"Haupttreiber" der Naturzerstörung

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UN-Studie: Hoher Fleischkonsum und darauf ausgerichtete Landwirtschaft gefÀhrden auch menschliche Lebensgrundlagen. Mit drei "Hebeln" soll umgesteuert werden
WĂ€hrend die deutsche Bundesministerin fĂŒr ErnĂ€hrung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner (CDU), von der Organisation Foodwatch verklagt wird [1], weil sie ihre Kontakte zu Lobbyisten nicht offenlegen will, hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) [2] dem "globalen Nahrungsmittelsystem" ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt.
Die auf intensiven Fleischkonsum ausgerichtete Landwirtschaft ist demnach wegen ihres hohen FlĂ€chen- und Ressourcenverbrauchs zum "Haupttreiber" der Zerstörung von Ăkosystemen und LebensrĂ€umen geworden. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung werde nicht nur das Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt beschleunigen, sondern auch "unsere FĂ€higkeit gefĂ€hrden, die menschliche Bevölkerung zu erhalten", heiĂt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht von UNEP und dem britischen Thinktank Chatham House [3].
VerkĂŒrzte Systemfrage
Zwar wird darin als erster von drei "Hebeln" zur Schaffung eines nachhaltigeren "Nahrungsmittelsystems" eine weltweite Ănderung der ErnĂ€hrungsgewohnheiten genannt. Allerdings wird in dem Bericht auch betont, dass ein Umdenken auf der Konsumentenseite nicht reichen werde. Zweitens mĂŒsse nĂ€mlich mehr Land fĂŒr die Natur "reserviert" werden, "sei es durch die Wiederherstellung einheimischer Ăkosysteme auf verschontem Ackerland oder durch die Integration natĂŒrlicher Lebensrauminseln in Ackerland". Diese "Landschonung" sei gesetzlich streng zu regulieren. Als dritter "Hebel" wird die Umstellung auf eine nachhaltigere Landwirtschaft genannt.
Mehrfach ist vom weltweiten Nahrungs- oder Lebensmittelsystem die Rede; das allgemein auf Profistreben ausgerichtete Wirtschaftssystem wird nicht in Frage gestellt - was nicht verwunderlich ist, da es sich bei Chatham House um einen privaten Thinktank unter der Schirmherrschaft von Queen Elisabeth II handelt.
Das Wort Lobbyismus oder Lobbying kommt nicht vor, so fehlt auch die Ăberlegung, wie der Einfluss von Konzernen, die fĂŒr die aktuelle Misere verantwortlich sind, auf die Politik begrenzt werden könnte.
Recht auf Verschwendung
Empfohlen wird beispielsweise auch, die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren. Ein Problem in vergleichsweise reichen LĂ€ndern, das Umweltbewegte schon lange erkannt haben. Aktionsformen, mit denen sie dagegen vorgehen und zugleich Geld sparen, werden aber in Deutschland nach vor kriminalisiert. Im August 2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass "Containern" strafbar bleibt [4].
Zwei Studentinnen, die nachts noch genieĂbare Lebensmittel aus dem MĂŒllcontainer eines Supermarktes in Olching bei MĂŒnchen gefischt hatten, waren dafĂŒr wegen Diebstahls verurteilt worden und hatten dagegen Beschwerde eingereicht. UnterstĂŒtzt wurden sie dabei von der Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF): Das Strafrecht diene der Ahndung von sozialschĂ€dlichem Verhalten - die Verwertung noch genieĂbarer Lebensmittel sei aber angesichts der Ressourcenknappheit gesellschaftlich wĂŒnschenswert, argumentierte die Organisation damals vergeblich. Das höchste deutsche Gericht befand, der Gesetzgeber dĂŒrfe grundsĂ€tzlich auch das Eigentum an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schĂŒtzen (Aktenzeichen 2 BvR 1985/19). Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prĂŒfen, ob es "die zweckmĂ€Ăigste, vernĂŒnftigste oder gerechteste Lösung" sei.
Umdenken durch Ekel
Wenn sich in Deutschland tatsĂ€chlich Bewusstsein und ErnĂ€hrungsgewohnheiten Ă€ndern, dann liegt das möglicherweise weniger an politischen MaĂnahmen und moralischen Appellen als an Lebensmittelskandalen, die vielen Menschen den Appetit auf Billigfleisch verderben. Vor den Corona-AusbrĂŒchen beim Fleischkonzern Tönnies im Juni 2020 hatte bereits im Herbst 2019 die Firma Wilke-Wurstwaren mit dem RĂŒckruf von Produkten, die mit Listerien verseucht waren [5], fĂŒr Schlagzeilen gesorgt, nachdem zwei Konsumenten gestorben waren.
Als im Mai vergangenen Jahres der "ErnĂ€hrungsreport 2020" [6] erschien, war zwar der Trend zu verzeichnen, dass Deutsche immer weniger Fleisch essen, doch im weltweiten Vergleich lag der Fleischkonsum hierzulande noch immer ĂŒber dem Durchschnitt. Der geschĂ€tzte Pro-Kopf-Verzehr hatte 2019 bei 59,5 Kilogramm [7] und somit 2,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres gelegen.
Laut Verbraucherzentrale empfehlen ErnÀhrungswissenschaftler, maximal 300 bis 600 Gramm [8] Fleisch- beziehungsweise Wurstwaren pro Woche zu essen - pro Jahr also höchstens rund 31 Kilo. Auch eine völlig fleischfreie ErnÀhrung kann demnach gesund und ausgewogen sein. Auch von veganer ErnÀhrung wird nicht abgeraten: "Wer nicht nur auf Fleisch, sondern zusÀtzlich auch auf Milchprodukte und Eier verzichten möchte, muss sich allerdings schon etwas intensiver mit der Wertigkeit von Lebensmitteln auseinandersetzen, um sich auch dann noch rundum vollwertig zu ernÀhren."
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2021/geheime-lobbytreffen-von-julia-kloeckner-foodwatch-klagt/
[2] https://www.unep.org/
[3] https://www.chathamhouse.org/2021/02/food-system-impacts-biodiversity-loss/summary
[4] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/08/rk20200805_2bvr198519.html
[5] https://www.test.de/Rueckruf-von-Wilke-Produkten-Mehr-als-1100-Produkte-sind-betroffen-5527055-0/
[6] https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/ernaehrungsreport2020.html
[7] https://www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/fleisch/
[8] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/wie-viel-fleisch-ist-das-richtige-mass-5535
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