Grünen-Parteitag: "Spitzenteam" macht sich regierungsfein, Basis bockt
Änderungsanträge für das Wahlprogramm zeigen, dass Teile der Partei sich nach wie vor weit links von der Führung verorten. Letztere willl vor allem an die Schalthebel der Macht
Formell müssen die Delegierten des Grünen-Parteitags noch die Nominierung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin bestätigen. Eine mehrheitsfähige inhaltliche Alternative gibt es nicht, denn ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck tickt politisch in wesentlichen Punkten wie sie. Beide sollen auf dem Parteitag, der an diesem Freitag beginnt, auch als "Spitzenteam" für den Wahlkampf bestätigt werden - und sie wollen, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung ausdrückt, einen "Linksschwenk" verhindern.
Baerbocks persönliche Glaubwürdigkeit sieht die Bundestagsfraktionschefin ihrer Partei, Katrin Göring-Eckardt, im Gegensatz zu manchen Medien auch nicht durch einen suggestiv aufgehübschten Lebenslauf beschädigt. Fehler seien menschlich, erklärte Göring-Eckardt am Freitag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Baerbock hatte nach Agenturberichten bereits am Dienstag Fehler eingeräumt: "Meinen Lebenslauf habe ich knapp und komprimiert veröffentlicht und dabei unwillentlich einen missverständlichen Eindruck erweckt, den ich nicht erwecken wollte." Unter anderem hatte sie den Eindruck erweckt, als Büroleiterin der grünen Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter von 2005 bis 2008 in Brüssel gearbeitet zu haben. Tatsächlich hatte Baerbock aber von 2005 bis August 2007 in den Büros in Berlin und Potsdam gearbeitet, erst danach wechselte sie nach Brüssel und Straßburg. "Das war Mist", sagte Baerbock mit Blick auf die nun korrigierte Angaben.
Grünen-Generation Baerbock
Dass eine Bilderbuchkarriere mit möglichst längeren Auslandsaufenthalten - und dann noch ausgerechnet in Brüssel, das oft mit bürgerferner EU-Bürokratie in Verbindung gebracht wird - bei den Grünen eine solche Rolle spielt, zeigt jedenfalls, wie sehr sie im Establishment angekommen sind. Der erste grüne Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer war einer der profiliertesten Wegbereiter dafür, hatte aber selbst wenig formale Bildung und kaum eindrucksvolle Jobs in jungen Jahren vorzuweisen. Er hatte sich unter anderem als Gasthörer ohne Abitur an Universitäten geschult.
Im Gegensatz zu dem heute 73-jährigen gehört die 40-jährige Annalena Baerbock zu einer schon weitgehend streberhaft geprägten Grünen-Generation - und zu einer Akademikergeneration, der die "Bologna-Reform" in die Parade fuhr: Ihr deutsches Vordiplom war allerdings eine akzeptierte Zugangsvoraussetzung für das britische Master-Studium. Dieses Thema und ihr Lebenslauf insgesamt beschäftigten in den letzten Wochen zahlreiche Medien.
Darüber dürfte es allerdings auf dem Parteitag weniger Debatten geben als über manche der zahlreichen Änderungsanträge zum Bundestags-Wahlprogramm der einstigen Friedens- und Umweltpartei, das sich noch im Entwurfstatus befindet. Teile der Parteibasis wollen beispielsweise einen höheren Mindestlohn und einen bundesweiten Mietendeckel im Wahlprogramm durchsetzen. Derlei Forderungen würden aber entweder die Koalitionsmöglichkeiten einschränken oder müssten in Koalitionsverhandlungen so schnell verworfen werden, dass der Vorwurf der Wählertäuschung im Raum stünde.
In einem der Anträge fordert Jakob Blasel, ehemals Kader der Jugendbewegung Fridays for Future, sowohl eine höhere CO2-Bepreisung als auch einen entsprechend höheren Sozialausgleich in Form des Energiegeldes. Der CO2-Preis im kommenden Jahr soll demnach 80 Euro pro Tonne betragen und nach 2023 jährlich um 15 Euro steigen. Die Parteispitze hat 60 Euro vorgeschlagen und damit bereits eine hitzige Debatte ausgelöst und dadurch wohl auch Sympathien verloren, da kaum damit zu rechnen ist, dass sich der Sozialausgleich in einer Koalition mit den Unionsparteien durchsetzen ließe - noch dazu aus der Position des Juniorpartners. Auf diese Variante könnte es aber nach der Wahl hinauslaufen.
Absturz in Umfragen
Aktuell wirft Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Grünen vor, mit ihrer Vorstellung vom Klimaschutz Besserverdienende zu begünstigen und kein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. Nach der Wahl werden aber möglicherweise Unionsparteien und Grüne nicht aneinander vorbeikommen. Für eine "grün-rot-rote" Koalition reicht es nach aktuellen Umfragen schon rechnerisch nicht - abgesehen davon hat der Grünen-Ko-Chef Habeck ein Bekenntnis zur Nato zur Bedingung für mögliche Koalitionspartner gemacht. Die Partei Die Linke ist dazu nicht bereit, würde aber im Gegensatz zu anderen Parteien die sozialen Forderungen von Teilen der grünen Basis mittragen.
Im ARD-Deutschlandtrend sind die Grünen zuletzt wieder auf den zweiten Platz hinter der Union gerutscht. Im Gegensatz zum Vormonat verloren sie sechs Prozentpunkte und liegen aktuell bei 20 Prozent. Die Unionsparteien konnten sich dagegen um fünf Prozentpunkte verbesser und liegen bei 28 Prozent.
Habeck warnte die Delegierten im Vorfeld des Parteitags vor in dieser Hinsicht unrealistischen Forderungen. "Der Wahlkampf ist ein sehr besonderer. Da sollte möglichst wenig schiefgehen". sagte Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Was wir beschließen, sollte umsetzbar sein. Wenn wir wissen, dass etwas nicht klappen kann, sollten wir es nicht beschließen." Er betonte, Grünen wollten regieren - und sie seien "ambitioniert bis zum Anschlag, aber nicht darüber hinaus", sagte Habeck. "Wir sind pragmatisch und spielen nicht Wünsch-Dir-was."