Haben Menschen mit akademischem Doktorgrad die größten Impfzweifel?

Foto: Michal Jarmoluk/Pixabay

Neue Studie der Carnegie Mellon University und University of Pittsburgh über Zurückhaltung gegenüber der Coronavirus-Impfung befeuert Kritik von Impfgegnern

Am 23. Juli lud das Forscherteam um die Epidemiologin Wendy C. King von der University of Pittsburgh und die Statistikerin Robin J. Mejia eine Studie auf medRxiv hoch. Die zur Veröffentlichung eingereichte, aber noch nicht begutachtete Forschungsarbeit beruht auf über fünf Millionen Antworten. Die teilnehmenden Amerikanerinnen und Amerikaner haben vom Januar bis Mai 2021 Angaben über ihre Impfbereitschaft gemacht.

Diese Studie wurde am 11. August von der US-Newsseite UnHerd aufgegriffen. Diese titelte: "Welche Gruppe zögert am ehesten, sich impfen zu lassen? PhDs". Das erweckte den Eindruck, Menschen mit akademischem Doktorgrad hätten die größten Zweifel an den Impfungen gegen das Coronavirus. Das wurde auch mit den folgenden Daten veranschaulicht:

Abbildung Zurückhaltung Mai 2021. Beschreibung: Zurückhaltung gegenüber der Impfung im Mai 2021 nach Bildungsgrad. Mit "Professional" sind Abschlüsse wie ein Dr. iur. oder ein Master of Business Administration gemeint. Bei 13,3 Prozent fehlte die Angabe zum Bildungsgrad. Quelle: Studie von Wendy C. King und Kollegen

Demnach wären sogar Menschen mit dem niedrigsten Bildungsgrad weniger zurückhaltend eingestellt als die mit dem höchsten. Bis zum Masterabschluss würde die Zurückhaltung abnehmen, um sich dann bis zum Doktor beinahe zu verdreifachen. Wenig überraschend wurde UnHerds Schlagzeile sofort von Impfgegnern aufgegriffen. Was steckt dahinter?

Die Studie im Detail

Für die Studie sollten die Teilnehmer die folgende Frage beantworten: "Wenn Ihnen heute eine Impfung zur Verhinderung von Covid-19 (Coronavirus) angeboten würde, würden Sie sich dann für die Impfung entscheiden?" Wer hierauf mit "wahrscheinlich nicht" oder "definitiv nicht" antwortete, der wurde zur zurückhaltenden Gruppe gezählt. Wie bei solchen Studien üblich, fragte man die Teilnehmer noch nach dem Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, ethnischer Herkunft und so weiter.

Die Studie zeigt erst einmal ganz allgemein, dass im Laufe der Zeit die Zurückhaltung gegenüber der Impfung, rund ein halbes Jahr nach der Zulassung in der USA, stetig abnahm. Wenn man sich den Zeitverlauf für die Gruppen mit dem niedrigsten und höchsten Bildungsabschluss vergleicht, ergibt sich folgendes Bild:

Abbildung: Zeitverlauf. Beschreibung: Zurückhaltung gegenüber der Impfung im zeitlichen Verlauf für die Gruppe mit dem niedrigsten (blau, max. High School) und höchsten (rot, PhD) Bildungsgrad. Quelle: Studie von Wendy C. King und Kollegen

Jetzt sieht man, dass die Zurückhaltung bei Personen mit dem niedrigsten Bildungsgrad von knapp 35 Prozent im Januar auf fast 20 Prozent im Mai abnahm, während bei denjenigen mit akademischem Doktorgrad konstant 23 bis 24 Prozent zurückhaltend gegenüber der Impfung blieben. Im April 2021 lagen die beiden Gruppen in etwa gleichauf, im Mai drehte sich der vorherige Unterschied dann leicht um.

Wer nur auf den Endpunkt schaut, wie UnHerd, verkürzt diesen Sachverhalt. Zudem muss man bedenken, dass die Daten - vor allem von Facebook-Nutzern - nicht repräsentativ sind. Die Gruppe der Promovierten macht auch nur rund zwei Prozent der Antworten aus, ist also sehr klein.

Das ändert aber nichts daran, dass laut der Studie Personen mit dem höchsten Bildungsstand der Impfung durchaus zurückhaltend gegenüberstanden: Zwar war es mit 23 bis 24 Prozent nur eine Minderheit, doch diese blieb stabil im Verlauf der Zeit.

