Großer Sieg fürs Klima: Europäisches Parlament will fossilen Sperrvertrag

Eine groß angelegte Kampagne setzt sich für einen fossilen Sperrvertrag ein. Bild: FossilFuelTreaty
Eine gute Nachricht von der Klimafront: Das Europäische Parlament unterstützt den "Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty", der von hundert Nobelpreisträger:innen, WHO und vielen Organisationen weltweit vorangetrieben wird. Was steckt dahinter?
Es gibt leider nicht oft gute Nachrichten inmitten der eskalierenden Klimakrise. Das verbleibende CO2-Budget für die Einhaltung der Obergrenze von 1,5 Grad Celsius ist in ein paar Jahren verbraucht. Auch die Zwei-Grad-Marke wird kaum mehr einzuhalten sein, wenn nicht drastisch gegen gesteuert wird [1]. Pläne dafür liegen in den Ländern aber nicht vor, ganz zu schweigen von Maßnahmen.
Wir befinden uns tatsächlich auf einem Kurs, der Richtung drei bis vier Grad Temperaturerhöhung geht – und das noch in diesem Jahrhundert. "Dann leben wir auf einem anderen Planeten", sagt Klimawissenschaftler Kevin Anderson [2].
Gleichzeitig sehen wir jetzt schon, dass diverse Kipppunkte im Erdsystem überschritten sein könnten [3]. Insbesondere die Methanfreisetzung durch das Auftauen der Permafrostböden oder das Abschmelzen des Antarktischen Eisschilds bereitet den Forschern große Sorgen. Wenn Kipppunkte überschritten werden, bedeutet es, dass sich auch ohne unser Zutun die Erde immer weiter selbst erhitzt, natürliche Systeme an einem bestimmten Punkt kollabieren und die Lebensräume für den Menschen global zerstört werden. Milliarden Menschen vor allem in besonders bedrohten Zonen im Süden werden solch ein Szenario nicht überleben können.
Vor diesem Hintergrund ist es bestärkend und Hoffnung gebend, wenn einmal Positives zu berichten ist. Und das war gestern der Fall. Das Europäische Parlament in Straßburg entschied mit 450 Stimmen gegen 119 für eine Resolution [4], die zu einem "Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty", einem fossilen Nichtverbreitungsvertrag aufruft. Damit wird auch Druck auf die EU-Führung ausgeübt, bei dem anstehenden Klimagipfel in Ägypten, der ab dem 6. November stattfinden wird, die Klimaziele der Mitgliedsländer nachzubessern.
Für einen solchen Pakt, angelehnt an den Atomwaffensperrvertrag, setzt sich seit Jahren schon ein Zusammenschluss aus 100 Nobelpreisträger:innen, 69 Städten und 1700 zivilgesellschaftlichen Organisation [5] ein, unterstützt vom Vatikan. Ein globales Netzwerk von fast 500 Parlamentarier:innen [6] aus allen Kontinenten mit dem Namen "Parliamentarians Call for a Fossil Fuel Free Future" half schließlich dabei, den Antrag im Parlament durchzubringen. Im letzten Jahr wurde die Resolution noch abgeschmettert. Jetzt kam die Wende. Ein großer Erfolg für die Kampagne.
Das ist ein sehr wichtiger Schritt im weltweiten Bemühen um einen Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe,
teilte die internationale Kampagnengruppe [7] "Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty"-Initiative mit. "Die Dynamik, die hinter einem Vertrag steht, der fossile Brennstoffe auf faire und rechtzeitige Weise im Boden lässt, ist phänomenal und wächst", sagte Andrew Simms von der Rapid Transition Alliance.
WHO: Umweltvandalismus muss beendet werden
In der Resolution wird gefordert [8], dass "alle Parteien die Finanzströme – öffentlich und privat, national und international – mit dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens in Einklang bringen müssen; bekräftigt die Notwendigkeit, die Subventionen für fossile Brennstoffe dringend zu beenden" und ermutigt die im Europäischen Parlament vertretenen Staaten, "an der Entwicklung eines Vertrags über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe zu arbeiten".
Ein solcher Vertrag würde alle neuen Kohle-, Öl- und Gasproduktionen beenden, die bestehende Produktionsinfrastruktur, die für über 80 Prozent der Emissionen fossiler Brennstoffe in den letzten zehn Jahren verantwortlich ist, auslaufen lassen und einen gerechten Übergang sicherstellen, um "wirtschaftliche Diversifizierung zu ermöglichen" und "jeden Arbeitnehmer, jede Gemeinschaft und jedes Land zu unterstützen". In der Resolution heißt es weiter, dass die EU-Mitgliedsländer
bereit sein müssen, zur Schließung der Lücke beizutragen, die notwendig ist, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, und zwar auf gerechte, sozial ausgewogene, faire und kosteneffiziente Weise, wobei Aspekte der globalen Fairness und Gerechtigkeit sowie die historische und aktuelle Verantwortung der EU für die Emissionen, die die Klimakrise verursachen, zu berücksichtigen sind.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Hunderte von Gesundheitsexperten unterstützen die Initiative für einen fossilen Sperrvertrag. In einem Aufruf werden die Regierungen aufgefordert [9], sich auf einen rechtlich verbindlichen Plan zum Ausstieg aus der Exploration und Produktion fossiler Brennstoffe zu einigen, ähnlich wie bei der Rahmenkonvention über Tabak, die 2003 unter der Schirmherrschaft der WHO ausgehandelt wurde.
