Grüne: Die erste Partei, die einen konkreten Plan zum Klimaschutz vorlegt
Daran müssen sich die anderen Parteien messen. Eine kritische Bewertung des "Klimaschutz-Sofortprogramms für die nächste Bundesregierung"
Gestern haben die Grünen unter der Überschrift "Klima retten, Menschen schützen" auf der Homepage ihrer Partei ihr "Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung" veröffentlicht, dass sie umsetzen wollen, wenn sie in einer zukünftigen Bundesregierung vertreten sind.
Dieses Programm ist ambitioniert und zeigt, dass die Grünen Ernst machen wollen mit Klimaschutz und Energiewende, und offenbar begriffen haben, dass "Politik die Kunst des Möglichen" ist. Deshalb wollen sie das Maximale herausholen, ohne zu überziehen. Das Programm umfasst zehn Punkte und beginnt mit dem Wichtigsten:
1. Erneuerbare Energien schneller ausbauen
Hier werden Ausbauziele von 12 GW Photovoltaik und 6 GW Windkraft onshore jährlich sowie 35 GW Windkraft offshore bis 2035 vorgegeben. Das ist zwar sehr ambitioniert, aber zu schaffen (siehe "Masterplan Energiewende").
Dazu kommen dann einige Vorschläge, wie Gesetze und Vorschriften geändert werden sollen, um die dauernde bürokratische Behinderung und Verschleppung der Energiewende zu beenden.
2. Den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen
Das ergibt sich ganz von selbst, wenn Punkt 1 ordentlich umgesetzt wird. Der Schutz betroffener Dörfer vor den Kohlebaggern und die Streichung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler ist in diesem Zusammenhang selbstverständlich und sinnvoll.
3. Wirtschaft und Industrie auf Klimaneutralität ausrichten
Das ist sicher notwendig. Welche Wirtschaftsförderungsmaßnahmen dann konkret getroffen werden und welche Wirkung sie letztendlich zeigen, bleibt abzuwarten. Das Problem wird, wie bei allen Wirtschaftsförderungsprogrammen, darin liegen, einerseits zielgerichtet unbürokratische Hilfe zu gewähren und andererseits Mitnahmeeffekte und Missbrauch zu verhindern.
4. Klima-Offensive bei Gebäuden und im Bausektor starten
Notwendig und sinnvoll. Ein großes Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft. Zwei Millionen Wärmepumpen sind auch gut. Allerdings muss dann auch die Stromversorgung der zwei Millionen Wärmepumpenheizungen zu jeder Zeit und unter allen Bedingungen sichergestellt werden. Versorgungssicherheit?
5. Mobilitätswende beschleunigen
Absolut notwendig. Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen, darf aber nicht mehr wie bisher zulasten der Umwelt gehen. E-Mobilität bringt aber nur etwas, wenn konsequent mit grünem Strom gefahren wird. Das Versprechen, genügend grünen Strom bereitzustellen, wird sich nur durch die konsequente Nutzung von Peak-Strom zum Laden umsetzen lassen.
6. Grünen Wasserstoff stärken
Dieser Punkt ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zielführend, da wir in den nächsten zehn Jahren allen Ökostrom zum Ersatz der fossilen Brennstoffe in der Stromerzeugung und im Verkehrssektor benötigen. Da wir dort mit dem erzeugten Strom mehr CO2 einsparen können, sollten wir ihn dort nutzen und auf die Wasserelektrolyse vorerst verzichten.
Auch die klimaneutralen Hochöfen in der Stahlindustrie sollte man hinterfragen. Wir haben in Deutschland kein Eisenerz, sind also zu 100 Prozent auf Importe angewiesen. Und ausreichend Ökostrom zur Wasserstofferzeugung haben wir auf absehbare Zeit auch nicht. Deshalb sollten wir vielleicht auf die Verhüttung von Eisenerz verzichten und lieber auf den Import von Roheisen und Stahl und von Schrott als Rohstoff für die Stahlwerke setzen.
Mit Solarwasserstoff können wir in Deutschland keine konkurrenzfähige Stahlindustrie aufbauen, da Länder wie Marokko aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung den Wasserstoff immer günstiger produzieren können als wir. Und Erz und Wasserstoff zu importieren, um hier Roheisen zu erschmelzen, macht auch wenig Sinn. Da sollte man lieber gleich das fertige Metall einkaufen.
7. Klimaschutz, Natur und Landwirtschaft zusammenbringen
Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind alle lange überfällig. Allerdings muss man aufpassen, dass unsere Landwirte mit den neuen Vorgaben leben können und nicht von ausländischen Billiganbietern, für die die deutschen Gesetze und Standards nicht gelten, niederkonkurriert werden (so wie deutsche Unternehmen in der Vergangenheit z.B. in Afrika oft die lokale landwirtschaftliche Produktion niederkonkurriert und zerstört haben).
