Hauptdarsteller: Neonazi

Rüdiger Suchsland

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"Nichts für schwache Nerven": Der Film "Rhino" vom ukrainischen Regisseur und "Bürgerrechtler" Oleg Sentsov zeigt ein innerlich brutales, gewaltverliebtes Land und hat einen mehr als "problematischen" Hauptdarsteller.

Der vor dem Ukraine-Krieg entstandene ukrainische Gangsterfilm Rhino wäre auch ohne den augenblicklichen Konflikt ins deutsche Kino gekommen. Regisseur Oleg Sentsov, der auch das Drehbuch schrieb und derzeit in der ukrainischen Armee kämpft, erzählt von einem infantilen Schläger, primitiven Verbrecher und kühlen Mörder.

Er zeigt die jungen Männer der 1990-er, die heute im Alter von 45 bis 60 Jahren in der Ukraine auf vielen Ebenen den Ton angeben, als eine Generation ohne Werte und ohne Perspektive. Er zeigt den Boden, auf dem Nihilismus und Nationalismus gedeihen.

Für die Hauptrolle hat sich Sentsov einen Laien gewünscht: Serhii Filimonov, der Hauptdarsteller des Films, der neu ins Kino kam, ist ein rechtsextremer Influencer und kämpft derzeit im häufig als faschistisch bezeichneten Asow-Regiment.

Das ist eine verstörende Wahl, weil damit einem erklärten Neonazi zu zusätzlicher Bekanntheit verholfen wird.

Prügel, Messer, Mythos

Ein Junge mit kurzen Hosen. Ein Junge mit einem Stock, wie Millionen von Jungen mit irgendeinem Stock durch die Gegend gehen. Ein Junge auf einem Sonnenblumenfeld. Er ist vielleicht zehn Jahre alt, vielleicht zwölf. Mit dem Stock schlägt er auf die Sonnenblumen ein und schlägt ihre Köpfe ab. Eine, wie sich herausstellen wird, vorwegnehmende Szene mit den ersten von unzähligen weiteren Schlägen.

Rhino (8 Bilder)

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Dann eine Prügelei mit anderen Jungen. Viele gegen einen, gegen den Jungen der ersten Szene, der die Hauptfigur des Films ist. Gerecht ist hier nichts, schon diese Kinder sind ziemlich brutal. Sie treten auf den Bauch, schlagen auf den Kopf. Und der angegriffene Junge hält einen kleinen Stock so wie später ein Messer. Sein Blick ist entschlossen, seine Lippen zusammengekniffen. Dazu hören wir nun aus dem Off getragene Geigenmusik. Sie suggeriert etwas Episches, Grundsätzliches, Tragisches, Mythisches.

Gewalt, Suff, Gefängnis

Die ersten zehn, zwölf Minuten dieses Films sind bewundernswert inszeniert: In einer virtuosen ersten Sequenz ohne erkennbaren Schnitt wird die Zeit der Kindheit überbrückt. Eine dynamische, fortwährend gleitende Kamera zeigt eine Familie und ihre Nachbarn auf dem Land, irgendwo in der Westukraine. Ein einfaches Leben.

Die Männer sind tätowiert, sie trinken und dann schlagen sie ihre Frauen. Der Vater wird verhaftet; ist im Gefängnis. Die Schwester tanzt und träumt von Amerika, sie hat verschiedene Freunde, mit einem älteren Mann geht sie weg, irgendwann kommt sie dann mit einem Kind auf dem Arm nach Hause und ist wieder bei der Mutter. Der Bruder ist bei der Armee, muss nach Afghanistan. Dann ist er plötzlich tot. Die Hauptfigur weint.

All das in wenigen ersten Minuten – das ist nicht nur sehr virtuos inszeniert, es hat auch in seiner Grundhaltung etwas Leichtes und Ironisches und in all der Depression auch merkwürdig Heiteres. Es strahlt zugleich das fatalistische Fazit aus: "So ist eben das Leben."

Schutzgelder, Stiernacken, Schläge

Dann, nach der Beerdigung des älteren Bruders und den Tränen des Jüngeren, wird der gleichmäßig-elegische Zeitfluss zum Zeitsprung. Jetzt hat der Junge, dargestellt vom bekannten Neonazi Serhii Filimonov, große Muskeln und in seinem Zimmer hängen Bilder von Bruce Lee und Bodybuildern. Er trägt Jeansjacke, hat über dem Stiernacken einen kurzgeschorenen Schädel. Er ist nun der Dorfhooligan, der mit ein paar Freunden Schutzgelder kassiert und Wehrlose bestiehlt.

Man hätte gern gewusst, was zwischendurch geschehen ist, wie sich der empfindliche Junge, der aber Schläge gut einstecken kann, zum gnadenlosen bulligen Mann brutalisiert hat. So wie man zu Beginn schon gern gewusst hätte, warum dieser Junge, den jetzt alle "Rhino" nennen, von den Gleichaltrigen im Dorf gehänselt wurde.

Rituale, Imponiergehabe, Konkurrenzkämpfe

Stattdessen sieht man prototypische Szenen und Klischees des Gangsterfilms: Männerbündische Rituale, Imponiergehabe, Konkurrenzkämpfe, die ersten Morde, der Aufstieg im Milieu und dazwischen eine Mamma, die gelegentlich mahnt und auf Tischsitten achtet, letztlich aber dem vermeintlich sensiblen Jungen alles verzeiht.