Die moderne Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist nicht nur ein Akt des Umweltvandalismus. Aus gesundheitlicher Sicht ist sie ein Akt der Selbstsabotage,
sagte WHO-Präsident Tedros Adhanom Ghebreyesus [10]. Fossile Brennstoffe stellen nicht nur eine existenzielle Bedrohung für künftige Generationen dar, sondern sind auch eine Gefahr in der Gegenwart: Einer Studie zufolge starben 2018 mehr als acht Millionen Menschen vorzeitig [11] in Bezug auf fossile Brennstoffe, was 18 Prozent aller Todesfälle in diesem Jahr ausmachte.
Ira Helfand, Friedensnobelpreisträgerin und Co-Präsidentin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, sagte [12]:
Die beiden wichtigsten Probleme unserer Zeit – die Klimakrise und die Gefahr eines Atomkriegs – sind eng miteinander verwoben. Die Klimakrise führt zu mehr internationalen Konflikten und einem wachsenden Risiko eines Atomkriegs, und ein Atomkrieg wird zu katastrophalen, abrupten Klimaveränderungen führen. Die Welt muss zusammenkommen, um diese beiden existenziellen Bedrohungen zu verhindern.
Auch der renommierte Linguist und politische Analyst in den USA Noam Chomsky unterstützt die Forderung nach einem Sperrvertrag [13]:
Die Menschheit bewegt sich auf einen Abgrund zu. Wenn wir ihn erreichen, ist eine unvorstellbare Katastrophe unausweichlich. Es gibt nur ein kleines Zeitfenster, um uns selbst und die unzähligen anderen Arten zu retten, die wir mit rücksichtsloser Hingabe zerstören. Wir haben noch Zeit, uns von fossilen Brennstoffen zu befreien, aber nicht mehr viel. Entweder ergreifen wir unsere Chance, oder das menschliche Experiment auf der Erde wird ein unrühmliches Ende nehmen.
Der Inselstaat Vanuatu, der aufgrund des steigenden Meeresspiegels von Auslöschung bedroht ist, rief als erster Staat bei der UN-Generalversammlung vor einem Monat zu dem fossilen Sperrvertrag auf [14]. Jetzt solle sich die EU einen Ruck geben und sich ebenfalls auf die richtige Seite der Geschichte stellen, mahnt Tasneem Essop, von Climate Action Network International. Für Kumi Naidoo, ehemaliger Direktor von Greenpeace International, der die Initiative mit vorantreibt, auch ein politisch nahe liegender Schritt [15]:
Da ich in verschiedensten Ländern gearbeitet habe, kann ich gut einschätzen, dass die Bürger:innen Europas mehr Umweltschutz wollen, mehr als in anderen Regionen der Welt, sie aber von ihren Regierungen nicht richtig vertreten werden.
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https://www.heise.de/-7316255
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.theguardian.com/environment/2022/apr/13/historic-global-climate-plans-can-now-keep-heating-below-2c-study-shows
[2] https://www.heise.de/tp/features/Dann-leben-wir-auf-einem-anderen-Planeten-7158352.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Wollen-wir-wirklich-die-maximale-Katastrophe-7249932.html
[4] https://twitter.com/fossiltreaty/status/1583094304242688000
[5] https://fossilfueltreaty.org/european-parliament
[6] https://www.fossilfuelfreefuture.org/
[7] https://twitter.com/fossiltreaty/status/1583050801349476355?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1583050801349476355%7Ctwgr%5E8ecd8cde312a7c10aef7f0b4cb341425a01b5e79%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.commondreams.org%2Fnews%2F2022%2F10%2F20%2Fbig-win-climate-eu-parliament-backs-fossil-fuel-non-proliferation-treaty
[8] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2022-0461_EN.html
[9] https://fossilfueltreaty.org/health-letter
[10] https://www.theguardian.com/environment/2022/sep/14/fossil-fuel-non-proliferation-treaty-who-environmental-vandilism
[11] https://www.theguardian.com/environment/2021/feb/09/fossil-fuels-pollution-deaths-research
[12] https://www.theguardian.com/environment/2022/sep/14/fossil-fuel-non-proliferation-treaty-who-environmental-vandilism
[13] https://www.theguardian.com/environment/2022/sep/14/fossil-fuel-non-proliferation-treaty-who-environmental-vandilism
[14] https://fossilfueltreaty.org/vanuatu
[15] https://www.kontext-tv.de/de/Kumi_Naidoo_fossiler-sperrvertrag-koennte-klima-apartheid-ueberwinden
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