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Großbritannien: Rishi soll es richten

Rishi Sunak. Bild: Ministry of Housing, CC BY-ND 2.0

Nach verkürztem Wahlprozess wurde Rishi Sunak zum neuen Parteichef gekürt. Ehemaliger Finanzminister hatte Johnson eine Absage erteilt. Dennoch hat auch er Glaubwürdigkeitsprobleme.

Dieses Mal wurden die Parteimitglieder einfach nicht mehr gefragt – wohl, weil der letzte Wahlprozess zu ruinös war und zu viele innerparteiliche Differenzen befeuert hatte. Somit hat Rishi Sunak "gewonnen". Er war der Einzige, der die nötigen 100 Unterstützungserklärungen von den Abgeordneten vorweisen konnte, um an der Wahl teilnehmen zu können.

Amtsvorvorgänger Boris Johnson gab zwar auch an, über die nötigen hundert Unterschriften zu verfügen. Dies war aber wohl ein klassischer Boris, denn es befanden sich lediglich 50 auf Papier. Die anderen 50 hatte er sich womöglich nur eingebildet.

Die Versuche Johnsons, mit Sunak Frieden zu schließen und eine Art gemeinsame Kandidatur zu erreichen, waren am Wochenende hinter verschlossenen Türen gescheitert. Sunak hatte wohl beobachtet, wie schnell und stark Johnson der Wind ins Gesicht blies.

Dessen baldige Rückkehr wäre einfach zu lächerlich gewesen. Zumal die Untersuchung zu den Partygate-Skandalen [1] immer noch ansteht. Partei und Regierung hätte sich genau da wiedergefunden, wo man sich vor sieben Wochen befunden hatte.

Bemerkenswert an der jetzigen Blitzlösung ist, dass sich durch die Verkürzung und Vereinfachung dieses zutiefst undemokratischen Wahlprozesses eigentlich nur das Ergebnis materialisiert hat, das bei der letzten Wahl ablesbar war. Sunak hatte immer die Mehrheit der Parlamentarier hinter sich, Truss aber eben die der Parteimitglieder.

Diesmal befragte man also nicht 0,3 Prozent der Bevölkerung, die eingetragenen Mitglieder der konservativen Partei, sondern begnügte sich mit dem Zweihunderttausendstel der Bevölkerung, um den neuen Premier zu finden.

Eine Wahl also, die letztlich keine war, weil die beiden anderen Teilnehmer – Boris Johnson und Penny Mordaunt – einfach ausgestiegen waren, nachdem sie nicht genügend Unterstützung bei den Abgeordneten gefunden hatten.

Wer ist Rishi Sunak?

Das ist Demokratie als Auslaufmodell: Neuwahlen, wie sie die Opposition fordert, verbieten sich von selbst. Auch mit dem ungleich beliebteren Sunak an der Spitze würde die Tories wohl das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfahren. Folglich werden sie versuchen, irgendwie bis 2024, dem nächsten Wahltermin, weiterzumachen und auf Besserung zu hoffen.

Rishi Sunak ist pragmatisch. Er ist der jüngste Premier seit 200 Jahren und er ist der erste Nicht-Weiße in diesem Amt, zudem gläubiger Hindu. Das ist fraglos ein wichtiges Signal an Menschen aus den ehemaligen britischen Kolonien. Wie schon mit Liz Truss, der mittlerweile bereits dritten weiblichen Premierministerin, erweisen sich die Tories hier dynamischer als die Labour-Partei, die in ihrer ganzen Geschichte nur weiße Männer ins Rennen geschickt hat.

Als junger Mann musste Rishi Sunak einmal lachen, als er gebeten wurde, seinen Freundeskreis zu beschreiben. Der bestünde aus Aristokraten, der Upper-Class und Menschen aus der Arbeiterklasse. Nein, hihi, kleiner Scherz: Selbstverständlich kenne er niemanden aus der Arbeiterklasse. Humortechnisch bleibt da noch viel Luft nach oben [2].

Nun will Sunak aber nicht Stand-up-Comedian werden, sondern Premier. Als solcher gedenkt er das Land "zusammenzuführen", laut erstem Statement nach seiner "Wahl". Auffällig war, dass auch Sunak wieder betonte, wie sehr er das wunderbare Land liebe.

Diese Formel wird langsam üblich. Sei’s, weil sie den eigenen kaum übersehbaren Narzissmus kaschieren soll, oder weil das Land einfach in einem derart beklagenswerten Zustand ist, dass es alle Liebe braucht, die es bekommen kann.

Niemand glaubt ernsthaft, dass Liz Truss sich Mittwoch noch mal die parlamentarische Fragestunde antun wird. Ihre letzten, hölzernen und wirklichkeitsfremden Auftritte bereiteten der Partei schlaflose Nächte. Deshalb könnte König Charles Sunak bereits vor dem morgigen Mittwoch vereidigen.

Der Multimillionär und das Land in der Krise

Es ist viel zu tun. Rishi Sunak sieht das Land vor "großen ökonomischen Herausforderungen." Er wird keine Steuern senken, keine Neuverschuldung dulden und all das tun, was als fiskalisch verantwortungsvoll gilt. Probleme lassen sich damit nicht unbedingt lösen.

Hohe Energiekosten, hohe Inflation, schwaches Pfund, steigende Zinsen: Sunak wird sich einiges einfallen lassen müssen, um in diesen Bereichen Erfolge zu erzielen. Im Moment hat er die Partei hinter sich. Deren Spaltung ist allerdings offenkundig und die Stimmung kann bald wieder kippen.

Gerade die Erkenntnis, wie schädlich der Brexit in vielen wirtschaftlichen Bereichen war und dass jetzt in der Krise eine engere Zusammenarbeit mit der EU gesucht werden müsste, ist jenen in der Partei schwer zu verkaufen, die glaubten, mit Truss ins gelobte Land der Liberalisierung zu schreiten und eine Öffnung hin zu internationalen Märkte zu erreichen, auf denen "Global Britain" als Big Player auftrumpfen kann.

Dies sieht Sunak grundsätzlich genauso. Er war immer Befürworter des Brexits und er träumt von einer Achse Silicon-Valley-London-Mumbai. Nur ist er Realist genug zu erkennen, dass es die im Moment kaum geben wird. Zu groß sind die internationalen Herausforderungen durch Ukraine-Krieg und Energiekrise.

Das gemeinsame Vermögen von Sunak und seiner Frau wird übrigens auf über 700 Millionen Pfund geschätzt. Er ist vermutlich der reichste Premierminister aller Zeiten. Den Anwalt der kleinen Leute wird er nicht spielen können. Das nimmt ihn niemand ab. Er wird viel Fingerspitzengefühl brauchen, um seine bisherige, etwas versnobte Art vergessen zu machen.

Seine persönliche Lebenswirklichkeit wird ihm dies vermutlich schwer machen. Während das Land unter einer Wohnungskrise ächzt und die Menschen nicht wissen, wie sie im Winter heizen sollen, unterhält Sunak ein ganzes Haus in bester Londoner Gegend, das lediglich der Bewirtung seiner Gäste dient. Hier ist also viel Potenzial für baldige, weitere Rücktritte vorhanden.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Ministerruecktritte-in-London-Fuer-Boris-Johnson-wird-es-doch-eng-7163867.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=p9bbBYcwFOk