Hoffnung, Hass, Habeck: Das Elend der Wahlwerbung

Timo Rieg
Wand mit Parteienwerbung in einem Villenvorort Münchens

Bundestagswahl 2025: Wand mit Parteienwerbung in einem Villenvorort Münchens; die AfD ist nicht vertreten. Foto: Redaktion.

Bundestagswahl: Zu dumm zum Denken? Die traurige Kunst der Wahlplakate. Warum manche Parteien lieber gar keine machen sollten. Ein Medien-Streifblick.

Der Feuilleton-Podcast der Zeit namens "Die sogenannte Gegenwart" hat sich in seiner aktuellen Folge mit Wahlplakaten und den sonstigen Präsentationen der Bundesparteien beschäftigt.

Das Gespräch der Redakteure Ijoma Mangold und Lars Weisbrod mäandert zwar wie üblich durch viele Themenfelder, zeigt aber insgesamt einen interessanten Blick auf ein Feld, das sonst vor allem Politikjournalisten bearbeiten.

Die Grünen

Bei den Plakaten der Grünen (die offiziell immer noch "Bündnis 90/ Die Grünen" heißen) fühlt sich Lars Weisbrod offenbar intellektuell etwas unterfordert, wenn es beispielsweise heißt:

Leben: bezahlbar machen!
Ein Bündnis. Ein Wort.

Grüne

In diesem Stil gibt es auch "Schulen und Kitas: sanieren!" (was im föderalen Deutschland allerdings am wenigsten Sache des Bundes ist) oder "Natur und Klima: schützen!".

Anspruchsvoller sei hingegen der Slogan:

Frieden in Freiheit: sichern!

Grüne

Denn nur "Frieden: sichern" wäre laut Weisbrod für die Grünen etwas schief, schließlich sind sie seit Beginn des Ukraine-Kriegs sehr offen für militärische Verteidigung Deutschlands sowie Rüstungsexporte in Kriegsgebiete. Mit dem kürzeren Slogan "Frieden: sichern" könne man auch Sahra Wagenknecht wählen, sekundiert Ijoma Mangold.

Bundesweit arbeiten die Grünen offenbar nur mit zwei Köpfen: Robert Habeck, der nun als "Bündniskanzler" antritt, und Annalena Baerbock, die beim letzten Mal Kanzlerkandidatin war.

Habecks Schlagwort auf dem Wahlplakat heißt "Zuversicht", was angesichts der wirtschaftlichen Lage Deutschlands zwar notwendig, aber vielleicht nicht ausreichend ist.

Weisbrod ärgert sich in diesem Zusammenhang darüber, dass Habeck in jedem Interview betone, er und sein Ministerium hätten die Gasmangellage behoben, "so als habe er das Gas quasi in Eimern aus Aserbaidschan hier hin getragen".

Dass ein Wirtschaftsministerium sich darum kümmert, wieder Gas nach Deutschland zu bekommen, sei eine Selbstverständlichkeit, dafür dürfe man kein "Fleißsternchen" erwarten.

Auf Baerbocks Wahlplakat steht "Zusammen". Und darunter, wie bei Habeck: "Ein Mensch. Ein Wort.".

Zu Habecks Küchentischgesprächen merken die Kulturredakteure noch an, alle Videos zeigten, egal ob zu Besuch bei einer Kindergärtnerin, einem Bauern oder der Chefredakteurin der Bild, "doch immer sehr viel gepflegte Bürgerlichkeit".

AfD

Auch die Wahlplakate der AfD setzen überwiegend auf Textbotschaften. Sie beginnen alle mit "Zeit": "Zeit für sichere Grenzen", "Zeit für bezahlbare Energie", "Zeit, dass sich Arbeit wieder lohnt", "Zeit für Frieden" und so weiter.

Fast schon eine Verschwörungstheorie holt Weisbrod aus dem Zylinder, als er ein grafisches Element all dieser Plakate anspricht. Denn vor dem Parteikürzel sind jeweils zwei unterschiedlich lange Balken zu sehen, der eine im Farbverlauf Schwarz-Rot-Gold, der andere Weiß-Blau.

Man fragt sich auch, warum ein X, ist das jetzt schon wegen Elon Musk oder was ist da los, macht eigentlich nicht so richtig Sinn.

Lars Weisbrod

Etwas weniger um die Ecke und dabei an das Weidel-Musk-Gespräch gedacht wäre vielleicht die Idee, es könne sich um ein Wahlkreuz handeln.

Eine besondere Radikalisierung kann Weisbrod den Plakaten selbst jedenfalls nicht entnehmen, und Mangold pflichtet bei:

Tatsächlich entsprechen die Plakate nicht den Temperaturen, die ich als Fernsehzuschauer beim letzten AfD-Parteitag verfolgen konnte.

