Heißer Herbst oder nationale Einheitsfront?

Aktion zum "Solidarischen Herbst". Bild: solidarischer-herbst.de

Deutschland überrascht mit einer neuen Protestkultur: "Wir" stehen gemeinsam füreinander ein, "die da oben" sollen auch ihren Beitrag leisten sollen.

Unisono wird den Bürgern von allen Seiten erklärt, wie sehr ihnen die Preissteigerungen in Zukunft das Leben schwer machen. Ganz so, als ob sie das nicht bereits jeden Tag an den Kassen der Supermärkte und Tankstellen oder in den Mitteilungen der Vermieter wie Energieanbieter präsentiert bekommen würden.

Medien und Politiker ergehen sich in Warnungen vor einem heißen Herbst, während die verschiedensten Organisationen zu Aktionen und Demonstrationen aufrufen und zum Protest mobilisieren.

Fragt sich nur, gegen wen die Aktionen sich eigentlich richten sollen und wovor da gewarnt wird.

"Unser Land zuerst!"

Mit dieser Parole treten die AfD und die mit ihr verbündeten Organisationen an und machen damit gleich deutlich, wofür sie einstehen: für Deutschland! Also sind sie alles andere als Systemgegner, als welche sie immer wieder dargestellt werden. Sie sehen, ganz systemtreu, das Wohl der Nation durch die Regierung in Gefahr gebracht und werben damit für sich – als politische Alternative. Also ein typisches Oppositionsargument, wobei auch ihre Forderungen weitgehend mit denen anderer Organisationen übereinstimmen:

Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass Gas in ausreichender Menge zu bezahlbaren Preisen für uns zugänglich ist, egal woher. Das wäre eine interessengeleitete Politik, von der alle profitieren. Deshalb sagen wir, deutsche Interessen statt Wirtschaftskrieg.

Timo Chrupalla, AfD

Die Forderung nach bezahlbaren Energiepreisen ist keine Besonderheit der AfD. Sie findet sich in vielen Aufrufen, denn darüber, dass die Versorgung taugliches Geschäftsmittel ist und zu sein hat, herrscht Konsens im Lande.

Was "bezahlbar" bedeutet, darüber lassen sich die meisten, die diese Floskel im Munde führen, nicht groß aus. Aber klar ist: An Zahlung führt kein Weg vorbei, was auch heißt, dass die Kosten für Energie viele Bürger angesichts ihres beschränkten Budgets zu Einschränkungen zwingen.

Mit dem Zusatz "egal woher" will die AfD wohl zum Ausdruck bringen, dass auch russisches Gas eingekauft werden soll. Eine Mahnung, die die Ampel-Regierung nicht benötigt. Hat sie doch darauf gesetzt, dass Russland trotz Sanktionen weiter sein Gas brav und billig nach Deutschland liefert – so dreist wird der Dienst des Feindes in Anspruch genommen und dann geklagt, dass "kein Verlass" auf ihn ist.

Das "egal woher" hat zudem den grünen Wirtschaftsminister und den sozialdemokratischen Kanzler bei ihren Besuchen einschlägiger Diktatoren im Nahen Osten geleitet, als es darum ging, neue Gasquellen für Deutschland zu erschließen. Da wurden dann auch schnell die eigenen Kraftsprüche dementiert, die immer wieder die unüberbrückbare Front von Demokraten gegen Autokraten beschwören.

Wenn der AfD-Sprecher von interessengeleiteter Politik spricht, hat er nicht einfach die Interessen der "kleinen Leute" im Auge, also derjenigen, die Energie für ihren Haushalt benötigen und sich mit der Bezahlung schwertun. Denn davon, dass alle gleichmäßig von bezahlbarer Energie profitieren, kann ja keine Rede sein. Bei den meisten geht es um das Ausmaß der Einschränkungen, die nötig werden, bei anderen ist bezahlbare Energie Geschäftsmittel, durch das sie ihren Gewinn steigern.

Mit "alle" meint der AfD-Mann eben Deutschland, also eine Nation, die wirtschaftlich potent und politisch handlungsfähig ist – und mit dem Wirtschaftskrieg sieht er deren Stellung in der Welt gefährdet. Das macht denn auch gleich die Äußerung seines Stellvertreters deutlich:

Die Schäden der Energiefalschpolitik werden in die Billionen gehen – und vielfach irreversibel sein, weil Firmen abwandern! Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, Verarmung, ja Verelendung sind die Folgen. Die Regierung agiert zutiefst asozial!

Peter Boehringer, AfD

Dass der Staat für billige Energie zu sorgen hat, damit sich Geschäfte in Deutschland lohnen, von denen hierzulande alles abhängig gemacht ist und bei deren Scheitern Arbeitslosigkeit und Verelendung drohen, auch dieser Gedanke ist keine Besonderheit der AfD. Diese Klage findet sich vor allem in Gewerkschaftskreisen.

Die Besonderheit der AfD besteht darin, dass sie die Ursache für die aktuellen Preissteigerungen benennt und kritisiert: den Wirtschaftskrieg gegen Russland, der nach Aussagen der grünen Außenministerin Russland "ruinieren" soll. Diese wirtschaftliche Konfrontation als Krieg zu bezeichnen, ist jedoch in Deutschland verpönt. Eine solche Banalität läuft schon unter Dissidententum.

Die deutschen wirtschaftlichen Schädigungen der russischen Wirtschaft werden offiziell unter dem Stichwort "Sanktionen" geführt – was zwar sachlich gesehen nichts anderes als einen Wirtschaftskrieg meint, aber gleich die Schuldfrage für diese nicht minder robuste Schädigung des Gegners beantworten soll.

Wer dann daraus ableitet, dass Deutschland "den Krieg will", ist auf jeden Fall ein Dissident, der in der politischen Öffentlichkeit nichts verloren hat.

Sanktionen sollen eben als Strafen für ein unrechtmäßiges Verhalten Russlands gesehen werden. Der Einmarsch in die Ukraine – ein Vorgang, den die USA hundertfach zu ihrer üblichen Praxis zählen und der von den Leitmedien auch meist ohne große Aufregung gerechtfertigt wird – soll sich durch nichts rechtfertigen lassen. Das russische Vorgehen sei in jeder Hinsicht indiskutabel, sein Anführer eine "irrer" "Kriegsverbrecher"...

Mit der Klärung der Schuldfrage soll auch klargestellt sein, dass alle Schäden, die die Bürger hierzulande durch die massiven Preissteigerungen erleiden, nicht durch die Sanktionen, sondern durch die Gegenwehr Russlands verursacht sind. Und wer das in Frage stellt – wie die AfD –, der ist ein Putin-Versteher oder Putin-Freund und stellt sich damit ebenfalls außerhalb jeder Diskussion.

Die Kritik der AfD richtet sich gegen den Wirtschaftskrieg, weil sie den Nutzen für Deutschland nicht entdecken kann, sondern nur Schäden. Mit der Forderung "Unser Land zuerst" macht sie eine Anleihe bei der Parole "America first", die nicht nur Donald Trump praktiziert.

Der Wirtschaftskrieg gegen Russland stellt für die AfD eine Unterordnung Deutschlands unter die Nato und damit unter die USA dar, die zum Schaden des Landes gerät. Deshalb die Betonung deutscher Interessen gegenüber den Bündnispartnern, was an sich nichts Ungewöhnliches ist (und bei jedem EU-Treffen stattfindet), was aber hier eine Aufkündigung der bisherigen Politik bedeuten soll und von daher auf Widerstand stößt.

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