"Haupttreiber" der Naturzerstörung
UN-Studie: Hoher Fleischkonsum und darauf ausgerichtete Landwirtschaft gefährden auch menschliche Lebensgrundlagen. Mit drei "Hebeln" soll umgesteuert werden
Während die deutsche Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner (CDU), von der Organisation Foodwatch verklagt wird, weil sie ihre Kontakte zu Lobbyisten nicht offenlegen will, hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) dem "globalen Nahrungsmittelsystem" ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt.
Die auf intensiven Fleischkonsum ausgerichtete Landwirtschaft ist demnach wegen ihres hohen Flächen- und Ressourcenverbrauchs zum "Haupttreiber" der Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen geworden. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung werde nicht nur das Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt beschleunigen, sondern auch "unsere Fähigkeit gefährden, die menschliche Bevölkerung zu erhalten", heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht von UNEP und dem britischen Thinktank Chatham House.
Verkürzte Systemfrage
Zwar wird darin als erster von drei "Hebeln" zur Schaffung eines nachhaltigeren "Nahrungsmittelsystems" eine weltweite Änderung der Ernährungsgewohnheiten genannt. Allerdings wird in dem Bericht auch betont, dass ein Umdenken auf der Konsumentenseite nicht reichen werde. Zweitens müsse nämlich mehr Land für die Natur "reserviert" werden, "sei es durch die Wiederherstellung einheimischer Ökosysteme auf verschontem Ackerland oder durch die Integration natürlicher Lebensrauminseln in Ackerland". Diese "Landschonung" sei gesetzlich streng zu regulieren. Als dritter "Hebel" wird die Umstellung auf eine nachhaltigere Landwirtschaft genannt.
Mehrfach ist vom weltweiten Nahrungs- oder Lebensmittelsystem die Rede; das allgemein auf Profistreben ausgerichtete Wirtschaftssystem wird nicht in Frage gestellt - was nicht verwunderlich ist, da es sich bei Chatham House um einen privaten Thinktank unter der Schirmherrschaft von Queen Elisabeth II handelt.
Das Wort Lobbyismus oder Lobbying kommt nicht vor, so fehlt auch die Überlegung, wie der Einfluss von Konzernen, die für die aktuelle Misere verantwortlich sind, auf die Politik begrenzt werden könnte.
Recht auf Verschwendung
Empfohlen wird beispielsweise auch, die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren. Ein Problem in vergleichsweise reichen Ländern, das Umweltbewegte schon lange erkannt haben. Aktionsformen, mit denen sie dagegen vorgehen und zugleich Geld sparen, werden aber in Deutschland nach vor kriminalisiert. Im August 2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass "Containern" strafbar bleibt.
Zwei Studentinnen, die nachts noch genießbare Lebensmittel aus dem Müllcontainer eines Supermarktes in Olching bei München gefischt hatten, waren dafür wegen Diebstahls verurteilt worden und hatten dagegen Beschwerde eingereicht. Unterstützt wurden sie dabei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF): Das Strafrecht diene der Ahndung von sozialschädlichem Verhalten - die Verwertung noch genießbarer Lebensmittel sei aber angesichts der Ressourcenknappheit gesellschaftlich wünschenswert, argumentierte die Organisation damals vergeblich. Das höchste deutsche Gericht befand, der Gesetzgeber dürfe grundsätzlich auch das Eigentum an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schützen (Aktenzeichen 2 BvR 1985/19). Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob es "die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung" sei.
Umdenken durch Ekel
Wenn sich in Deutschland tatsächlich Bewusstsein und Ernährungsgewohnheiten ändern, dann liegt das möglicherweise weniger an politischen Maßnahmen und moralischen Appellen als an Lebensmittelskandalen, die vielen Menschen den Appetit auf Billigfleisch verderben. Vor den Corona-Ausbrüchen beim Fleischkonzern Tönnies im Juni 2020 hatte bereits im Herbst 2019 die Firma Wilke-Wurstwaren mit dem Rückruf von Produkten, die mit Listerien verseucht waren, für Schlagzeilen gesorgt, nachdem zwei Konsumenten gestorben waren.
Als im Mai vergangenen Jahres der "Ernährungsreport 2020" erschien, war zwar der Trend zu verzeichnen, dass Deutsche immer weniger Fleisch essen, doch im weltweiten Vergleich lag der Fleischkonsum hierzulande noch immer über dem Durchschnitt. Der geschätzte Pro-Kopf-Verzehr hatte 2019 bei 59,5 Kilogramm und somit 2,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres gelegen.
Laut Verbraucherzentrale empfehlen Ernährungswissenschaftler, maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch- beziehungsweise Wurstwaren pro Woche zu essen - pro Jahr also höchstens rund 31 Kilo. Auch eine völlig fleischfreie Ernährung kann demnach gesund und ausgewogen sein. Auch von veganer Ernährung wird nicht abgeraten: "Wer nicht nur auf Fleisch, sondern zusätzlich auch auf Milchprodukte und Eier verzichten möchte, muss sich allerdings schon etwas intensiver mit der Wertigkeit von Lebensmitteln auseinandersetzen, um sich auch dann noch rundum vollwertig zu ernähren."