Ijoma Mangold

Und ergänzt etwas später: "Ich hätte gedacht, dass die Partei eigentlich sehen müsste, dass in ihrer Verbürgerlichung ihre größere Chance liegt, aber sie ist tatsächlich den Weg einer sehr unappetitlichen Radikalisierung gegangen."

Einig sind sich Weisbrod und Mangold darin, dass Alice Weidels Tonfall in Reden recht unerträglich sei. Immer nur schimpfend, ablehnend, sarkastisch. Mangold fragt sich, wie das die Mitglieder aushalten. Natürlich müsse ein Parteiführer "die Wut bedienen und bewirtschaften, gar keine Frage".

Aber gleichzeitig müsste doch auch mal das Register eines "gemeinschaftsstiftenden Humors" gezogen werden.

Marine Le Pen mag für manche was Mütterliches ausstrahlen, aber bei Alice Weidel gibt es all diese anderen Schattierungen gar nicht. Und deswegen ist es auch ein Rätsel, warum sie diesen Erfolg hat. Also ich muss sagen, an der AfD finde ich sehr vieles rätselhaft, nicht nur sehr vieles ablehnenswert, sondern auch sehr vieles rätselhaft.

Ijoma Mangold

SPD

Die SPD versucht es mit Bildern von Noch-Kanzler-Scholz sowie mit Botschaften auf der zweiten Ebene: "Plakat scannen, SPD wählen" steht dann beispielsweise unter der Kurzbotschaft "Hier sind moderne Kitas und Schulen drin".

Der mit SPD-Kürzel versehene und ungewöhnlich erscheinende QR-Code auf diesen Plakaten "sieht ganz schlimm aus, als hätte jemand das SPD-Logo als Zielscheibe benutzt oder so", findet Lars Weisbrod. Es wirke wie die "Punktesammel-Kampagne" eines Supermarkts.

Ich glaube, die Partei sitzt auch in so einer blöden historischen Falle. Weil die Allgemeinheit, die sie eigentlich mal adressiert hat - gewissermaßen der gewerkschaftlich organisierte Arbeiter als ein Massenphänomen - gibt es so gar nicht mehr.

Ijoma Mangold

Und Mangold stellt eine Frage, die wohl meistens auf eine Regierungspartei bei einer Neuwahl zutrifft: Was sie eigentlich künftig ändern wolle, wo sie doch noch im Kanzleramt sitze. "Ihre eigene Sackgassenpolitik?"

CDU

Die Wahlplakate der CDU fallen grafisch bei beiden Feuilletonisten durch - "ästhetisch grauenvoll". Kanzlerkandidat Friedrich Merz wird mit dem Satz präsentiert: "Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können."

Reine Textbotschaften lauten zum Beispiel:

Fleiß muss sich wieder lohnen.

CDU

Doch warum Fleiß und nicht Leistung? Mangold sieht den Unterschied darin, dass Fleiß "unabhängig von erzielten Cashflows quasi die moralische Qualität deines Engagements zum Ausdruck bringt".

Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann verkörperten das "Nichtschrille" und das "Verantwortungsbewusste". Das könne allerdings für Teile des "Elektorats" (der Wählerschaft) zu wenig sein, denn viele Menschen wünschten sich tatsächlich größere Veränderungen.

Mangold verweist dabei auf die Reaktion von Friedrich Merz zu Christian Lindners Aufruf, ein bisschen mehr Javier Milei und Elon Musk zu wagen. Das habe Merz im Tonfall der Entrüstung zurückgewiesen.

Ich glaube, er [Merz] war sehr schlecht informiert über die tatsächlichen Veränderungen in Argentinien, die Veränderungen zum Besseren, die da in diesen knappen ein Jahr und zwei Monaten, seit Milei dort Präsident ist, bereits gegriffen haben.

Ijoma Mangold

FDP

Die Liberalen sind mit der Parole "alles lässt sich ändern" im Wahlkampf. Dabei wird viel Christian Lindner plakatiert, manchmal sind nur seine Augen zu sehen – "tatortmäßig" findet das Lars Weisbrod, der vom Slogan jedoch angetan ist.

Endlich sagt es mal einer: alles lässt sich ändern. Die Politik der FDP steht für mich nicht so richtig dafür, aber trotzdem, da merke ich wieder, das ist das, was ich am Liberalen so schätze.

Dass sie anders als Konservative und anders auch als Linke heute vielleicht noch wenigstens diese Idee wachhalten, dass wir nicht verpflichtet sind, in den Gegebenheiten weiter zu existieren, die wir vorfinden, sondern dass man das alles auch anders machen könnte und besser machen könnte.

