Hamas: 14.000 Raketen - die Rolle Irans
Die Islamische Republik unterstützt die Hamas, politisch und beim Bau der Raketen und Drohnen. Doch erklärt das allein nicht den Israel-Gaza-Krieg
Die Rede vom komplizierten Nahen Osten kommt nicht von ungefähr. Wenig ist so einfach, wie es Kommentare und Diskussionsbeiträge haben wollen. So gibt es etwa die Frage, wie es kommen kann, dass die legendären israelischen Geheimdienste von dem enormen Raketenarsenal überrascht waren, das im gegenwärtigen Krieg als Novum herausgestellt wird.
Nahost-Kenner verweisen auf das Naheliegende, dass die israelischen Geheimdienste sehr wohl über die Raketen-Fähigkeiten der Hamas Bescheid wussten. Aber die israelische Führung war allem Anschein nach über die Wucht der Hamas-Reaktion auf die Ereignisse in Jerusalem überrascht. Anders gesagt, man war im Bilde, dass die Hamas rüstungstechnisch für einen Raketenangriff vorbereitet war, aber der Zeitpunkt überraschte.
Durch die innenpolitische Krise, die laufende Regierungsbildung, dazu Probleme, die es zwischen Netanjahu und dem Sicherheitsapparat gibt, lief die Kommunikation nicht so direkt und reibungslos, wie es hätte sein sollen. Die Geheimdienstbriefings hatten durch die Unsicherheit darüber, wer die Regierungsverantwortung künftig haben wird, mit besonderen Schwierigkeiten zu tun.
Das große Feindbild Iran
Besondere Schwierigkeiten tun sich auch in der "Exit-Frage" auf: Wie soll der Konflikt mit der Hamas geklärt werden?
Die letzten Jahre gab es keine offiziellen Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der Hamas. Unter Netanjahu wurde das Thema auf die Seite gedrängt, bis auf Weiteres verschoben; man verließ sich auf die Fatah, auf den alten Abbas. Und setzte auf das große Feindbild Iran.
Das liefert auch gegenwärtig einen hauptsächlichen Teil der Erklärung für die militärischen Erfolge der Hamas und der mit ihnen verbündeten islamistischen Milizen. Schaut man sich etwa die Analysen von Seth J. Frantzman, einem Journalisten der Jerusalem Post, der sich mit Drohnen-Kriegen beschäftigt, oder des Raketenexperten Tal Inbar an, so wird dort betont, wie sehr Iran mit der technischen und strategischen Unterstützung der Hamas im gegenwärtigen Konflikt im Spiel ist.
Inbar weist auf Gemeinsamkeiten in der Bauart der Hamas-Raketen mit iranischen Shahab-Raketen hin und Frantzman auf Kamikaze-Drohnen der Hamas, die er mit der iranischen Drohnen-Technologie in Zusammenhang bringt.
"Iran ist clever. Es wird seine eigenen Drohnen nicht exportieren, aber die Führung ist sehr schlau darin, das Knowhow so zu verpacken, dass die Drohnen nachgebaut werden können. Jetzt war die Hamas offensichtlich in der Lage, die Entwürfe zu kopieren, um ihre eigene Version im eigenen Land herzustellen, was ihre Bedrohung für Israel dramatisch erhöht. Machen Sie sich nichts vor: Das ist das Äquivalent dazu, dass ein Staat einer Terrorgruppe Panzer oder Flugzeuge schickt." Seth Frantzman
An der waffentechnischen und politischen Unterstützung der Hamas durch Iran gibt es keine Zweifel, das wird nicht nur in israelischen Medien angesprochen.
Dass Iran seit einiger Zeit bei der Produktion der Raketen geholfen hat, davon berichtet auch der Hamas-Vertreter in Teheran, Khaled al-Qaddumi. Qaddumi spricht explizit von Wissenstransfer, Expertise und der Hilfe der Islamischen Republik Iran bei der Herstellung von Raketen, betont aber die Rolle der "Ingenieure der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen" bei der Herstellung der Raketen (siehe dazu den Werbe-Clip der Hamas).
