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Seite 2: Die klassische Trias: Bild, Sprache, Schrift

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Traditionell(5) werden in der Philosophie Sprache und Schrift als abstrakte und arbiträre Zeichensysteme dem Bild als konkretem und natürlichem Abbildungsmedium entgegengesetzt. Dabei kommt dem Bild ein eigentümlich ambivalenter Status zu. Einerseits erscheint es in der von Platon bis Hegel reichenden Tradition als eine Nachbildnerei der Erscheinung(6) , d.h. als potenzierter Schein. Dem scheinhaften Bild werden dabei die vermeintlich scheinresistenteren Medien der Sprache und der Schrift gegenübergestellt. Andererseits fungiert das Bild im Hauptstrang der westlichen Tradition, in dem Erkennen als Abbilden und Wahrheit als adaequatio(7) gedacht wird, als positives Leitmodell.

Sprache wird seit Aristoteles als Werkzeug der arbiträren Bezeichnung von wirklichkeitsabbildenden mentalen Bildern(8) (Vorstellungen), die "bei allen Menschen dieselben sind", interpretiert. Entsprechend wird die Schrift zu einem tertiären Supplement degradiert. Als phonetische dient sie dieser Tradition zufolge dazu, die lautlichen Zeichen der gesprochenen Sprache zu materialisieren und speicherbar zu machen. Das Ideal, dem dabei Sprache und Schrift gleichermaßen unterworfen werden, ist das am Modell des Bildes abgelesene Verfahren einer adäquaten und interpretationsneutralen Wiedergabe(9) . Wo die Sprache und die Schrift dieses Ideal nicht zu erfüllen vermögen, geraten sie in die dem Täuschungsverdacht ausgesetzte Position, in der sich im X. Buch der platonischen Politeia das Bild befindet. Diese Konstellation hat Jacques Derrida in der Grammatologie(10) herausgearbeitet und zu dekonstruieren versucht.

In der von Derrida, Goodman, Rorty u.a. angestoßenen neueren Diskussion werden Bilder nicht länger in der Abgrenzung von Zeichen, sondern selbst als Zeichensysteme aufgefaßt, die nach dem Modell von Sprache und Schrift zu analysieren sind. Dabei werden jedoch häufig bestimmte traditionelle Voraussetzungen festgehalten. So wird zumeist angenommen, daß die Differenz zwischen sprachlichen, schriftlichen und piktorialen Zeichen eine Differenz(11) sei, die in der semantischen und/oder syntaktischen Struktur der jeweiligen Zeichensysteme begründet ist. Diesen Annahmen steht die auf den späten Wittgenstein zurückgehende These entgegen, daß ein Zeichen erst durch seinen Gebrauch(12) als Laut, als Buchstabe oder als Bild bestimmt wird. Gerade unter den Bedingungen einer Gebrauchstheorie des Zeichens wird dann allerdings von verschiedenen Autoren weiterhin darauf insistiert, daß es eine einheitliche Art und Weise der Verwendung von etwas als Bild, als Sprache oder als Schrift gebe. Dieser Ansicht liegt die Vorstellung zugrunde, daß bestimmte Merkmale des Gebrauchs namhaft zu machen seien, die alle `Bildspiele`, `Sprachspiele` bzw. `Schriftspiele` als Bildspiele, Sprachspiele bzw. Schriftspiele auszeichnen. Diese durchgängigen Merkmale sollen es erlauben, die unterschiedlichen Zeichenspiele intern einheitlich zu definieren und die verschiedenen Zeichensorten gebrauchstheoretisch(13) sauber voneinander zu scheiden.

Dem ist entgegenzuhalten, daß es bei einer konsequenten Durchführung der pragmatischen Gebrauchstheorie des Zeichens naheliegt, davon auszugehen, daß wir es jeweils mit komplexen Bündeln von Bild-, Sprach- und Schriftspielen zu tun haben, die auch auf der gebrauchstheoretischen Ebene kein einheitliches Merkmal aufweisen, das allen Elementen der jeweiligen Menge gemeinsam ist. Bereits Wittgenstein hat zur Beschreibung komplexer Verflechtungsverhältnisse dieser Art die Metapher der Familienähnlichkeiten(14) eingeführt.

Zur internen Verflechtung von Bild, Sprache und Schrift kommt die externe Verflechtung, die das Verhältnis der drei Zeichensorten zueinander bestimmt. So wenig ein durchgehendes Wesensmerkmal aufzeigbar ist, das Bilder als Bilder, Sprache als Sprache und Schrift als Schrift definiert, so wenig lassen sich feste Trennungslinien zwischen den unterschiedlichen Zeichentypen fixieren. Bilder, Laute und Buchstaben sind immer relativ auf und in Abhängigkeit von den Medien im engsten Sinn, die den Rahmen ihres Gebrauchs abstecken, voneinander abgegrenzt bzw. miteinander verflochten. Das bisherige Mediensystem, in dem audiovisuelle Medien und Printmedien deutlich voneinander geschieden waren, legte strikte Grenzziehungen zwischen den Zeichensorten nahe. Das multimediale Zeichengeflecht des World Wide Web(15) hebt diese Trennungen auf und definiert die Relationen neu.