Hitler-Marsch, Goebbels-Rhetorik, AfD-Propaganda: Künstler zerlegen rechte Narrative

Bild: Zentrum für Politische Schönheit

"Wir greifen jetzt an": Zentrum für Politische Schönheit agiert mit Roadshow gegen politische Hässlichkeit und für ein AfD-Verbot. Eine Reportage.

Auch das Grundgesetz ist nicht in Stein gemeißelt.

Timo Chrupalla, AfD

Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU".

Julia Klöckner, CDU

Es ist der Badenweiler Marsch, dessen Klänge am gestrigen Freitagnachmittag um 17 Uhr von den Wänden des Hotel Adlon, der französischen Botschaft, der Akademie der Künste, widerhallen und den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor erfüllen – genau dort, wo im Januar vor 91 Jahren die Fackelzüge der Nazis entlang marschierten, am Abend nach der gewonnenen Reichstagswahl.

Ein symbolischer Ort und symbolische Musik, denn der Badenweiler Marsch war der Lieblingsmarsch von Adolf Hitler. Bei seinen Auftritten kündigte allein diese Musik seinen Einzug an.

Jetzt erklang sie wieder am gleichen Ort – ein gespenstischer Augenblick. Es wurde nicht angenehmer, als die Stimme von Joseph Goebbels ertönte:

"Das Abendland ist in Gefahr. Ob ihre Regierungen und ihre Intelligenzschichten das einsehen wollen oder nicht, ist dabei gänzlich unerheblich. ... So weit also ist es in Europa schon gekommen, daß(sic!) man eine Gefahr nicht mehr eine Gefahr nennen darf, wenn sie eben vom Judentum ausgeht. Das aber hindert uns nicht daran, die dazu notwendigen Feststellungen zu treffen."

Wer sich auskannte, identifizierte in dem Ausschnitt die berühmte "Sportpalastrede" ("Wollt ihr den totalen Krieg?").

Dazwischen Weidel, Chrupalla, Krah, Höcke, im gleichen Jargon. Dann erklang der Deppen-Schlager "L'Amour Toujours", der längst in einschlägigen Kreisen zum rassistischen Ohrwurm verkommen ist: "Deutschland den Deutschen ..."

Aus einem blauen Polizeibus

Alles das kam aus einem blauen Polizeibus, mit der Aufschrift "Adenauer SRP+". Der war einmal um den Platz gefahren. Als er vor dem Brandenburger Tor zum Stehen gekommen war, gab es eine jähe Unterbrechung: Sirenen. Katastrophenalarmlaut.

Danach erklang die Stimme Konrad Adenauers:

"Wir alle sind dafür verantwortlich, unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu bewahren und dafür einzutreten."

Performance: "Aggressivste Roadshow in der Geschichte der Bundesrepublik"

Was man erlebte, war die neueste Performance des Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Die Künstlergruppe hatte gestern Presse und interessierte Öffentlichkeit eingeladen, um den "Adenauer SRP+" zu präsentieren.

Dabei handelt es sich um einen ausrangierten Gefangenentransporter, der mit Spendengeldern von über 225.000 Euro – die über Crowdfunding in weniger als 36 Stunden gesammelt wurden – von der Gruppe in einen "Gefechtsstand für die Zivilgesellschaft" umgewandelt wurde.

Mit dem Bus will das ZPS in den kommenden Wochen den Bundestagswahlkampf aktiv begleiten, und neben AfD-Veranstaltungen demonstrieren. Den Auftakt macht am heutigen Samstag ein Besuch des AfD-Wahlparteitags in Riesa.

Es folgt in den nächsten Wochen die – laut Veranstalter – "aggressivste Roadshow in der Geschichte der Bundesrepublik".

Erklärtes Ziel: Verbot der AfD

Der Bus ist dafür mit "Technik für Verteidigung und Aufklärung" ausgerüstet, darunter "eine Katastrophenschutzsirene mit 140 dB Lautstärke ... Richtungs- und Störtechnik ... Überwachungsanlagen ... Rauch- und Wasserkanonen ... Licht- und Lautsprechertechnik."

Vor allem aber über LED-Wände und Informationsmaterial ein Instrument der Aufklärung der Bürger. Darunter "fast 2.500 Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD – sowohl in medialer Projektion als auch gedruckt in einem Beweisarchiv."