Dass sich hohe iranische Vertreter in diesen Tagen mit Hamas-Vertretern getroffen und auf Fotos brüderlich präsentiert haben, dürfte niemanden überrascht haben und ist auch ein eindeutiges Front-Signal in Kriegszeiten.
Etwa 14.000 Raketen sollen die Militanten in Gaza laut israelischen Schätzungen im Arsenal haben. Man wartet noch auf Analysen, warum es der israelischen Armee so lange Zeit nicht möglich war oder ist, die Produktion und den Abschuss vieler Raketen effektiv zu unterbinden. Täglich wurden mehrere Hundert Raketenbeschüsse auf Israel gemeldet. Viele, die auf Wohngegenden zielten, wurden erfolgreich vom Iron Dome abgefangen, berichtet Frantzman für die Jerusalem Post.
Die Türkei
Der gegenwärtige Krieg führt dazu, dass sich die unterschiedlichen Seiten schärfer positionieren. Sehr deutlich zu sehen ist das auch an den Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan gegen israelischen Angriffe im Gazastreifen, das andere Nato-Mitglieder vor den Kopf stoßen wird und die Frage, wie sich Deutschland gegenüber der türkischen Politik verhalten soll, neuen Zündstoff geben wird.
Erdogan hat sich nun auch zur Jerusalem-Frage in einer Weise geäußert, die die Spannungen zwischen der Türkei und Israel nicht beruhigen wird. Das kennt man zwar schon seit vielen Jahren, angesichts der Spannungen im Gasstreit im Mittelmeer, bei dem auch Israel eine Partei ist, kommt dem aber gegenwärtig eine neue Brisanz zu.
Eskalation und Rhetorik
Es ist ein Spiel mit dem Feuer, dessen schneller Umschlag in die Eskalation der Krieg im Kerngebiet des Nahost-Konflikts vor Augen führt, die Rhetorik spielt dabei keine geringe Rolle. Weswegen auch darauf zu achten ist, welche Rolle man Iran zuschreibt. Die Unterstützung der Hamas und anderer extremistischer Islamisten ist die eine Seite, die andere ist es, zu unterstellen, dass Iran die Hamas zum Krieg angestiftet hat.
Dem widersprechen die Interessen Irans, dem an einer Aufhebung der Sanktionen im Zuge der JCPOA-Verhandlung gelegen ist. Dass sich die Hisbollah bisher rational genug verhält, um den Krieg nicht auszuweiten, spricht ebenfalls nicht dafür, dass Iran an einem Krieg gelegen ist.
Man muss in solchen Zeiten auf Unterschiede achten. Netanjahus Rhetorik oder die des US-Think-Tanks FDD, die beide nicht müde werden, die iranische Verantwortung für kriegerische Aggressionen im Nahen Osten herauszustellen und sie monothematisch in den Blick zu nehmen, entspricht einer politischen Agenda.
Wie auch der Umgang mit den Palästinensern durch die Regierung Netanjahu, der dazu beigetragen hat, dass es zur gegenwärtigen Situation gekommen ist, die hoffentlich bald in einer Waffenruhe mündet. Aber nicht in einem entscheidendem militärischem Sieg über die Hamas. Längerfristige Lösungen ohne Verhandlungen mit der Hamas stehen nicht in Aussicht. Obschon auch wissenschaftliche Analysen für Verhandlungen sprechen.
Verschwinden wird die Hamas aber auch nicht. Und die Fatah als Lösung geht auch nicht, solange ein Abbas unrechtmäßig an der Macht ist und jede Wahl verschieben lässt. Es ist ein Führer ohne große Unterstützung in der palästinensischen Bevölkerung.
Den blutigen, leidvollen und bitteren Preis für die bisherige Politik zahlt die Zivilbevölkerung.