Himars im Ukrainekrieg: Wie effektiv ist die Wunderwaffe?

Himars im Einsatz. Archivbild (2014): U.S. Marine Corps. Gemeinfrei

Waffenlieferungen: Die USA wollen weitere Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme schicken. US-Verteidigungsminister Austin spricht von einem "großen Unterschied auf dem Schlachtfeld". Doch gibt es einige Unklarheiten.

Die USA wollen weitere vier Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme Himars (High Mobility Artillery Rocket System) in die Ukraine schicken, wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gestern bekanntmachte.

Austin gab sich überzeugt von der Wirkung der Artillerie-Raketensysteme. Auf einer Sitzung der Kontaktgruppe für Verteidigungsfragen in der Ukraine (Ukraine Defense Contact Group) erklärte er, dass die ukrainischen Streitkräfte die Himars im Kampf gegen die eindringenden russischen Streitkräfte "sehr effektiv" eingesetzt hätten. Das Waffensystem habe "auf dem Schlachtfeld einen großen Unterschied gemacht".

Der Einsatz der Himars und deren Wirkung auf die Front ("front lines") in der Ukraine war auch Thema eines Pressegespräches im Pentagon. Das Pentagon-Hintergrund-Briefing für Medienvertreter fand vor knapp einer Woche, am 15. Juli, statt.

Die Presse-Fragen wurden von einem namenlosen ranghohen Militärvertreter ("Senior Military Official") beantwortet. Er hatte einige Schwierigkeiten mit den Fragen nach der Wirkung und eierte mit ungefähren Antworten herum.

Frage (David Martin, CBS): Können Sie uns beschreiben, welche Auswirkungen der Einsatz von Himars auf die Frontlinien hat? Himars werden gegen Ziele im Hinterland eingesetzt, aber Sie wollen, dass es an der Front Wirkung zeigt und hat es schon Wirkung gezeigt?

Ranghoher Militärvertreter: Ich denke, Dave, das ist eine gute Frage. Ich denke, dass es erhebliche Auswirkungen auf das Geschehen an der Front hat. Wenn man bedenkt, dass die Ukrainer über eine Reihe von Zielen, die sie angreifen, gesprochen haben, wissen Sie, dass sie viel Zeit damit verbringen, Ziele wie Munitionsvorräte, andere logistische Vorräte, Kommando- und Kontrollstrukturen anzugreifen.

All diese Dinge haben eine direkte Auswirkung auf die Fähigkeit, Operationen an der Frontlinie durchzuführen. Ich würde also sagen, ja, auch wenn die Himars nicht auf die Frontlinien schießen, haben sie doch einen sehr, sehr großen Einfluss auf diese.

Frage (David Martin, CBS): Aber haben Sie gesehen, dass es eine Wirkung (auf die Front, Einf. d. Red.) hat? Ich meine, in der Theorie ist das natürlich der ganze Zweck. Aber haben Sie gesehen, dass es eine Auswirkung auf die Fähigkeit der Russen hat, Operationen an der vordersten Front durchzuführen?

Ranghoher Militärvertreter: Ja, ich - das ist auch eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Und das wird - wissen Sie, ich sollte nicht spekulieren, richtig? Das ist nicht das, was ich tun sollte. Wie Sie, ich meine, wir alle haben gesehen, wie die Russen ihre Bewegungen und Fortschritte verlangsamen.


Es fällt mir schwer zu glauben, dass das nicht irgendwie mit dem Verlust von Munition zusammenhängt oder mit dem Verlust von jemandem, der ihnen sagt, wohin sie gehen sollen. Wissen Sie, mir wird oft gesagt, wohin ich gehen soll, und wenn jemand das nicht tut, bleibe ich einfach an meinem Schreibtisch sitzen. Ehrlich gesagt, ich mag das, aber trotzdem.

Background-Briefing, US-Verteidigungsministerium, 15. Juli

Auf die Frage danach, ob die Angriffe auf die russischen Waffenlager dazu führen würden, dass den russischen Truppen vor allem bei der Artillerie die Munition ausgehe, wollte der Pentagon-Vertreter ebenfalls nichts Konkretes äußern, sondern manövrierte in seiner Antwort auf die Frage, wie viele Waffen dadurch zerstört wurden, um eine konkrete Antwort herum:

"Ich habe keine Zahlenschätzung. Ich meine, ich würde Ihnen sagen, wenn Sie derjenige sind, der die Munition besorgen soll, dann ist es die ganze Munition. Wenn – aber, wie Sie sehr gut wissen, ich meine, Russland ist ein gut ausgestattetes Land, aber ich habe keinen Prozentsatz."