Dazu eine "exklusive 'Geheimschutzstelle der Zivilgesellschaft', in der sämtliche vertrauliche Gutachten der Verfassungsschutzbehörden zur Einsicht für jedermann bereitliegen".

"Die AfD ist verfassungswidrig und wird deshalb aufgelöst."

Erklärtes Ziel des ZPS: Ein Parteienverbot der AfD. Für dieses Parteienverbot gibt es zahlreiche Argumente. Die politische Überlegung lautet: Was wäre gewesen, wenn man die NSDAP 1932 verboten hätte? Die demokratischen Kräfte unterschätzen weiterhin mehrheitlich die Gefahr durch die AfD. Die Abgeordneten müssten aber endlich ihrer Verantwortung gerecht werden.

Politische Fiktion

ZPS-Mitglied Stefan Pelzer verlas zu Beginn der Präsentation eine "Pressemitteilung" des Bundesverfassungsgerichts zum Beschluss eines AfD-Verbots.

Die AfD ist verfassungswidrig und wird deshalb aufgelöst. Die Schaffung von Ersatzorganisationen ist verboten. Das Vermögen der Partei verfällt dem Bund für gemeinnützige Zwecke.

Die Abgeordneten der Partei im Bundestag und in den Landtagen verlieren ihre Mandate und können nicht durch auf den Listen nachrückende Ersatzmänner ersetzt werden. (...)

Der Verfassungsgesetzgeber garantiert die freie Bildung und Betätigung politischer Parteien. Aber hat er diese Freiheiten solchen Parteigebilden versagt, die die tragenden Grundsätze der Demokratie nicht anerkennen und die formalen Mittel der Demokratie dazu missbrauchen wollen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen.

Stefan Pelzer, Zentrum für Politische Schönheit

Noch ist das politische Fiktion. Denn das Schreiben, das Grundlage für den vorgelesenen Text ist, stammt von 1952 und formuliert das tatsächliche Parteiverbot der "Sozialistische Reichspartei" (SRP), einer NSDAP-Nachfolgeorganisation auf Antrag der damaligen CDU-Bundesregierung unter Konrad Adenauer – dies erklärt den Namen des Busses. "Die Demokratie ist heute stärker bedroht als damals", betont Pelzer.

Mit der Verbotsforderung steht das ZPS nicht allein. Abgesehen von den über 100 Bundestagsabgeordneten aller demokratischen Parteien gibt es auch viele Verfassungsexperten und Juristen, die ein AfD-Verbot fordern.

Gerade erst setzte sich ein "Offener Brief" von mehr als 200 Juristen für die Einleitung von AfD-Verbotsverfahrens ein – sämtliche Voraussetzungen dafür seien gegeben.

"Wir greifen jetzt an"

Wir greifen jetzt an. Wir nehmen unser Schicksal in die Hand. Wir wollen immer da sein, wo die Hetzer hetzen, wo die Faschisten auf Bauernfang gehen. Der Adenauer begleitet Alice Weidel, Timo Chrupalla, Björn Höcke und alle weiteren Hetzer von dieser Partei und klärt die Bürger genau da über die faschistische Weltanschauung dieser Menschen auf, wo sie auf Stimmenfang gehen.

Zentrum für Politische Schönheit

Aber auch die Parteiführungen von CDU/ CSU und SPD stehen im Visier des Künstlerkollektivs. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz warf Pelzer "Feigheit" vor. Man drücke sich vor einem Verbotsverfahren und sei zu feige für große Entscheidungen mit Rückgrat.

Man besuche auch Friedrich Merz und Olaf Scholz, um die Frage zu stellen, "warum sie so feige sind, sich hinter Worthülsen verstecken und verhindern, dass die Frage nach dem AfD-Verbot dorthin kommt, wo sie hingehört: vor das Bundesverfassungsgericht".

Eine "unfassbare Mutlosigkeit"

In einer weiteren Rede erklärte der Berliner SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir, die Gesellschaft brauche das Zentrum für Politische Schönheit, "weil wir eine unfassbare Mutlosigkeit bei denen haben, die Verantwortung tragen".

Die eigentliche Leistung der "rechtsextremen faschistischen" AfD seien nicht die markigen Sprüche, "sondern das ist die Normalisierung von Rechtsextremismus".