grönland – in Überwachungsdrohnen, Radare (auch auf den Färöer), Satellitenüberwachung und Analyse. Diese Instrumente sollen auch zivilen Zwecken, beispielsweise Fischereiüberwachung und Seenotrettung, zugutekommen. Neu angeboten wird nun außerdem eine freiwillige militärische Ausbildung auf Grönland. Grönländer sind aber nicht zum Wehrdienst verpflichtet.

Russland

Für Russland ist Grönland zunächst ein Teil des US-Partners Dänemark. Russland konkurriert mit Dänemark unter anderem um den Kontinentalsockel am Nordpol. Die Gebietsansprüche, die die beiden Länder bei der UN-Sockelkommission eingereicht haben, überlappen weit.

Gerade erst hat Russland neue Messungen angestellt und neue Daten eingereicht, und dann könnte die Überlappung noch weiter gehen, bis zu 800.000 Quadratkilometer. Dabei geht es um Bodenschätze, die einmal interessant werden könnten, wenn das Meereis schrumpft.

Seit Anfang der 1990er Jahre verhandeln das Nicht-EU-Land Grönland und Russland jährlich über die Fischereirechte: Quoten vor Grönland gegen Quoten in der Barentssee. Russland hat vor kurzem einen Honorarkonsul in der grönländischen Hauptstadt ernannt. Ansonsten sind die direkten Beziehungen zwischen Grönland und Russland bisher gering.

Vor kurzem lancierte das russische Verteidigungsministerium ein Video, in dem drei russische U-Boote fast nebeneinander aus dem arktischen Eis auftauchten. Die spektakuläre Aktion war Teil einer umfangreichen Übung mit mehreren Komponenten auf Franz-Josef-Land. In Norwegen wurde dies als Antwort auf die zeitweise Stationierung von vier US-Bombern auf der Basis Ørland interpretiert. Franz-Josef-Land ist aber auch der Standort der Basis Nagurskaja, die der Thule Air Base am nächsten liegt.

China

China hat massives Interesse an der Arktis (Polar Silk Road") und besitzt inzwischen zwei große Eisbrecher, einer davon im eigenen Land gebaut. China ist an mehreren Projekten in der russischen Arktis beteiligt, zum Beispiel an Nowatek, der Flüssiggasproduktion auf der Halbinsel Yamal.

Die Nordostpassage entlang der russischen Küste wird aufgrund des Klimawandel immer länger befahrbar, was den Weg für chinesische Transporte nach Europa enorm abkürzt. Dieser Seeweg war zuletzt als Alternative im Gespräch, als der Suez-Kanal durch das Frachtschiff Ever Given verstopft war.

China plant allerdings schon weiter voraus - für einen Seeweg direkt über den Pol. Dass dies zumindest zeitweise bald möglich sein wird, zeigte die mühelose Fahrt der Polarstern im Sommer 2020.

Engagement Chinas auf Grönland wurde bisher ausgebremst. So verhinderte Dänemark den Verkauf der früheren Basis Grønnedal an einen chinesischen Investor, indem sie sie nun wieder selbst nutzt. Das Interesse eines chinesischen Konsortiums für den Flughafenbau in Grönland war extrem umstritten, letztlich gab die Firma gar kein Gebot mehr ab.

Und beim Antrag auf Genehmigung des Bergbauprojektes in Kuannersuit (dänisch Kvanefjeld), spielt es auch eine Rolle, dass die chinesische Shenghe Holding mit 12,5 Prozent der größte Anteilseigner der australischen Greenland Minerals sind. In Kuannersuit sollen Seltene Erden und Uran abgebaut werden.

Grönlands Bodenschätze

Neben dem militärischen Interesse am Standort Grönland werden auch immer die reichhaltigen Bodenschätze genannt, über die das Land verfügt. Der Abbau ist aber nicht so einfach zu bewerkstelligen. Es fehlt an fachkundigem Personal und an Infrastruktur. Außerdem gibt es Bedenken aufgrund der Umweltbelastungen, mit denen man beim Bergbau rechnen muss.

Die Vorbereitungen für das Projekt in Kuannersuit nahe Narsaq in Südgrönland ziehen sich schon seit mehr als zehn Jahren hin. Eigentlich findet gerade das Genehmigungsverfahren mit öffentlichen Anhörungen statt. An diesem Projekt ist jedoch die aktuelle Regierung zerbrochen, und es spaltet auch die Bürger.

Die einen sehen darin die Chance auf Einkommensmöglichkeiten, die dem Land zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhelfen könnten. Die anderen befürchten eine Verseuchung der Umwelt, in der sie bisher jagen, Fische fangen und Schafe züchten. Sie haben Sorge, dass giftiger Staub über ihr Land wehen wird, und dass der geplante Damm den giftigen Abfall nicht hält.

Ein anderes Projekt zum Abbau seltener Erden, die australische Firma Tanbreez bei Killavaat Alannguat, hat bereits grünes Licht bekommen, dort fehlen aber noch Investoren. Dort soll sich kein Uran im Boden befinden. Der französischen Firma Orano AS, einem Nachfolgeprojekt von Areva, wurden Testbohrungen nach Uran an Stellen erlaubt, die weiter entfernt von Siedlungen sind.