"Wir verfolgen nicht, wohin die Waffen gelangen"

Interessant ist auch, dass er als Pentagon-Sprecher klarmachte, dass man die der Ukraine übergebenen Waffen nicht verfolge, um zu garantieren, dass sie in dem durch Korruption gezeichneten Staat in die rechten Hände kommen und nicht verscherbelt werden, wovor Interpol und andere warnten. Angeblich werden Javelin- oder Stinger-Raketen auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Im Pentagon scheint man sich da aber keine Sorgen zu machen:

Wir verfolgen keine Waffen. Und ehrlich gesagt haben wir ein gutes Gefühl dabei, dass die Ukrainer die Waffen, die wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, auch nutzen, und wir haben keine Anzeichen dafür gesehen, dass diese Waffen irgendwo anders hingekommen sind, als um gegen die Russen zu kämpfen.

Background-Briefing, US-Verteidigungsministerium, 15. Juli

Vorwürfe der russischen Seite

Die russische Seite wirft der Ukraine vor, dass mit den Himars auch zivile Ziele angegriffen werden. Laut Tass sollen Himars-Raketen in Alchevsk (Lugansk), einen Bus, eine Busstation und ein Gesundheitszentrum zerstört und Wohnhäuser beschädigt haben.

Allerdings ist nicht bekannt, ob es wirklich ein Beschuss mit einem Himars-System war und ob die Rakete vielleicht sogar abgeschossen wurde. Zwei Zivilisten seien dabei getötet worden. Das russische Militär behauptet, am 17. Juli sei ein Lager mit Harpoon-Anti-Schiffsraketen bei Odessa getroffen und ein Versorgungsfahrzeug zerstört worden.

Die Wunderwaffe

Es heißt, den russischen Truppen fehlen bislang die Mittel, die mobilen und weitreichenden Himars-Artilleriesysteme zu zerstören, die mitunter als westliche Wunderwaffen und Game Changer verkauft werden. Das wird auch in russischen Medien diskutiert.

Mit ihnen lassen sich präzise einzelne Ziele aus einer Entfernung von bis zu 80 km zerstören, die Raketen mit einer Reichweite von 300 km wollen die Amerikaner aber angeblich (noch) nicht liefern, da dies den Krieg auf die Krim und bis weit nach Russland hinein erweitern könnte. Nach Informationen des Wall Street Journals wurde aufgrund der Himars die Front "stabilisiert" und der weitere Vormarsch der Russen gestoppt.

Die USA haben bislang lediglich 12 Himars und eine beschränkte Zahl von Raketen geliefert, die Front ist weit länger als 1.000 km. Bei den Kämpfen an der Front sind Himars von geringem Wert. Es sollen die ersten M270-Mehrfachraketenwerfer in der Ukraine angekommen sein. Es gibt aber Probleme, die schweren Waffen aus dem Westen an die Front zu bringen.

Schwierige Anforderungen

Zudem stellen sie laut WSJ höchst unterschiedliche Anforderungen, benötigen verschiedene Munition und Ersatzteile und müssen unterschiedlich gewartet werden. Die schweren Waffen nur in der Ukraine zu haben und ein paar Soldaten ausgebildet zu haben, reicht bei weitem nicht.

Selbst wenn Himars-Systeme tatsächlich nicht leicht zu zerstören sein sollten, weil sie nach einer Salve schnell bewegt werden können, hat die Ukraine einen großen Nachteil gegenüber den russischen Truppen, die aus weit größerer Entfernung mit Raketen von Schiffen, U-Booten oder Flugzeugen Ziele angreifen können.

Der Ukraine fehlen die dafür notwendigen Luftabwehrsysteme, auch wenn immer wieder Raketen abgeschossen werden können, deren Teile mitunter in Städten landen, während sie gegen Flugzeuge wirksam sind.