Unterbrochen sind diese Abfolgen nur von einem dramaturgischen Kunstgriff, der nicht völlig überzeugt: Die Handlung ist nämlich im Rückblick erzählt, dreimal sieht man "Rhino" nachts in einem geparkten Wagen sitzend, wo er einem zweiten namenlosen Mann mittleren Alters sein Leben erzählt. Das alles geschieht in einer deutschen Kleinstadt, in die der Mann offenbar geflohen ist.

Archaische Gewalt und "alttestamentarische" Ehrbegriffe

Trotz allem ist dies auch ein unterhaltsamer, den Regeln des Genres folgender Gangsterfilm, der in seiner inszenatorischen Leistung imponiert.

Die fast immer fließend-dynamische Kamera entfaltet einen ständigen Sog. Die in knappen Vignetten voranschreitende Handlung dagegen ist vorhersehbar: Aktion und Reaktion, Gewalt und Gegengewalt, eine kaum sichtbare Polizei, Frauen, die meist nackt und verfügbares Fleisch sind, und ein Milieu, in dem Männer Lederjacken tragen und Herrenhandtaschen.

Das erste postsowjetischen Jahrzehnt der 1990er-Jahre wird von Oleg Sentsov roh und ungeschönt gezeigt. Der Regisseur schildert die ukrainische Gesellschaft dieser Epoche als eine extrem gewalttätige. Das Land wird als von Mafia-Banden und Oligarchen geprägt gezeichnet.

Es dominieren archaische Gewalt und "alttestamentarische" Ehrbegriffe – Menschen werden hier mit den Füßen am Boden festgenagelt, Finger und Zehen abgeschnitten, eine Frau vor ihrem Mann vergewaltigt, ein Kleinkind vor den Eltern bedroht. Die Menge der Toten in diesem Film ist nicht zu zählen.

Gefördert vom Ukrainischen "Ministerium für Kultur und Informationspolitik" und Berlin-Brandenburg

Die stereotype Formulierung, dieser Film sei "nichts für schwache Nerven" ist in diesem Fall reine Beschwichtigung.

Es liegt mehr als ein Hauch von Fetischisierung der Gewaltakte in der Schilderung ihrer banalen Anhäufung, eine klammheimliche Parteinahme mit dem Exzess. Insofern ist die Haltung der Macher zu ihrem Gegenstand zumindest uneindeutig.

"Rhino" ist keineswegs einfach als Reflex auf den Krieg der letzten Monate abzutun, denn er war bereits ein Jahr zuvor fertiggestellt und hatte 2021 seine Premiere in Venedig.

Was der Film zeigt und wie er es tut, ist weitaus ambivalenter. Auch ohne den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine wäre dieser Film ins deutsche Kino gekommen, denn er ist – im Gegensatz zu deutschen Gangsterfilmen – vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert worden, gemeinsam mit dem ukrainischen "Ministerium für Kultur und Informationspolitik" und dem polnischen Filminstitut.

Diese Förderentscheidung verwundert allein schon angesichts des Hauptdarstellers Serhii Filimonov. Ein öffentliches Gremium, das sich zu "Film gegen rechts" bekennt, finanziert den Auftritt eines rechtsradikalen Online-Influencers, der seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv ist.

Jeder Schlag eines Baseballschlägers steht auch für die Brutalität des entfesselten Marktes

Insofern wäre es ein großer Irrtum zu glauben, dass dieser Film durch den Krieg in der Ukraine irgendwie aktueller wird, oder die Gewalt eine andere, gar tiefere Bedeutung erhält. Im Gegenteil ähnelt Oleg Sentsovs nüchtern pragmatische, von einer Lust an der Einsicht ins Bestehende geprägte Perspektive der seines russischen Kollegen Alexey Balabanov (1959-2013), der in seinen beiden Filmen "Brat" (1997) und "Brat 2" (2000) Ähnliches versuchte.

Nämlich eine von den Umbrüchen und sozialen Verwüstungen der 1990-er Jahren inspirierte Gesellschaftskritik und kulturelle Bestandsaufnahme mit den Mitteln des Gangsterfilms zu leisten. Jeder Schlag eines Baseballschlägers über einen menschlichen Schädel steht auch für die Brutalität des entfesselten Marktes, die sich nicht so plastisch zeigen lässt, aber ähnliche Folgen hat, jede Schutzgeldzahlung steht für die soziale Korruption, jeder Bandenleader für einen Wirtschaftsmanager.

Der Boden, auf dem in der Ukraine Nihilismus und Nationalismus gedeihen

Oleg Sentsov, der auch das Drehbuch schrieb und aus vielen Gründen, nicht nur wegen seiner vier Jahre in einem russischen Straflager, weiß, wovon er erzählt, legt nie nahe, besondere Empathie für seine Hauptfigur, diesen infantilen Schläger, primitiven Verbrecher und kühlen Mörder aufzubringen, bloß weil er aus der Ukraine kommt.

Der Regisseur zeigt seine ukrainische Heimat als ein innerlich brutales, gewaltverliebtes Land und die jungen Männer der 1990-er, die heute in der Ukraine die Führungseliten stellen, als eine Generation ohne Werte und ohne Perspektive. Er zeigt den Boden, auf dem Nihilismus und Nationalismus gedeihen.