Der Anspruch auf eine Abbaugenehmigung entsteht dadurch nicht. Eine Goldmine ist in Vorbereitung und ein Rubinabbau in kleinem Umfang genehmigt. Es gab auch mal Interessenten, die nach Öl vor der grönländischen Küste bohren wollten. Von diesen ist keiner dabeigeblieben.

Grönlands Bürger

Die Grönländer haben andere Sorgen und sind von den Großmachtsinteressen um sie herum wenig berührt. Das zeigte die erste umfassende Befragung zum Thema, die gerade die Universität Grönland (Ilisimatusarfik) durchgeführt hat. Arbeitslosigkeit, hohe Lebenshaltungskosten und die ökonomische Situation insgesamt sind für sie die größten Probleme.

Auf Platz vier kommt der Klimawandel. Nur wenige fürchten eine militärische Bedrohung. Bei einer Nachfrage antworteten 35,4 Prozent, die Bedrohung sei gering oder sehr gering, weitere 35,1 Prozent fanden sie "normal", nur 24,1 Prozent empfanden sie als hoch oder sehr hoch.

Was die Forscher bei der Auswertung überraschte, war die vergleichsweise positive Einstellung zu China, auch wenn die Antworten dazu nicht immer so eindeutig sind: Man wünscht sich gute wirtschaftliche Beziehungen zu China, aber vielleicht doch nicht so viel chinesischen Engagement. Aber 81,6 Prozent der Befragten sind nicht einverstanden mit der US-Haltung gegenüber China.

Was könnte sich durch die Wahlen ändern? Die alte Regierungskoalition ist an der Frage zum Bergbau in Kuannersuit zerbrochen. Sie scheiterte allerdings konkret daran, dass die größte Fraktion, die sozialdemokratische Siumut, einen neuen Vorsitzenden gewählt hatte und sich selbst in der Kuannersuit-Frage nicht einig war.

Siumut ist nun aber mit einem Ja zur Mine in den Wahlkampf gezogen, sofern alle Vorgaben erfüllt werden. Der größte Konkurrent, die linke Inuit Ataqatigiit (IA) hat sich ganz klar dagegen positioniert. Umfragen legen nahe, dass sie damit zulegen könnte und der nächste grönländische Premier möglicherweise von IA gestellt wird. Die kleinen Parteien sind geteilt. Zwei sind dafür, weil die Mine finanzielle Mittel verspricht, zwei sind dagegen, weil ihnen das Projekt zu unsicher scheint, und eine möchte die Südgrönländer darüber abstimmen lassen, denn diese müssten schließlich mit der Mine leben.

Die Wahl in Grönland an diesem 6. April ist vor allem eine Abstimmung über Kuannersuit. Im Hintergrund steht aber eine Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe im "Hans-Egede-Jahr" (vor 300 Jahren kam der einflussreiche Missionar nach Grönland) und insgesamt dem Streben nach besseren Lebensverhältnissen. Corona ist der Insel aufgrund massiver Einreisebeschränkungen größtenteils ferngeblieben. Das hat aber auch den aufstrebenden Tourismus gestoppt.

Mögliche Auswirkungen der Wahlen

In Kopenhagen wird man nicht so traurig sein, wenn die Mine in Kuannersuit nicht genehmigt wird, denn damit wäre sowohl die umstrittene chinesische Beteiligung vom Tisch als auch der Abbau des Urans, der in Dänemark gar nicht erlaubt ist. Grönland hat sich allerdings das Recht erstritten, über seine Bodenschätze selbst zu verfügen.

Die Mine würde außerdem den CO2-Ausstoss enorm erhöhen. Dänemark wird aber daran interessiert sein, wie stark die Parteien werden, für die die Unabhängigkeit ein besonders dringliches Thema ist - Naleraq und Nunatta Qitornai. Die dänischen Sozialdemokraten harmonieren außerdem besser mit der grönländischen Schwesterpartei (Siumut), als es voraussichtlich mit IA der Fall wäre.

Für die USA steht bei der Wahl zunächst nichts auf dem Spiel, denn die Nato-Mitgliedschaft wird von keiner der Parteien infrage gestellt. Alle erwarten allerdings, dass auch Grönland davon profitiert. Mit der Vereinbarung zum Servicevertrag ist ein erster Schritt getan. IA könnte allerdings kritischer gegenüber weiterer Aufrüstung sein und pocht häufiger darauf, die Arktis müsse ein Gebiet mit niedrigen Spannungen bleiben.

Eine andere für die USA interessante Frage ist die Unabhängigkeit: Ein von Dänemark unabhängiges Grönland könnte es für sie sogar leichter machen. Ob das für die Grönländer auch besser ist, steht auf einem anderen Blatt. Russland und China werden abwarten, wie sich die Konstellationen verschieben und welche Vorteile sich daraus ergeben könnten.

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