Gysi zur Krise der Linken: "Abgeordnete werden ohne Sahra keine Konsequenzen ziehen"

War schon einmal ein Abschied für Gregor Gysi: 2015 als Fraktionsvorsitzender. Bild: Linksfraktion, CC BY 2.0

Der ehemalige Fraktionsvorsitzende zum wohl bevorstehenden Bruch der Linken, den Konflikt zwischen sozialer Frage und Genderpolitik sowie seine Perspektive.

Der wohl bevorstehende Bruch der Linkspartei, Manöverkritik und natürlich die eigene Perspektive sind Themen dieses Interviews mit Gregor, das Telepolis erstmals frei zugänglich in voller Länge veröffentlicht. Maximilian Beer von der Berliner Zeitung hat den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden zum Schicksal der Partei befragt, die er lange mitgeprägt hat.

Das Interview ist Teil einer gemeinsamen Recherche der Berliner Zeitung und Telepolis, in deren Rahmen in beiden Medien im August bereits ein ausführlicher Text zu den Plänen des Wagenknecht-Lagers erschienen war.

Gysi selbst hatte kürzlich angekündigt, seinen Posten als außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion abzugeben – er will sich künftig einer Enquete-Kommission für die Aufarbeitung der Corona-Politik widmen. Das Interview wurde in Gysis Berliner Abgeordnetenbüro geführt.

Herr Gysi, Ihre Partei, in die Sie so viel investiert haben, steht kurz vor der Spaltung. Muss man sich Gregor Gysi dieser Tage als traurigen Mann vorstellen?

Gregor Gysi: Nein, das nicht. Erstens war ich auch in anderen Krisen meiner Partei nie traurig, höchstens angespannt. Und zweitens ist die Linke nicht mein Lebenswerk. Wobei es mich natürlich freut, dass die deutsche Wiedervereinigung eine politische Kraft links der SPD im Bundestag ermöglichte.

Meine Aufgabe war aber eine andere: Ich musste die Interessen derjenigen aus der DDR vertreten, die die Einheit nicht wollten. Derjenigen, die wussten, dass aus ihnen nichts wird. Und der ganz vielen, die dachten, dass aus ihnen etwas wird, aber später enttäuscht wurden. Ich musste auch Druck machen, dass diese Leute selbstkritisch ihre Biografien aufarbeiten und zugleich ihren Weg in das vereinigte Deutschland finden.

Ist Ihnen das gelungen?

Gregor Gysi: Es war schwer und brauchte mehr Zeit, als ich gedachte hatte. Aber ja, es ist mir gelungen.

Das sagen Sie als Linker, während die AfD im Osten ihre Umfragewerte feiert. Woran machen Sie Ihren Erfolg fest?

Gregor Gysi: Weil sich die meisten dieser Menschen mittlerweile auf die deutsche Einheit eingestellt haben. Sie haben ihren Platz gefunden. An einer grundlegenden Unzufriedenheit über den Weg dorthin ändert das aber tatsächlich nichts.

Ist Sahra Wagenknecht allein schuld an dieser existenziellen Krise der Linken? Bei einigen Äußerungen Ihrer Parteifreunde könnte man das glauben.

Gregor Gysi: Ach, Quatsch. Nichts liegt allein an einer Person. Es gibt sehr viele junge Parteimitglieder, die natürlich einen ganz anderen Bezug zur Linken haben als die älteren. Da gab es zu wenig Verständigung, was an beiden Seiten liegt. Und es gab in den vergangenen Jahren auch zu wenig Interesse an den Interessen und Sorgen der Arbeitnehmer, von Angestellten etwa. Derweil haben wir uns vor allem auf Hartz-IV-Empfänger konzentriert, auf Obdachlose und Flüchtlinge. Das ist alles berechtigt. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass der Kern der Interessenvertretung bei den Arbeitnehmern liegt. Man muss Einladungen von Gewerkschaften bekommen, zu Streiks. Das ist weniger geworden.

Und das liegt an den jungen Leuten in Ihrer Partei?

Gregor Gysi: Das liegt an uns allen. Besonders stört mich aber, dass wir den Osten zunehmend vernachlässigt haben. Das lag an der Fusion von PDS und WASG und dass man dachte, wir müssten die Linkspartei zuallererst im Westen aufbauen. Das ist nur begrenzt gelungen, wobei, immerhin sind wir in Bremen in der Regierung. Insgesamt haben wir uns einigermaßen etabliert, was aber auch Nachteile hat. Denn die Menschen, die sich heute ausgegrenzt fühlen, wählen vor allem die AfD.

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