Lars Weisbrod

Mangold sieht da allerdings einen "paradoxen Selbstwiderspruch". Denn seit 20 Jahren erlebten wir extremen Staatsinterventionismus, "eine dirigistische Epoche", in welcher die FDP an entscheidender Stelle beteiligt war.

BSW

Mangold zollt der BSW-Namensgeberin Sahra Wagenknecht großen Respekt für ihr Redetalent. Man höre ihr außerordentlich gerne zu. Als überzeugter Marktwirtschaftler und Transatlantiker könne er das BSW jedoch niemals wählen, was Weisbrod nicht überzeugt.

Sahra Wagenknecht redet den ganzen Tag über den deutschen Mittelstand. Die redet wie der Sozialflügel der CDU früher.

Lars Weisbrod

Die Plakate des BSW zeigen jeweils die Spitzenkandidatin mit einer Botschaft: "Unser Land verdient mehr Kompetenz", "Unser Land wünscht sich Frieden" oder "Unser Land wünscht sich weniger Migration".

Deutlich kleiner steht darunter: "Aber die alten Parteien haben versagt!" oder: "Aber die alten Parteien sind taub!".

Weisbrod findet das eher populistisch, Mangold hält es für zulässig, "in einer Demokratie das Establishment auch zu kritisieren und es für den Stillstand in die Verantwortung zu nehmen, ohne dass man deswegen als unberechenbarer Systemgegner dasteht".

Die Linke

Die Linke, die unter anderem wegen der Abspaltung des BSW um den Wiedereinzug in den Bundestag bangt, tritt an mit dem Spitzen-Duo Heidi Reichinnek und Jan van Aken.

Letzterer sagt auf einem Wahlplakat: "Wir haben was gegen Armut." Auf van Akens Shirt steht dabei "tax the rich" ("Besteuert die Reichen").

Die Textbotschaften folgen auch bei der Linken einem Schema: "Ist Deine Heizung zu teuer – macht jemand richtig Kohle". "Ist Dein Dorf unter Wasser – steigen Reiche auf die Yacht." "Ist Deine Rente zu niedrig – hat Scholz nicht geliefert."

Wie gerne auch Feuilleton-Journalisten lieber andere als sich selbst in die Pflicht nehmen, wird bei einer kleinen Diskussion um die höhere Besteuerung Reicher deutlich. Mangold fragt Weisbrod, was für ihn Spitzeneinkommen sind: "Würdest du dich selber der Gruppe auch schon zurechnen oder erst knapp über dir?"

Weisbrod will sich da nicht festlegen, und selbst wenn er schon darunter falle, erwartet er unterm Strich nicht weniger zu haben, weil es auch eine Entlastung beim Eingangssteuersatz geben sollte.

Es grenzt die stetige Erweiterung des Sozialstaats natürlich ein, wenn sich selbst ein Zeit-Redakteur nicht zu denen zählt, die dann eben mehr zahlen müssen.

Kleinparteien unberücksichtigt

Für Parteien, die derzeit nicht im Bundestag vertreten sind, war in diesem Podcast kein Raum mehr. Dabei könnte es interessant sein zu hören, was Feuilletonisten zu Gruppierungen und ihrem Wahlwerben einfällt, die in der Politikberichterstattung gar keine Rolle spielen und daher auch kaum mit Etiketten versehen sind, jedenfalls nicht inhaltlich begründet.

Insgesamt treten 41 Parteien an, darunter die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, die Gartenpartei, die Tierschutzpartei und eine Partei für Volksabstimmungen.

Plakate im KI-Check

Einen ganz anderen Weg der Analyse hat die Firma "concept m research + consulting" aus Köln beschritten. Sie hat per Computer mit künstlicher Intelligenz (KI) verschiedene potentielle Wähler erzeugt, diese dann mit elf Wahlplakaten von sechs Parteien konfrontiert und anschließend "interviewt" – also wie ChatGPT befragt.

Lindner wirkt nach den bisher veröffentlichten Ergebnissen auf die computer-generierten Testbürger zu kalkuliert, es fehle die menschliche Seite. Selbst als FDP-Anhänger geschaffene Probanden finden: "Alles nur glattes Marketing".

Auch Habeck wirkt danach etwas zu perfekt gestylt. Diese Inszenierungshöhe stehe jedoch im Widerspruch zu der Pose des nahbar Menschelnden.

"Er kämpft auf verlorenem Posten" werden die Ergebnisse zu Scholz zusammengefasst.

Merz spreche ältere und konservative Wähler an, für die breite Masse fehle es aber an Modernität, Nahbarkeit und konkreten politischen Maßnahmen.

Den Nutzen solcher KI-Tests sieht die Firma darin, künftige Wahlwerbung schon in der Entwicklung überprüfen und anpassen zu können.

Feuilletonisten werden dann aber immer noch genug zu diskutieren haben.