Starke Unterschiede ergeben sich übrigens, wenn man den ethnischen Hintergrund ("race and ethnicity") berücksichtigt. Für die Gruppe der 18- bis 34-Jährigen zeigen die Forscher, dass die Zurückhaltung bei den Asiaten schon im Januar nur bei knapp über zehn Prozent lag und bis Mai auf knapp unter fünf Prozent fiel. Bei Farbigen lag sie am Anfang bei knapp 60 Prozent und halbierte sich auf knapp unter 30 Prozent. Bei den Weißen sank sie von knapp über 30 Prozent auf leicht unter 25 Prozent.

Insgesamt waren ältere Menschen am wenigsten zurückhaltend gegenüber der Impfung. Das galt über alle ethnischen Gruppen hinweg, mit zwei Ausnahmen: Die asiatischstämmigen Teilnehmer waren generell kaum zurückhaltend; und bei den Hispanos war die Gruppe der Über-74-Jährigen ein Ausreißer, da hier mehr Personen Zurückhaltung gegenüber der Impfung angaben als in allen anderen Altersgruppen.

Das Forscherteam hat auch die Gründe für die Antworten erhoben. Diese sind aber nicht nach Bildungsstand aufgeschlüsselt. Insgesamt wurden Bedenken wegen der Nebenwirkungen am häufigsten genannt. Danach folgten Zweifel am Impfstoff und Zweifel an der Regierung. Diese wurden am häufigsten von der Teilgruppe genannt, die sich "definitiv nicht" impfen lassen würde. Diejenigen, die sich nur "wahrscheinlich nicht" impfen lassen würden, wollten mehrheitlich noch abwarten, bis man mehr über die Sicherheit wisse.

Kommentar

Groß angelegte epidemiologische Studien vermitteln ein breites quantitatives Bild, gehen dafür aber nur kaum in die Tiefe. Die Ergebnisse zeigen jedoch, jedenfalls für die USA, dass unterschiedliche Meinungen zu den Impfungen nicht nur mit dem Bildungsgrad zu tun haben.

Ob sich jemand für oder gegen eine Impfung entscheidet, liegt an vielen Faktoren. Bei einer Kosten-Nutzen-Abwägung spielt nicht nur das Vertrauen in die Sicherheit des Impfstoffs eine Rolle, sondern auch, für wie gefährlich jemand die Erkrankung hält, gegen die der Impfstoff schützen soll.

Eine genaue Erklärung der Unterschiede zwischen den Personen mit niedrigerem und höherem Bildungsstand gibt die vorliegende Studie nicht her. Könnte es vielleicht daran liegen, dass Menschen mit Doktorgrad sich den Arbeitsplatz freier auswählen und eher im sicheren Home-Office arbeiten können?

Dieser Vermutung würden die Studiendaten eher widersprechen: Die Zurückhaltung bei den Teilnehmern, die zu Hause arbeiteten, war im Mai mit nur 8,5 Prozent nämlich sehr niedrig, gegenüber 12,7 Prozent bei denen, die nicht, und 21,2 Prozent bei denen, die außer Haus arbeiteten. Einen deutlichen Unterschied machte es aber, ob jemand in einem Ballungsgebiet (11,7 bis 16,8 Prozent) oder in einer Kleinstadt beziehungsweise ländlichen Region lebte (21,0 bis 27,4 Prozent Zurückhaltung).

Das Forscherteam meint selbst, dass die Einstellung der Teilnehmer mit akademischem Doktorgrad näher untersucht werden müsste. Es ist aber auch schon länger bekannt, dass beispielsweise Menschen mit höherer Bildung tendenziell eher (auch) alternativmedizinische Angebote nutzen (Ein Plädoyer für Pluralismus in der Medizin). Solche Befunde zeigen, dass man diejenigen, die sich nicht oder nicht gleich impfen lassen wollen, nicht einfach als Dummköpfe darstellen kann.

Auffällig ist, dass bei den Menschen mit größerer Zurückhaltung und dann vor allem denen, die sich "definitiv nicht" Impfen lassen wollen, Misstrauen gegenüber der Regierung eine große Rolle spielt. Dabei kann man sicherlich auch an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Europa denken.

Der ARD-Deutschlandtrend vom 5. August zeigte zwar, dass 87 Prozent eher für die Impfungen beziehungsweise bereits geimpft sind; bei den restlichen 13 Prozent sollte man aber aufpassen, dass sie nicht aus dem Boot fallen und dann für Argumente nicht mehr erreichbar sind. Das würde wohl nachhaltig zu immer größerem Widerstand führen.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder". Stephan Schleim, PhD, M.A.