Hass im Netz vertreibt Menschen aus der Politik

Eine junge Frau schaut auf ihr Handy und ist erschrocken über die zahlreichen Drohungen.

(Bild: Roman Samborskyi / Shutterstock.com)

Politisches Engagement wird zunehmend zur Mutprobe in Deutschland. Eine neue Studie der TU München zeigt das erschreckende Ausmaß digitaler Attacken.

Die Demokratie lebt nicht nur davon, dass Bürger wählen dürfen, sondern auch davon, dass sie Mandate in politischen Gremien übernehmen wollen. Doch manche sind inzwischen dazu nicht mehr bereit. Der Grund: Das Ausmaß an Beleidigungen und Bedrohungen im digitalen Raum hat das erträgliche Maß überschritten.

Eine aktuelle Studie der Technischen Universität München (TUM) in Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation HateAid zeigt: Der Mehrheit der politisch aktiven Menschen in Deutschland gehören Beleidigungen, Morddrohungen, Ankündigungen von Vergewaltigungen oder ähnliche Angriffe zum Alltag.

Für die Studie befragten die Wissenschaftler über 1.100 Personen, die sich politisch engagieren – von Kommunalpolitikern bis zu Aktivisten und Journalisten.

58 Prozent der Befragten von digitaler Gewalt betroffen

Das erschreckende Ergebnis: 58 Prozent der Teilnehmer haben bereits digitale Gewalt erlebt, meist in Form von Hasskommentaren, Bedrohungen und Diskriminierung. Besonders häufig trifft es Frauen: 63 Prozent von ihnen berichten von Angriffen, bei den Männern sind es 53 Prozent.

Doch die Anfeindungen bleiben nicht nur im digitalen Raum. Ein Drittel derjenigen, die online attackiert wurden, erlebte auch physische Gewalt. Unter den nicht digital Angegriffenen war der Anteil deutlich geringer.

Sexualisierte Gewalt vor allem gegen Frauen

Besonders perfide: Zwei Drittel der betroffenen Frauen erlebten geschlechtsspezifische Attacken wie Sexismus oder Frauenhass. Fast jede Vierte erhielt Vergewaltigungsdrohungen. Männern wurde dagegen häufiger mit Schlägen oder Mord gedroht.

Die Folgen sind gravierend: Mehr als die Hälfte der Betroffenen änderte ihr Kommunikationsverhalten, passte Inhalte und Tonfall in sozialen Medien an. Gerade unter Frauen spielen viele mit dem Gedanken, sich aus der Politik zurückzuziehen.

Eine nicht namentlich genannte Bundespolitikerin wird mit den Worten zitiert:

"Ich werde tatsächlich zurücktreten. Ich habe für mich gemerkt: Ich möchte nicht so in der Öffentlichkeit stehen … und auch nicht mehr parteipolitisch aktiv sein."

Viele Betroffene fühlen sich alleingelassen

Doch von wem können die Angegriffenen Hilfe erwarten? Die Studie offenbart große Lücken. Zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer fühlen sich nicht ausreichend auf digitale Gewalt vorbereitet. Nur 45 Prozent der Politiker erhalten präventive Unterstützung. Viele wünschen sich mehr Solidarität in ihren Parteien und an ihren Arbeitsplätzen.

"Ich habe zweimal gefragt, ob ich Unterstützung bekommen kann, aber nie ist was passiert", berichtet die Bundespolitikerin.

Studienleiterin Janina Steinert warnt vor den Konsequenzen:

Frauen verändern häufiger ihre öffentliche Kommunikation oder überlegen, sich aus der Politik zurückzuziehen. Dabei sind Frauen bereits jetzt in Parlamenten und Parteien unterrepräsentiert.

Forderungen an Politik und Plattformen

HateAid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg sieht die Demokratie in Gefahr: "Wenn sich immer weniger Menschen trauen, sich in unserer liberalen Demokratie zu engagieren, dann verlieren wir alle." Sie fordert spezialisierte Anlaufstellen in den Parteien, die Betroffene unterstützen – etwa beim Melden von Inhalten und Erstatten von Anzeigen.

Die Justiz müsse anschließend konsequent und zügig ermitteln. Auch die Betreiber sozialer Netzwerke stünden in der Pflicht: Gemeldete Inhalte müssten rasch geprüft und gegebenenfalls gelöscht werden. Dafür solle die EU den Digital Services Act (DSA) konsequent durchsetzen.