8. Klimaschutz sozial gerecht gestalten
Diese Forderung ist absolut notwendig, allerdings sehr schwierig zu erfüllen. Es ist sicher richtig, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben und die Qualifizierungsmöglichkeiten bei Strukturwandel im SGB III zu verankern. Aber das wird die Probleme des Arbeitsplatzverlustes durch den Strukturwandel nicht lösen, weil aufgrund der immer weiteren Automatisierung immer weniger neue Arbeitsplätze geschaffen werden als wegfallen.
Das ursächliche Problem ist nicht der Strukturwandel, sondern die damit verbundenen Steigerung der Arbeitsproduktivität (die auch ohne Strukturwandel zu Arbeitsplatzverlusten führen würde). Dadurch werden nun mal viele Arbeitskräfte in der Industrieproduktion überflüssig.
Zunächst kann man sie sicher zum Teil in andere Bereiche (Pflege, Bildung, Sozialarbeit usw.), wo noch Bedarf besteht, umsetzen. Aber langfristig wird man vermutlich nicht umhinkommen, über Arbeitszeitverkürzungen und ihre Ausgestaltung nachzudenken.
Den CO2-Preis bei Wärme und Verkehr ist kontraproduktiv, weil die Menschen momentan noch auf die Nutzung der Fossilen Brennstoffe angewiesen sind und keine Alternative haben. Auch ist es sinnlos, durch ein Energiegeld ein Umverteilungssystem zu schaffen, mit dem den Bürgern das Geld rückerstattet wird, das ihnen vorher aus der Tasche gezogen wurde.
Wenn die in Punkt 1 und 4 geplanten Maßnahmen umgesetzt werden, erübrigt sich die CO2-Steuer auf Treibstoff, Erdöl, Kohle und Erdgas, denn das sind dann Auslaufmodelle, deren Ende klar ist.
9. Bundeshaushalt zum Klimahaushalt machen
Abbau umweltschädlicher Subventionen und Entbürokratisierung sind hehre Ziele. Bleibt abzuwarten, was sich davon umsetzen lässt und was an den Lobbyisten und Bürokraten scheitert. Und ein 15 Milliarden Investitionsprogramm ist gut und richtig, muss aber gegenfinanziert werden.
10. Die EU zur Klimavorreiterin machen, Klimaaußenpolitik vorantreiben
Sicher gut und richtig, aber nicht ausreichend. Klimaaußenpolitik darf sich nicht in internationalen Abkommen erschöpfen, wo irgendwelche Zusagen gemacht, Ziele vereinbart und Kompromisse geschlossen werden, die dann eingehalten werden oder auch nicht. Wir müssen uns darüber klar werden, dass wir eine Welt sind und alle mitnehmen müssen, auch die Entwicklungsländer des globalen Südens.
Wenn wir diese mit ihren Problemen allein lassen, werden sie uns damit überrollen. Das gilt für Klima- und Umweltpolitik genauso, wie für den Umgang mit den Migranten. Die "Festung Europa" ist nicht zu halten, egal, was wir anstellen.
Fazit
Insgesamt ist dies Programm der Grünen ein großer Schritt in die richtige Richtung und ausbaufähig. Allerdings bleiben einige wichtige Fragen offen.
Das beginnt mit der Netzsteuerung. In Punkt 1 werden sehr gute Ausbauziele für die regenerative Stromerzeugung vorgegeben. Aber das nützt gar nichts, wenn der Strom dann hinterher abgeregelt wird, weil er nicht eingespeist werden kann. Hier muss nachgebessert werden.
Auch werden zu dem wichtigen Thema Versorgungssicherheit keine Aussagen gemacht. Das muss unbedingt nachgeholt werden, denn diesen Aspekt darf man nicht vernachlässigen.
Und last but not least sind die Aussagen zur Finanzierung ziemlich unkonkret. Wir sind im Bundestagswahlkampf und die Bürger wollen wissen, was sie erwartet, wenn sie Grün wählen. Deshalb sollten die Kosten für alle geplanten Maßnahmen möglichst konkret genannt werden und dazu, wer sie trägt und wie das Geld aufgebracht wird. Einige Vorschläge hat der Autor an dieser Stelle bereits dargelegt.
Trotzdem sollte man den Grünen zu diesem Plan gratulieren. Sie sind damit die erste Partei, die einen konkreten Plan zum Klimaschutz vorgelegt hat.
Daran müssen sich alle anderen Parteien messen lassen. Und die genannten Mängel lassen sich auch abstellen. Dazu kommt noch, dass endlich mal ordentliche Sachpolitik im Wahlkampf geliefert wird, statt der üblichen Schmutzkampagnen und Angriffe unter der Gürtellinie um gegnerische Kandidaten persönlich zu beschädigen.