Hamas-Unterstützer in Deutschland – Streit um Erdogan-Besuch

Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim Nato-Gipfel in Vilnius. Dati Bendo/European Commission / CC0 1.0

Türkischer Präsident sagt vor Massenpublikum Dinge, die hier zu Demoverboten führen würden. Er ist jedoch Nato-Partner. Seine Lobby in Deutschland hält sich bedeckt.

Was tun, wenn der Staatschef eines Nato-Partnerlandes offen mit einer bewaffneten Gruppe sympathisiert, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt? - Diese Frage wird gerade im Zusammenhang mit dem geplanten Erdogan-Besuch in Deutschland diskutiert.

Politiker mehrerer Parteien fordern seit Wochen ein härteres Durchgreifen gegen weniger prominente Anhänger der islamistischen Hamas, nachdem solche teils offene Freude über deren Terrorangriff unter dem Namen "Al-Aksa-Flut" und die Morde an größtenteils unbewaffneten Israelis vom 7. Oktober gezeigt oder zumindest von einem "legitimen Befreiungskampf" gesprochen haben.

Während der israelische Gegenangriff inzwischen auch tausende zivile Opfer aus der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen gefordert hat, treibt die Sorge um Angehörige auch Menschen ohne inhaltliche Sympathie für die Hamas auf die Straße. Für einige Tage waren sämtliche Demonstrationen gegen die Bombardements in der deutschen Hauptstadt verboten, eine legale Demonstration am Samstag in Berlin mit mehr als 10.000 Beteiligten stand unter scharfer Beobachtung.

Schnellere Abschiebungen werden als Mittel der Wahl gegen Antisemiten ohne deutsche Staatsbürgerschaft gepriesen. Unterdessen wird mit Recep Tayyip Erdogan aber ein weltbekannter Hamas-Sympathisant zum Staatsbesuch in Deutschland erwartet.

Gerade erst hat der türkische Präsident von seinem Veto gegen den schwedischen Nato-Beitritt Abstand genommen, nachdem das skandinavische Land seine Innenpolitik den Vorstellungen in Ankara angepasst und die Daumenschrauben für kurdische Aktivisten im Exil angezogen hat.

Durch die Muslimbruderschaft verbunden

Nun zeigt Erdogan als Oberbefehlshaber der zweitgrößten Nato-Armee nicht zum ersten Mal offen seine Sympathie für die Hamas – den palästinensischen Arm der Muslimbruderschaft, für deren Ziele sich die türkische Regierungspartei AKP bekanntermaßen einsetzt. Diese ideologische Verbundenheit war nie ein Geheimnis; auch Besuche des Hamas-Führers Ismail Hanija in der Türkei waren es nicht.

Beides irritiert aber hierzulande seit den Hamas-Massakern an israelischen Zivilpersonen vom 7. Oktober breitere Kreise als vorher. Kurz vor einer Pro-Palästina-Massenkundgebung am Samstag in Istanbul hatte Erdogan die Hamas als "Befreiungsorganisation" bezeichnet. Seine geplante Reise nach Israel wurde kurz darauf abgesagt. Das israelische Außenministerium zog sogar seine Diplomaten aus der Türkei ab.

Das Bild von der Nato als "Wertegemeinschaft" ist seither in größeren Teilen der Medienlandschaft angekratzt. "Das kann die Nato nicht länger akzeptieren", heißt es in einem Kommentar der Zeit. "Herr Bundeskanzler, empfangen Sie diesen Antisemiten nicht", forderte vor zwei Tagen Deniz Yücel in der Tageszeitung Die Welt mit Blick auf den geplanten Erdogan-Besuch. Dem schloss sich sinngemäß auch der Junge-Union-Chef Johannes Winkel an. Erdogan sei "in erster Linie Islamist", betonte er im Gespräch mit der Bild.

Erdogans Lobby-Verband in Deutschland zögert mit Positionierung

Kritisiert wird auch das Verhalten der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion in Deutschland: In NRW haben sich Landesregierung und muslimische Verbände in einer gemeinsamen Erklärung gegen den Hamas-Terror ausgesprochen. Doch wie es aussieht, gab die Ditib den Text bisher wohl nicht an ihre Communities weiter.

Und Ditib ist nicht irgendein Moscheeverband, sondern einer, der Wahlkampfveranstaltungen für die türkische Regierungspartei auch in Deutschland organisiert: 124 AKP-Abegordnete besuchten vor der letzten Türkei-Wahl Ditib-Moscheen im europäischen Ausland– diese Angaben stammen vom AKP-Lobbyverband UID.

Gestaltungsspielraum der Nato-Partnerschaft

Erdogan, dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Mai zur Wiederwahl gratulierte, wird Mitte November in Deutschland erwartet.

Deutschland und die Türkei sind enge Partner und Alliierte - auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sind wir stark miteinander verbunden. Gratulation an Präsident Erdogan zur Wiederwahl. Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 28. Mai 2023

Gegen frühere Staatsbesuchen des türkischen Präsidenten hatten vor allem kurdische und türkische Linke auf der Straße protestiert – was auch dieses Mal wieder zu erwarten wäre. Deutsche Ausfuhrgenehmigungen für Waffenlieferungen an die Türkei könnten nun nicht mehr nur auf diesen Demonstrationen grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion wurden im vergangenen Jahr vom 1. Januar bis zum 26. September elf Einzelgenehmigungen mit einem Gesamtwert von 3.941.498 Euro für die Lieferung von Rüstungsgütern in die Türkei erteilt. Dies war wohl auch durch die veränderten Prioritäten im ersten Jahr des Ukraine-Kriegs schon ein erheblicher Rückgang im Vergleich zu manchen Vorjahren.

Ein endgültiger Lieferstopp an die Türkei für die Dauer von Erdogans Präsidentschaft wäre ein mögliches Druckmittel. Denn ein Ausschluss aus der Nato ist in deren Statut nicht vorgesehen, selbst wenn die Mitgliedsstaaten mehrheitlich dafür wären.